Liebe Leserin, lieber Leser,

ich
möchte Ihnen heute von einem alten Kollegen von mir erzählen. Sein
Name ist André Zand-Vakili, Polizeireporter beim Hamburger
Abendblatt.
Er
war, das möge er mir
verzeihen, ein Wahnsinniger, aber auch ein Typ, von dem es nicht mehr
viele gibt.

Wir
waren jahrelang ein Team. Ich kam 2015 in die Blaulichtredaktion des
Abendblatts,
wir nannten sie liebevoll die „Schweinebucht“, und wenn er anrief,
sagte er bloß „Zaaand!“, so wie ihn alle nur beim halben Nachnamen
nannten. Ich fragte ihn, wie die Lage sei. Zand antwortete jedes Mal:
„Aussichtslos, aber nicht ernst.“

Polizeireporter
brauchen einen dicken Panzer. Zand machte diesen Job schon, seit ich
ein Kleinkind war, er muss Tausende Tatorte gesehen haben,
Schießereien auf dem Kiez, Bombenanschläge, Brände, schwere
Unfälle, Straßenkämpfe bei Demonstrationen. Es gibt viele
Heldengeschichten über ihn. Einmal, als Neo-Nazis
den Eingang zum Springer-Verlag in der City blockierten, sagte Zand
zu den Glatzköpfen: „Lasst mich durch, ich muss arbeiten. Ihr ja
nicht.“ Ein anderes Mal, nach dem 11. September 2001, fand Zand die Wohnung der Terrorzelle in Harburg,
bevor es die Polizei tat. Er gab die Adresse dann netterweise weiter.

Wenn
wir zusammen im Polizeipräsidium waren, schlug ihm viel Ehrfurcht
entgegen. Ich fand das seltsam. Zand riss gern etwas zu derbe Witze,
oft stritten wir über Politik, er klopfte Sprüche über „Südländer“
(sein Vater kam übrigens aus dem Iran), lachte über Linke. Zands
Texte zu redigieren, bedeutete, sich durch Tippfehler und Stilblüten
zu ackern, „Die Mordkomissionni vermittelt“, „Die Gewalt am
Hansaplast eskaliert“, ich war oft traurig.

© ZON

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Aber
dann, eigentlich immer, wenn es darauf ankam, war Zand cleverer als
die Konkurrenz.
Er kam mit vertraulichen Berichten in die Redaktion spaziert. Erfuhr
von Verbrechen, Spuren, Beweisen, die geheim bleiben sollten.
Und
bevor ein
Gespräch
zu Ende war, ließ er nicht nur den Streit fallen, sondern auch die
Härte, den Sarkasmus, den Panzer. „Und sonst so?“, fragte er. Und
schließlich immer nur „Mach’s gut“, leise und warm.

Vor
einigen Wochen telefonierten wir wieder. Obwohl ich längst bei der
ZEIT arbeitete, tauschten wir uns häufig aus, diesmal sagte Zand:
„Ich muss dir etwas sagen. Ich bin todkrank“. Aber wehe, jetzt käme
Mitleid. „Ich hatte ein schönes Leben, was soll ich denn jammern“,
sagte er.

Am
vergangenen Mittwoch schaltete sich Zand noch beim Abendblatt
in der Morgenkonferenz zu. Seine Kamera war ausgeschaltet, er lag
schon auf einer Palliativstation. Seiner Frau sagte er, das sei doch
ein guter Ort, „um den Löffel abzugeben“. Danach schickte er Mails
an die Polizei, für eine aktuelle Geschichte.

Am
Donnerstag ist
André Zand-Vakili im Alter von 61 Jahren gestorben. Ich
bin sicher, falls es da oben Blaulicht gibt, ist er schon an der
Sache dran.

Mach’s
gut, Zand. Ich werde dich vermissen.

Ich
wünsche Ihnen einen schönen Tag,

Ihr
Christoph Heinemann

WAS HEUTE WICHTIG IST

© Christian Charisius/​dpa

Ein
unbekannter Täter hat etwa zehn
Schüsse auf den Eingang eines Buchgroßhändlers in Ottensen
abgefeuert.

Ein Mitarbeiter des Logistikunternehmens Libri, das Verlage und
Buchhandel miteinander verknüpft, hatte gestern morgen die
Einschusslöcher bemerkt. Zudem habe in der Nähe eine einstellige
Zahl von Patronenhülsen gelegen. Wann es zur Tat gekommen war, ist
ebenso unklar wie das Motiv. Das Landeskriminalamt Hamburg-Altona hat
die Ermittlungen übernommen.

Ebenfalls
in Ottensen sind gestern in einem Altbau eine
Wand und Teile eines Daches eingestürzt,
dabei
wurde ein Arbeiter schwer verletzt. Nach Angaben der Feuerwehr konnte
sich der Mann selbst aus den Trümmern befreien. Das Haus am
Alma-Wartenberg-Platz wird derzeit kernsaniert. Bereits am 26. Juni
stürzten hier Teile des Schornsteins auf den Platz. Verletzt wurde
damals niemand. Nun untersuchen Gutachter die Statik des kleinen
Häuschens aus dem 19. Jahrhundert. Ob es weiter saniert werden kann
oder abgerissen werden muss, ist unklar.

Die
Wirtschaftsbehörde
erwägt, bereits 2027 eine Landstrompflicht für Kreuzfahrtschiffe
einzuführen.

Das teilte die Behörde gestern mit. Bislang lassen Schiffe, die im
Hafen vertäut sind, oftmals ihre Motoren laufen, um Strom zu
erzeugen. Dabei entstehen Feinstaub, Stickstoff, CO2
und
Lärm. Mit Landstrom aus nachhaltigen Quellen soll die
Kreuzfahrtbranche weniger umweltschädlich werden – und die Luft in
Hamburg sauberer. Ursprünglich war eine Landstrompflicht ab 2030 im
Gespräch.

In aller Kürze

•Bereits zum vierten Mal zelten diesen Sommer
Punks auf Sylt. Die
Festwiese in Tinnum ist bis zum 17. August
zur Nutzung für bis zu 300 Personen freigegeben •
Schulessen wird teurer:
Ab August steigt der Maximalbeitrag, den Eltern zahlen müssen, um 30
Cent auf fünf Euro •
Aus den Polizeimeldungen: Nach den brutalen
Angriffen von HSV-Fans auf Anhänger des 1. FC Köln

zu Jahresbeginn hat es nun Durchsuchungen an 19 Orten gegeben. Das
Strafverfahren richtet sich gegen 22 Männer zwischen 19 und 36
Jahren

AUS DER HAMBURG-AUSGABE

© Abb.: Studio Other Spaces

„Verletzlichkeit
kann zu einer Stärke werden“

An
der Binnenalster – an der Ecke von Lombardsbrücke
und Neuem Jungfernstieg – soll ein neues Kunstwerk entstehen, das
Queerness und sexuelle Vielfalt feiert. Die Stadt stellt den Baugrund
und finanziert Planung und Bau mit 414.000
Euro. Hier spricht der Künstler
Ólafur Elíasson erstmals über den Entwurf. Lesen Sie einen Auszug
aus unserem Interview.

DIE
ZEIT:
Herr Elíasson, was hat Sie daran
interessiert, sich am Wettbewerb um die Gestaltung des neuen
„Denk-Orts für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt“ zu
beteiligen?

Ólafur
Elíasson:
Mein Team und mich hat
gereizt, mitten in Hamburg einen Ort zu schaffen, an dem wir Menschen
zuhören, die sonst selten gehört werden. Das ist die Idee unseres
Pavillons der Stimmen:
Dort sollen über Lautsprecher wechselnde Stimmen von queeren
Menschen abgespielt werden. Mancher denkt vielleicht, dass sexuelle
Identität ein abstraktes Thema sei, das nichts mit ihm zu tun habe.
Doch im Pavillon der Stimmen
kann man aus erster Hand erfahren: Es geht dabei um ganz
grundsätzliche Fragen. Darum, sich zu Hause zu fühlen, gesehen zu
werden, um Würde. Das betrifft alle Menschen. Wir haben uns gefreut,
als wir hörten, dass unser Entwurf ausgewählt wurde. Davon, dass es
in dem Verfahren Unstimmigkeiten gegeben hatte, erfuhren wir erst im
Nachhinein, das ist bedauerlich.

ZEIT:
Sie sprechen von dem Kunstwerk als einer Teamleistung. Wie meinen Sie
das?

Elíasson:
Es ist kein Geheimnis, dass in meinem Atelier in Berlin, dem Studio
Olafur Eliasson (SOE), mehr als hundert Menschen arbeiten. Innerhalb
dieses Ateliers gibt es auch das Architekturbüro Studio Other Spaces
(SOS), das Sebastian Behmann und ich leiten. Als der Wettbewerb in
Hamburg ausgeschrieben wurde, haben sich viele bei SOS und SOE stark
dafür interessiert. Viele von ihnen fühlen sich der queeren
Community zugehörig. Sebastian und ich haben das unterstützt. Der
Pavillon der Stimmen
ist also das Ergebnis eines kollektiven Prozesses.

ZEIT:
Was hat Sie überzeugt, dieses Projekt Ihrer Mitarbeitenden zu
unterstützen?

Elíasson:
Diversität ist eine Stärke. Aber in Zeiten des Populismus und der
Polarisierung wird sie als Schwäche oder als Bedrohung gesehen. Wir
müssen nur schauen, was gerade in den USA passiert, wo Donald Trump
alle Menschen aus dem Militär werfen lässt, die sich nicht
eindeutig als Mann oder Frau identifizieren. Ich glaube, Kunst kann
uns helfen. Wenn wir zu zweit vor einem Bild stehen, kommt es vor,
dass der eine sagt: „Das finde ich ganz toll“, und der andere:
„Damit kann ich nichts anfangen.“ Und dann kommt man ins Gespräch.
Kunst kann uns lehren, dass es uns als Gesellschaft weiterbringt,
wenn wir unterschiedlicher Meinung sind und einander zuhören.

Im
kommenden Jahr soll der „Pavillon der Stimmen“ fertiggestellt
werden. Was sich der Künstler davon erhofft und welche Kontroverse
es um die Planung des Ortes gegeben hat, können Sie ab Donnerstag
in der neuen Print-Ausgabe der ZEIT:Hamburg lesen – oder schon
heute hier auf zeit.de.

DER SATZ

© Alexis Jamet für DIE ZEIT

„Melanie
Libbe vermutet: Die Schallwellen kommen aus dem Erdreich, schwappen
durch den Keller ins Haus.“

Vor
einigen Jahren klagten Menschen in Altona über ein mysteriöses
Brummen, das sie nachts vom Schlafen abhielt. Die Herkunft des
Geräuschs konnte nie aufgeklärt werden – und dann war das Brummen
eines Tages weg. Jetzt ist es wieder da, in Nortorf in
Schleswig-Holstein. Huch? Unser
Autor Tom Kroll ist der Sache nachgegangen

DARAUF KÖNNEN SIE SICH FREUEN

Die
Borsteler
Sommerklänge
unter der Leitung des NDR-Redakteurs
Daniel Kaiser finden auch in diesem Jahr wieder statt. Zwischen dem
1. und 10. August singen, lesen und diskutieren Prominente ohne Gage
für den guten Zweck. In der St. Nikolai Kirche im Alten Land sind
unter anderem Stefan Gwildis, Mary Roos und Dora Held zu Gast. Zudem
erzählt Heikedine Körting, wie sie die Geschichten wie Fünf
Freunde und Die
drei ??? in Hörspielen verwandelt hat. Mehr über die
Hörspielproduzentin lesen Sie hier (Z+)
.

„Borsteler
Sommerklänge“
, 1.–10. August, St. Nikolai Kirche
Borstel, Große Seite 16, Jork; Tickets
erhalten Sie hier

MEINE STADT

„Stairway to Heaven“ (Hamburger Airport Parkhaus P2) © Alexander Kadow

HAMBURGER SCHNACK

Gehört
beim Nichtschwimmertraining im Hessebad beim Tauchen: „Puste die
ganze Luft aus deinem Mund, nicht aus deinem Po.“

Gehört
von Jane Leist

Das war
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