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Mehrere Personen mit orangenen Warnwesten, halten Protest-Schilder hoch mit den Aufschriften: Pay restoration for doctors und 18,62 pounds per hour is not a fair wage for a resident doctor.Die jungen Medizinerinnen und Mediziner fordern mehr Gehalt. © Tayfun Salci/Imago

In England streiken derzeit zahlreiche Assistenzärztinnen und -ärzte. Dafür schlägt ihnen aus Politik und Gesellschaft vor allem Unverständnis entgegen.

London – Ein erneuter fünftägiger Ärztestreik in England hat zu Beginn der Woche wieder zu Tausenden abgesagter Beratungs- und Behandlungstermine und zum Ausfall einer Großzahl von Operationen geführt – und weithin Unmut ausgelöst. Die britische Labour-Regierung, die vergangenes Jahr gelobte, das schwer angeschlagene staatliche Gesundheitswesen des Landes zu sanieren, fürchtet, dass der Streik die ersten Anzeichen einer Besserung nun wieder zunichtemachen wird.

Streik in England: Ärztebund fordert eine über mehrere Jahre gestaffelte Gehaltserhöhung

Der vom Britischen Ärztebund ausgerufene Streik der Assistenzärztinnen und -ärzte hatte vergangenen Freitag (25.07.2025) begonnen und soll zunächst bis Mittwochmorgen laufen. Er erschwert wesentlich die Funktionsfähigkeit des National Health Service, des NHS.

Zu dem Streik kam es, nachdem der Ärztebund eine über mehrere Jahre gestaffelte Gehaltserhöhung von 29 Prozent gefordert und Keir Starmers Regierung die Forderung rundweg abgelehnt hatte. Sie bot den Assistenzärztinnen und -ärzten – den „junior doctors“, die etwa die Hälfte der Ärzteschaft ausmachen – für 2025/26 lediglich eine Erhöhung um 5,4 Prozent an.

Nach Ansicht der Streikenden ist die Berufsgruppe der jungen Mediziner:innen in der britischen Gesellschaft aber auf völlig unakzeptable Weise benachteiligt. Über einen langen Zeitraum drakonischer Sparpolitik konservativer Regierungen hinweg habe sich das Einkommen der Assistenzärztinnen und -ärzte reell um ein Fünftel verschlechtert, behaupten die Betroffenen jetzt.

Schon unter der letzten, von Rishi Sunak geführten Tory-Regierung hatten die „junior doctors“ zwischen März 2023 und Juli 2024 an insgesamt 44 Tagen gestreikt. Auch Krankenschwestern und Pfleger hatten zeitweise die Arbeit niedergelegt.

1,2 Millionen Arzttermine und Operationen mussten damals abgesagt oder verschoben werden

Insgesamt mussten damals 1,2 Millionen Arzttermine und Operationen abgesagt oder verschoben werden. Das verschlimmerte die Situation noch wesentlich, wo sowieso schon Millionen Patientinnen und Patienten monatelang auf Behandlung und Operationen warten müssen – und selbst auf einen Hausarzttermin oft wochenlang.

Als Labour im Juli letzten Jahres die Wahlen gewann, begann die neue Regierung unmittelbar zusätzliche Milliardensummen für den NHS bereitzustellen. Die Arbeitskämpfe der Vorjahre beendete Gesundheitsminister Wes Streeting sodann mit einer Reihe großzügiger Angebote an das NHS-Personal. Den Assistenzärztinnen und -ärzten billigte er eine auf zwei Jahre gestreckte Gehaltsanhebung von 22 Prozent zu.

„In der ganzen britischen Geschichte hat keine Gewerkschaft je eine so steile Gehaltserhöhung für ihre Mitglieder erhalten“, meint Streeting heute. Umso unglaublicher sei es, „dass der Ärztebund darauf nun prompt wieder mit Streiks reagiert“.

Streik ein „Geschenk“ für Nigel Farages Rechtspopulisten?

Just zu einem Zeitpunkt, da sich die Lage des NHS bessere und sich die Wartezeiten erstmals verkürzten, setzten die Assistenzärzte diese Entwicklung aufs Spiel mit ihrer „rücksichtslosen Aktion“, warnt der Minister. Letztendlich sei der Bund dabei, die gesamte Gewerkschaftsbewegung zu schwächen und Nigel Farages Rechtspopulisten „ein Geschenk zu machen“ – weil Farage nur darauf warte, auf einer Woge erneut wachsender Unzufriedenheit mit dem NHS, auf ein privatisiertes oder teilprivatisiertes Gesundheits-System zuzusteuern.

Mühsam haben sich die Streikenden damit zu rechtfertigen gesucht, dass sie beträchtliche Extra-Kosten hätten, wie etwa spezielle Prüfungsgebühren, oder die Rückzahlung von Studiengebühren auf viele Jahre hin. Auch beim Ärztebund weiß man freilich, dass der Streik allen Umfragen zufolge wenig Sympathie in der weiteren Bevölkerung genießt. Die konservative Oppositionsführerin Kemi Badenoch hat bereits ein Verbot aller Ärztestreiks verlangt.

Tatsächlich ist inzwischen auch die Basis des Streiks beträchtlich geschrumpft. Während 2023 noch rund 70 Prozent aller dem Ärztebund angehörenden Assistenzärztinnen und -ärzte für Streik stimmten, waren es diesmal nur noch knapp unter 50 Prozent.

Geringere Beteiligung als in den Vorjahren

Übereinstimmend berichteten Klinik-Leitungen am Montag, dass seit Beginn des Streiks offenbar weniger Ärztinnen und Ärzte als in den Vorjahren wirklich in den Ausstand traten. Die Kliniken suchen diesmal nach Kräften, den Betrieb am Laufen zu halten und weniger Termine abzusagen als voriges Mal.

Besorgnis herrscht unterdessen darüber, dass die „junior doctors“ nach Beendigung ihres Ausstands am Mittwoch gleich neue Streiks ankündigen und ihnen andere Berufsgruppen folgen könnten. Der zentrale Verband der Krankenschwestern und Pfleger zum Beispiel, das Royal College of Nursing, hält nach einer Mitglieder-Befragung die Gehaltserhöhungen von 3,6 Prozent für völlig ungenügend, die ihnen die Regierung in Aussicht gestellt hat.

Viele Britinnen und Briten befürchten nun, dass es mit dem britischen Gesundheitswesen statt bergauf schon wieder bergab gehen könnte. Der Streik der Assistenzärzte, klagt Minister Streeting, zeige leider „totale Geringschätzung für Patienten – und für die weitere Genesung des NHS“.