Eine Baugrube kann Ödnis sein – oder ein Quell für Kreativität. Als der Münchner Zwischennutzungs-Routinier Michi Kern vor wenigen Monaten zur Brache im Norden des Olympischen Dorfes auf dem ehemaligen Firmengelände von Knorr-Bremse gerufen wurde, dachte er zuerst: „Egal, was hier passiert: Es muss groß sein!“
40 000 Quadratmeter Kiesfläche, teilweise vier Meter abgesenkt, lagen vor ihm, kein einziges Gebäude. Zuerst hatte er – angeregt von einem Madonna-Songtitel in einem Buch – den Namen für das Projekt: „Lucky Star“. Dann die Idee für eine künstlerische Intervention. Und schnell auch ein Architekturbüro, das seine Vision durchplanen soll: die mit temporärer, soziokultureller Architektur erfahrenen MVRDV aus Rotterdam.
Die zeichneten erst einmal wie in einer Kinderkritzelei „ganz plakativ“ einen blauen Stern in eine Skizze, die Betty Dragan von MVRDV nun bei einer ersten Medienbegehung zeigte. Sie zogen noch ein wenig an den Zacken, verteilten „wie Sternenstaub“ oder „Konfetti“ blaue Aktionsfläche drumherum.
Und genau so sieht das Gelände zwei Tage, bevor es nach nur neun Wochen Bauzeit losgeht, von oben aus: wie ein Landeplatz für eine außerirdische Sternenflotte. Der Stern überspannt die Baugrube auf einer Gerüstkonstruktion. Die „begehbare Skulptur“ ist ein fünf Meter breiter, mit blauem Teppich belegter fünfzackiger Steg, auf 450 Metern rundum begehbar. Was man darauf machen kann? „Lustwandeln“, empfiehlt Betreiber Michi Kern.
Viel Platz zum „Lustwandeln“: „Lucky Star“-Betreiber Michi Kern auf dem fünf Meter breiten Steg, auf dem auch Sport getrieben werden darf – solange der blaue Teppich nicht darunter leidet. (Foto: Catherina Hess)
Natürlich kann man auf der „Super Structure“ auch Joggen, Brotzeit machen an Tischen und Bänken und schauen, was sich darunter in der Baugrube abspielt. Und darin soll’s wurlen. Denn der Lucky Star soll ein sozialer Spielplatz sein, wie zuvor von Kerns Entwicklungsteam „This is really happening“ beim Sugar Mountain in Sendling und aktuell im Pinapple Park in der ehemaligen Paketposthalle verwirklicht – Orte, an denen Menschen „zusammenkommen, spielen, entspannen, neues entdecken“, mit Schwerpunkt auf Freizeit- und Sportaktivitäten, aber auch mit Gastronomie und Kultur. Hier in Milbertshofen nun erstmals rein open-air, mit der U3 (Oberwiesenfeld) in 13 Minuten vom Marienplatz aus zu erreichen, und das volle zwei Jahre lang.
Am 1. August wird es losgehen, täglich von 10 bis 22 Uhr, mit einem Dutzend Plätzen für Paddel-Tennis, dem spanischen Trendsport, nach dem alle gerade verrückt zu sein scheinen. Bald kommen Pickleball-Courts (eine noch niederschwelligere Variante davon) dazu und Bahnen für Winter- und Sommer-Eisstockschießen. Diese Angebote kann man per App reservieren und bezahlen (automatisch geht abends das Licht an).
Landeplatz für Außerirdische? Die begehbare Skulptur „Lucky Star“ fängt ebenerdig an und spannt sich dann auf einem Gerüst über die Baugrube. (Foto: Catherina Hess)
Vieles anderes, was noch kommen soll, ist gratis: Basket-, Beach- und Fußball, Tischtennis, Boule – man denke an etwa 50 Konfetti-Schnipsel rund ums Sterngerüst – sollen Menschen aller Generationen und Schichten anlocken. Demnächst pumpt der Anbieter Flippyland hier einen Hüpfburgen-Park auf – auf 2500 Quadratmetern. Es gibt Crossfit- und Yoga-Kurse und Foodtruckfestivals. Auf einer Bühne innerhalb des Sterns soll es auch „Live-Entertainment“ geben, „eher Singer-Songwriter bis 22 Uhr, nichts, wo gebrüllt wird“, vielleicht auch ein, zwei Musik-Open-Airs im Jahr, sagt Kern.
Aber, betont er, der Lucky Star ist (wie auch die Paketposthalle) „kein Festivalgelände“. Er verknüpft das mit einem Appell an Stadt und Freistaat: „Wir brauchen aber so ein Festivalgelände in München, der Bedarf ist da.“ München oder Bayern müssten nur eine Fläche freigeben. „Wir haben gezeigt, wie schnell man darauf etwas herstellen kann.“
Wie ein blauer Stern mit Sternenstaub sollen sich die Aktionsflächen auf dem Baugelände ausbreiten – so hat es das Architekturbüro MVRDV aus Rotterdam geplant. (Foto: MVRDV)
Bisher gehen solche Bespielungen liegengelassener Flächen von Unternehmen aus, wie in dem Fall dem Immobilienentwicklickler OPES: Der will hier in der Grube bis 2031 sieben neue Gebäude errichten, mit den schon fertigen soll „Das Anders – die Lebenswerk-Stadt“ entstehen. Das neue Quartier soll Wohnen (für 800 Menschen), Arbeiten, Einkaufen, Vergnügen und Erholung mit hohen Häusern und viel Grün verzahnen.
Und dieses Miteinander soll ein bisschen „schon jetzt erlebbar sein“, wie OPES-Geschäftsführer Jan-Felix Jacob sagt. So finanzieren sie auch den Lucky Star, „als unseren Beitrag, die Nachbarschaft hier im Norden zu beleben“. Wie viel sie sich den Beitrag kosten lassen, umschifft er, in einem Faktenblatt zum temporären Bau steht: „Auftragsvolumen: ca. 1,0 Millionen Euro“.
Ein Dutzend Plätze für den Trendsport Paddel-Tennis sind schon fertig, wie OPES-Geschäftsführer Jan-Felix Jacob (links) und Michi Kern stolz zeigen. (Foto: Catherina Hess)
Den Betrieb mit kleinem Team will dann Michi Kern selbst finanzieren. Was gar nicht so einfach ist, wenn vieles gratis sein soll und man alle einladen möchte auf diesem „Experimentierfeld“, sich zu verwirklichen. Auch die Zucchini und Gurken, die hier mal wuchern sollen wie bei seinem anderen Projekt Neuperland, sollen nicht verkauft, sondern von den Nachbarskindern frei geerntet werden. Aber es wird Partner geben, die Pacht bezahlen, die den Stern vielleicht für eine Firmenfeier buchen, BMW will wohl auch seinen Mini hier auf der IAA präsentieren.
Die freie Finanzierung ist Teil des Konzepts: „Wir versuchen zu beweisen, dass sich solche soziokulturellen Projekte selbst tragen können. Bisher hat das geklappt“, sagt Kern – wieder ein Wink an Stadt und Freistaat, ihre öden Brachen Menschen mit Ideen zu überlassen: Kern denkt an die Baugrube des auf Eis liegenden Konzerthauses im Werksviertel, und auch auf der Theresienwiese sei viel Platz für temporäre Architektur.