Nicht alle hat die Mitteilung des Nürnberger Tiergartens am frühen Dienstagmorgen erreicht. Der Zoo sei „aus betrieblichen Gründen“ geschlossen, heißt es darin kryptisch. Weitere Auskünfte erteilt eine Sprecherin auf Nachfrage nicht. Erst am Nachmittag kommt die Mitteilung, dass zwölf Paviane getötet wurden.

Bei einigen – verhinderten – Zoobesuchern herrscht deshalb Konfusion, als sie am Morgen aus der Straßenbahn aussteigen und sogleich ein Hinweisschild entdecken: „Tiergarten geschlossen.“

„Sind die Tiger ausgebrochen?“, fragt eine Frau ratlos. Der Tramfahrer ist ebenfalls ausgestiegen und offenkundig besser informiert. „Die wollen ihre Paviane loswerden“, sagt er. So würden sie das im Tiergarten natürlich nicht formulieren. Im Kern trifft die Aussage des Fahrers aber zu.

Tiergartendirektor Dag Encke im SZ-Interview

:„Wir werden Paviane töten müssen“

Darf der Mensch Primaten töten? Zum Zweck des „Populationsmanagements“ wäre das einmalig in Deutschland.  Warum Tiergartenchef Dag Encke das Töten von Pavianen trotzdem für vertretbar hält – und es wohl so kommen dürfte.

SZ PlusInterview von Olaf Przybilla

Das Gehege der Guinea-Paviane im Nürnberger Tiergarten ist seit geraumer Zeit überbelegt, statt der vorgesehenen 25 lebten dort zuletzt 45 Affen. Das führt zu Konflikten in der Gruppe. Weil alle anderen Alternativen – Gehegeausbau, Verhütung, Kastration, Auswilderung oder Umsiedlung – aus Sicht des Zoos nicht praktikabel oder erschöpft sind, bereitet Direktor Dag Encke die Öffentlichkeit seit Monaten auf die bevorstehende Tötung einiger der Tiere vor.

Im SZ-Gespräch hatte Encke bereits im Februar vergangenen Jahres gesagt, er habe „lange sehr gehadert mit diesem unguten Gefühl“, die Paviane zu töten. Er sei Zoologe geworden, „um unbedingt einen Beitrag zum Artenschutz zu leisten“. Er habe aber erkennen müssen, dass das Töten von Tieren immer dazugehöre. Artenschutz sei ohne dieses Instrument in Zoos nicht möglich.

Verhütung bei einigen Pavian-Weibchen habe nicht wie gewünscht funktioniert und zudem die Struktur der Gruppe „nachhaltig beschädigt“, weil einige Männchen mangels Geschlechtspartnerin aggressiv geworden seien. Ein Tier musste wegen Verletzungen nach einem Kampf eingeschläfert werden. Durch Kastration ginge die Tierart verloren, die europaweit nur in acht Zoos gehalten wird, argumentierte Encke und erklärte hinsichtlich der verbleibenden Alternativen: Andere geeignete Zoos oder Aufnahmestationen habe der Tiergarten nicht gefunden, ein teurer Ausbau des Geheges ginge zulasten anderer gefährdeter Tiere und in der Wildnis würden die Guinea-Paviane nicht überleben. Als Konsequenz blieb aus seiner Sicht die Tötung. „Wenn wir Arten erhalten wollen, dann müssen wir uns überwinden, vernünftige Dinge zu tun, die uns moralisch widerstreben“, sagte er.

Eine Aktivistin hat sich auf dem Gelände festgeklebt.Eine Aktivistin hat sich auf dem Gelände festgeklebt. (Foto: Max Weinhold)Die Polizei führt Aktivisten ab,  die das Gelände gestürmt haben.Die Polizei führt Aktivisten ab,  die das Gelände gestürmt haben. (Foto: Max Weinhold)Ein Schild weist auf daraufhin, dass der Tiergarten Nürnberg geschlossen ist.  Die Polizei ist vor Ort.Ein Schild weist auf daraufhin, dass der Tiergarten Nürnberg geschlossen ist.  Die Polizei ist vor Ort. (Foto: Daniel Löb/dpa)

Am Dienstag ist dieser Tag gekommen: Unter der Überschrift „Tiergarten Nürnberg verkleinert Paviangruppe durch Tötung“ teilt die Stadt am Nachmittag mit, dass die Gruppe um zwölf Tiere verkleinert worden sei. Alles hatte bereits darauf hingedeutet: die jüngste Ankündigung des Zoo-Chefs, „in die genauen Vorbereitungen der Tötung“ gehen zu müssen. Und das große Aufgebot von Polizei und privatem Sicherheitsdienst am Eingang des Tiergartens – wohl in Erwartung erneuten Protests von Tierrechtsaktivisten, der zuletzt zugenommen hatte. Verhindern können sie nicht, dass am Nachmittag sieben von ihnen über eine Mauer klettern und auf das Gelände stürmen. Die Polizei nimmt sie schnell fest und ermittelt wegen Hausfriedensbruchs.

Schon am Morgen hat sich die Nachricht der bevorstehenden Tötung unter den Aktivisten schnell verbreitet. Gegen 9.30 Uhr treffen die ersten ein. Auf der ganzen Welt werde über die Nürnberger Paviane berichtet, sagt eine von ihnen, selbst in der South China Morning Post habe sie über den Fall gelesen. Aus ihrer Sicht steht Oberbürgermeister Marcus König (CSU) in der Pflicht, seinen Einfluss beim städtischen Tiergarten geltend zu machen und die Tötung zu verhindern. „Nürnberg sollte nicht international bekannt sein als die Stadt, in der Affen getötet werden“, sagt sie. Und eine Umsiedlung in eine Auffangstation sei allemal besser, als die Affen zu töten, selbst wenn die Sozialstruktur in der neuen Gruppe nicht optimal sein sollte, meint sie.

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Ute W., eine andere Aktivistin, hat ein Plakat vorbereitet, darauf ein eingesperrter Affe mit Waffe und eine Anklage: „Wer schweigt, macht sich mitschuldig“, steht darauf. W. schweigt nicht, „unfassbar“ sei die Entscheidung des Tiergartens. Aus ihrer Sicht sind Zoos grundsätzlich der falsche Weg, um Arten zu erhalten. „Man sollte den Lebensraum der Tiere schützen und das Geld dort reinpulvern statt in Zoos. Und wenn eine Art ausstirbt, dann stirbt sie halt aus.“

Während die Frau das sagt, läuft eine Schulklasse vorbei. „Guck dir das an, die schleppen die Kinder hierher, das geht mir an die Substanz“, sagt sie, ihre Stimme bebt, ihr kommen die Tränen.

Wie die Schulklasse stehen am Dienstag viele vor verschlossenen Türen und den Hinweisschildern. Die einzigen Tiere, die sie zu sehen bekommen, sind die drei Erdmännchen auf der Rückseite der Infotafeln. Verständnis bringen dafür nicht alle auf.

Gegen 9.30 Uhr trafen die ersten Aktivisten ein.Gegen 9.30 Uhr trafen die ersten Aktivisten ein. (Foto: Max Weinhold)Tierschützer protestieren am Dienstag  vor dem Nürnberger Tiergarten.Tierschützer protestieren am Dienstag  vor dem Nürnberger Tiergarten. (Foto: Max Weinhold)

Den Tiergarten so kurzfristig zu schließen, kann etwa Michael Ritter nicht nachvollziehen. Der Lehrer wollte den Zoo am Morgen mit seiner achten Klasse der Ludwig-Uhland-Schule besuchen, auf dem Hinweg habe er von der Schließung erfahren. Enttäuscht seien die Jugendlichen gewesen und verständnislos ist der Lehrer, als er nach einer spontanen Wanderung mit den Schülerinnen und Schülern wieder am Tiergarten angelangt ist. Verständnislos, dass es so weit kommen konnte. Der Zoo hätte sich früher um eine andere Lösung bemühen müssen, findet er.

Umsonst angereist sind auch die Großeltern und ihre Enkelin aus Crailsheim. „Das geht gar nicht, das sollen sie nachts machen und nicht die Leute von weit herkommen lassen“, beschwert sich die Großmutter. Ebenso wenig Verständnis hat sie für die Tötung der Tiere. „Das muss ein Zoo im Vorfeld regeln und es nicht so weit kommen lassen.“

Aktivistin Ute W. glaubt, dass das Vorgehen im Tiergarten Nachahmer finden würde, sollte es rechtlich Bestand haben. „In den anderen Zoos sitzen die schon in den Startlöchern und warten darauf, auch ihre alten Tiere loszuwerden“, sagt sie.

W. und die anderen Aktivisten wollen das nicht akzeptieren. „Wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen“, ruft eine von ihnen, adressiert an Direktor Encke, in ein Megafon und kündigt an: „Wir werden alle rechtlichen Mittel ausschöpfen!“ Weitere Tierschützer haben ebenfalls Strafanzeigen angekündigt.