40 Künstler zeigen, was Kunst mit Zeit macht – und was Zeit mit Kunst macht. Kurator Dr. Peter Forster traf einen Ton zwischen Ironie, Ernst und Kunstgeschichte.

„Ich dachte, ich soll ein Grußwort halten.“ Mit diesem Satz begann Dr. Peter Forster, Kurator am Museum Wiesbaden, seinen Beitrag zur Eröffnung der Ausstellung „Lauf der Zeit“ – und nahm das Publikum mit auf eine ebenso kluge wie unterhaltsame Reise durch sieben Jahrzehnte Kunstgeschichte.

Statt eines kurzen Willkommensgrußes, wie ursprünglich vermutet, stand auf der Einladungskarte vom Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Wiesbaden e.V. – kurz BBK – „Einführung“. Eine formale Verschiebung, wie sie auf den ersten Blick unwichtig erscheinen mag – für einen Kunsthistoriker allerdings der Auftakt zu einem Wechselspiel zwischen Zeit, Erwartung und Kontext: „Eine Einführung bedeutet mehr als ein paar freundliche Worte“, sagte Forster trocken. „Sie verpflichtet. Und ich war verpflichtet.“

Einladung zur Zumutung

Forster nahm diese Verpflichtung ernst – und verwandelte die Vernissage in einen pointierten, gelehrten und durchaus humorvollen Streifzug durch Kunst und Zeit. Er begann mit der Kunst als Auswahl: „Über 40 künstlerische Positionen, alle mit Qualität, alle mit Anspruch – aber der Platz im Rathaus ist begrenzt. Also mussten wir reduzieren, fokussieren, kürzen.“

Die Ausstellung „Lauf der Zeit“ zeige Werke aus Malerei, Fotografie, Skulptur, Druckgrafik und interdisziplinären Medien. Sie alle, so Forster, seien ein Echo auf das, was der BBK in den vergangenen sieben Jahrzehnten aufgebaut habe: eine Plattform für Sichtbarkeit, eine Struktur für Austausch – und eine Bühne für Fragen nach Zeit.

Kunst als Zeitmesser

Forster ging nicht den Weg der gefälligen Kunstbeschreibung. Stattdessen öffnete er historische, philosophische und sehr persönliche Assoziationsräume. Er sprach von Tizian, dessen Allegorie der Zeit, – drei Generationen in einem Bild vereint: Jugend, Reife, Alter. Ein politisches Bild, sagte Forster. Es zeige Macht, Erbe und Vergänglichkeit zugleich.

Dann wechselte er ins 20. Jahrhundert: Marina Abramović, die in The Artist is Present sieben Stunden lang schweigend Blickkontakt mit Fremden hielt – ein physisches Aushalten von Zeit, ein performatives Verdichten von Dauer. Oder Felix González-Torres, dessen Arbeit zwei synchronisierte Wanduhren zeigt, die mit der Zeit auseinanderlaufen – ein poetisches Bild für Liebe, Verlust und das individuelle Empfinden von Zeit.

„Zeit“, sagte Forster, „ist nie neutral. Sie ist immer persönlich, politisch, existenziell.“

„Zeit ist nie neutral“ – Dr. Peter Forster, Kurator des Museums Wiesbaden, setzte mit seiner Einführung zur Ausstellung „Lauf der Zeit“ einen pointierten kunsthistorischen Akzent. ©2025 Volker Watschounek

Ein Totenschädel für die Gegenwart

Besonders eindrucksvoll war der Moment, in dem Forster einen Schädel zeigte – aus der naturkundlichen Sammlung des Museums. Kein Vanitas-Motiv im klassischen Sinne, sondern eine nüchterne, fast stille Mahnung an das, was Zeit immer auch bedeutet: Endlichkeit.

„Es ist vielleicht die direkteste Darstellung von Zeit, die wir kennen“, sagte er. „Nicht als Kalenderblatt oder Uhr – sondern als das, was bleibt, wenn alles andere vergeht.“

Ein Verband im Wandel – und mit Haltung

Seit 70 Jahren ist der BBK Wiesbaden eine Stimme für die bildenden Künstler der Region. Gegründet 1956 im Museum Wiesbaden, hat sich der Verband stets für Sichtbarkeit, Austausch und kulturpolitisches Engagement eingesetzt. Die aktuelle Ausstellung unterstreicht das: nicht nur durch Vielfalt, sondern durch Tiefe.

„Kunst braucht Öffentlichkeit“, sagte BBK-Vorstandsmitglied Daniela Sprenger-Henze. „Und Kunst braucht Menschen, die sich mit ihr auseinandersetzen.“

Dass die Ausstellung Lauf der Zeit, – nur eine Woche läuft, mag paradox erscheinen – bei einem Jubiläum, das auf sieben Jahrzehnte zurückblickt. Doch auch das ist Teil der Botschaft: Zeit ist endlich. Genau deshalb lohnt es sich, sie mit Kunst zu füllen.

Die BBK-Ausstellung als Zeitfenster

Die Ausstellung im Rathaus Wiesbaden sei, so Forster, kein abgeschlossenes Narrativ, sondern ein „Zeitfenster“ – für Dialoge, Betrachtung, Erkenntnisse. Sie zeige nicht das Ganze, sondern ein Fragment. Und gerade deshalb sei sie so nah an dem, was Zeit eigentlich ist: eine Aneinanderreihung von Momenten, Lücken und Bedeutungen.

Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende formulierte es in seiner Begrüßung ähnlich: Das Rathaus sei kein Verwaltungsbau, sondern ein Ort der Stadtgesellschaft – offen für Diskurs, Begegnung und eben: für Kunst.

Foto – Ausstellungseröffnung im Rathaus ©2025 Volker Watschounek

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