Die Bilder, die uns täglich aus Gaza erreichen, sind verstörend: Verletzungen, Hunger, Tod. Das Leid der Bevölkerung hat schon lange ein Ausmaß angenommen, das durch nichts zu rechtfertigen ist. Umso verständlicher ist es, dass in Berlin nun Forderungen laut werden, neben der israelischen Flagge auch die palästinensische Flagge am Roten Rathaus zu hissen – als Zeichen der Solidarität mit den zahlreichen Opfern dieses Krieges.
Es gehe um ein „klares Signal der Anteilnahme mit allen, die unter diesem Krieg leiden“, sagte die Berliner Landesvorsitzende der Linken, Kerstin Wolter, im Interview mit dem Tagesspiegel Anfang der Woche. Auch Berliner Politiker von SPD und Grünen schlossen sich der Forderung an.
Tatsächlich ist diese Anteilnahme dringender geboten denn je. Dennoch ist die Forderung, die palästinensische Flagge am Roten Rathaus zu zeigen, falsch.
Der Morgenlage Newsletter
Die wichtigsten Nachrichten des Tages — morgens direkt in Ihr E-Mail-Postfach.
Um zu dieser Einsicht zu gelangen, muss man gar keine argumentativen Verrenkungen unternehmen – etwa, indem man darauf verweist, dass Palästina nun mal kein von Deutschland anerkannter Staat ist. Solidarität sollte nicht an protokollarischen Hürden scheitern.
Der entscheidende Grund, warum dieser Vorstoß keine gute Idee ist, ist und bleibt die Hamas – jene Terrororganisation, die für den größten Massenmord an Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust verantwortlich ist.
Daniel Böldt Daniel Böldt berichtet für den Tagesspiegel über die Berliner Landespolitik. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit den Themen Bauen und Wohnen sowie Finanzpolitik. Er hat Politik und Soziologie in Potsdam studiert und anschließend eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule absolviert.
Selbstverständlich kann man Palästina nicht gleichsetzen mit der Hamas. Und die Hamas umgekehrt nicht mit Palästina – geschweige denn mit der Gesamtheit der dortigen Bevölkerung. Wahr ist aber auch: Die Hamas ist neben der Fatah die tragende politische Kraft in Palästina. Erstere insbesondere im Gaza-Streifen, wo sie seit fast 20 Jahren autoritär und mittlerweile ohne demokratische Legitimation regiert.
Dass vor einem Regierungssitz in Berlin eine Flagge weht, die politisch derzeit so eng verwoben ist mit einer Organisation, deren Hauptziel immer noch die Auslöschung Israels ist, ist eine untragbare Vorstellung.
Eine Flagge – zu viele Bedeutungen
Wie so oft in diesem komplexen und unübersichtlichen Konflikt ist diese Einsicht aber auch nur ein Teil der Realität. Wichtig ist daher zu betonen, dass sie sich nicht allgemein gegen die palästinensische Flagge als Symbol richtet.
Selbstverständlich ist es absolut legitim, Palästina-Flaggen auf Demonstrationen zu schwenken. Menschen haben die Freiheit, Symbole für sich zu reklamieren, bestimmte Konnotationen auszublenden. Die Hamas hat sicher kein Anrecht darauf, die palästinensischen Farben für ihr mörderisches Handeln zu vereinnahmen. Die Flagge kann sehr wohl auch als Freiheitssymbol verstanden werden und ja, auch als legitimer Widerstand gegen die israelische Besatzung im Westjordanland.
Abendlage Newsletter
Die wichtigsten Nachrichten des Tages — abends direkt in Ihr E-Mail-Postfach.
Ein Staat – zumal Deutschland – muss in diesem Fall aber andere Maßstäbe anlegen. Die prinzipielle Möglichkeit, dass mit der Palästina-Flagge eine Abkehr vom Existenzrecht Israels symbolisiert werden kann, reicht aus, um sie als offizielle Solidaritätsbekundung auszuschließen.
Bleibt der Vorwurf der doppelten Standards. Müsste der gleiche Maßstab dann nicht auch für die israelische Flagge am Roten Rathaus gelten? Eine Flagge, die nicht nur die israelische Bevölkerung, sondern eben auch eine rechtsnationale Regierung repräsentiert, die offenbar gezielt Hunger als Waffe einsetzt? Der Einwand ist berechtigt und die logische Konsequenz daraus müsste lauten, dass man auch auf die israelische Flagge verzichtet.
Das Problem ist nur: Die israelische Flagge hängt bereits und wurde vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) an ein konkretes Ereignis geknüpft. Vor einem Jahr betonte Wegner, dass die Flagge so lange vor dem Roten Rathaus wehen werde, bis alle noch verbliebenen israelischen Geiseln frei oder ihre Schicksale aufgeklärt sind. Dahinter kann Wegner nicht zurück. Ein Einholen der Flagge käme einer Entsolidarisierung mit den Geiseln gleich.
Daraus ergibt sich ein nicht zu leugnender Widerspruch im Umgang mit der israelischen und palästinensischen Flagge. Die Aufgabe von Wegner wäre es, dazu nicht zu schweigen, wie er es momentan tut, sondern zu erklären, warum Berlin diesen Widerspruch aushalten kann und muss.
Mehr zum Thema „Es darf nicht zwischen Opfern unterschieden werden“ Linke, Grüne und SPD für Palästina-Flagge vor Berlins Rotem Rathaus Israel lässt UN-Hilfe nach Gaza Netanjahu hat aus taktischen Gründen zugestimmt Israel kündigt „humanitäre Feuerpausen“ an Wird sich die Lage in Gaza nun bessern?
Zudem wäre es ein guter Anlass, generell über eine Frage nachzudenken: Inwiefern taugen Nationalflaggen, deren Symbolwirkung niemand auf Dauer steuern kann, als Solidaritätsbekundungen eines Regierenden Bürgermeisters?