- Den „Knödel-Express“ durch ein modernes Bordbistro zu ersetzen, sei ein Kulturgut-Verlust, beklagt der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudiš.
- Trotz Protesten mustern die Tschechischen Eisenbahnen die traditionellen Speisewagen seit 26. Juli aus, für einige gibt es eine Gnadenfrist.
- Rudiš hat auf seinem „Stammplatz“ im Speisewagen auch das Futter für viele Geschichten gefunden.
Der Schriftsteller Jaroslav Rudiš plädiert für den dauerhaften Erhalt der traditionellen Speisewagen in den Zügen der Tschechischen Eisenbahnen (Ceske drahy – CD) zwischen Prag und Berlin. Aus seiner Sicht handelt es sich beim legendären „Knödel-Express“, in dem das Schnitzel noch in der Bordküche geklopft und das Bier frisch gezapft wird, um ein Kulturgut von europäischem Rang. Der „unglaublich tolle Service“ mache aus einer Fahrt zwischen Prag, Berlin oder Hamburg erst wirklich eine Reise, sagt er MDR KULTUR.
Gnadenfrist für „Knödel-Express“
Vor einer Woche hatte das Unternehmen angekündigt, einen Teil der beliebten Speisewagen erhalten zu wollen. Darin sieht Rudiš jedoch nur eine Gnadenfrist, obzwar der Protest gegen die Abschaffung vor allem in den sozialen Medien die Bahngesellschaft wohl überrascht habe: „Ich vermute, dass noch nicht genügend neue Bistro-Wagen zur Verfügung stehen.“
Europas alte Speisewagen-Kultur
Die Tschechischen Eisenbahnen ersetzen ihre bisherigen Wagen seit dem 26. Juli durch moderne Comfort-Jet-Züge. Die können 230 statt 200 Kilometer pro Stunde fahren, 100 Fahrgäste mehr und Fahrräder transportieren. Für Rudiš geht der Zugewinn an Tempo und Kapazität zu Lasten der „alten Speisewagenkultur“, die in Europa fast überall verloren gegangen sei.
Neben seinen Nostalgiegefühlen für die „rollende tschechische Kneipe“, in der noch ein Wirt oder eine Wirtin über die Etikette – etwa ein weißes Tuch über dem Tisch – wacht, bangt Rudiš auch aus professionellen Gründen um seinen Speisewagen-„Stammplatz“: „Ich hatte da viele nette Begegnungen, die ich später literarisch verarbeitet habe.“
Ich hatte da viele nette Begegnungen, die ich literarisch verarbeitet habe.
Jaroslav Rudiš
Schriftsteller
Menschen, Orte, Landschaften im Zug erkunden
Tatsächlich spielt das Bahnfahren im Œuvre von Jaroslav Rudiš eine große Rolle. Nach eigenem Bekunden ist es seine liebste Art, sich auf andere Menschen, Orte oder Landschaften einzulassen und ihre Geschichte zu erforschen. Seine zusammen mit dem Zeichner Jaromír 99 realisierte Graphic Novel um den hellsichtigen Eisenbahner „Alois Nebel“ war nicht nur in seiner Heimat ein großer Erfolg.
In seinem Roman „Winterbergs letzte Reise“ wird die Bahnfahrt eines Hundertjährigen zur Expedition in die kriegerische Geschichte Europas. Nicht zuletzt hat Rudiš, der einst selbst Lokführer werden wollte, eine „Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen“ veröffentlicht.
Die beliebten traditionellen Speisewagen werden laut Ceske drahy übrigens nicht ausgemustert, sondern künftig auf tschechischen Inlandsverbindungen eingesetzt.
Quelle: MDR KULTUR (Annett Mautner), dpa, Ceske drahy, Redaktionelle Bearbeitung: ks