1. Startseite
  2. Wirtschaft

DruckenTeilen

Eine erste Einigung im Handelskonflikt mit den USA steht. Doch das Ergebnis zeigt: Die EU zahlt viel Lehrgeld im Umgang mit Donald Trump – und Großbritannien ist der heimliche Gewinner.

Turnberry – Am frühen Sonntagabend feierte Ursula von der Leyen im schottischen Turnberry den Zoll-Deal mit Donald Trump auf X als den „größten Handelsdeal aller Zeiten“. Damit lag die EU-Kommissionspräsidentin gar nicht mal falsch: Immerhin stehen die Europäische Union und die USA zusammen für rund 44 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts. Dennoch hagelte es Kritik, vor allem aus der Wirtschaft, Opposition und von Ökonomen. Der US-Präsident habe von der Leyen über den Tisch gezogen – insbesondere, weil das Vereinigte Königreich wenige Wochen zuvor ein Abkommen mit deutlich günstigeren Bedingungen abgeschlossen habe.

Kritik an Zoll-Deal mit Trump: Großbritannien beweist größeres Verhandlungsgeschick als von der Leyen

Laut dem britischen Beratungsunternehmen Capital Economics könnte der durchschnittliche Zollsatz für EU-Exporte von 1,2 auf nahezu 17,5 Prozent steigen – wodurch das BIP der EU um bis zu 0,5 Prozent geringer ausfallen könnte. Julian Hinz, Leiter des Forschungszentrums Handelspolitik am Kiel Institut für Weltwirtschaft, geht gegenüber der Zeit von einem Wachstumsrückgang der deutschen Wirtschaft um 0,15 Prozentpunkte aus. Auch deshalb zeigte sich etwa von der Leyens Parteikollege von der EVP, Manfred Weber, „nicht begeistert“ vom dem Deal, bezeichnete ihn gegenüber dem ZDF aber gleichzeitig als einen „pragmatischen Blick auf die Realität“. Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament, wird auf X sogar noch deutlicher: „Es sind eindeutig Zugeständnisse gemacht worden, die nur schwer zu ertragen sind. Deal mit erheblichen Ungleichgewicht.“

US-Präsident Trump trifft von der Leyen in SchottlandEU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Gespräch mit US-Präsident Donald Trump. © Jacquelyn Martin/AP/dpa

Der Kern generellen Kritik lautet, dass die britische Wirtschaft in allen Schlüsselindustrien wie Automobil, Stahl und Aluminium, Pharma und Luftfahrt geringere Zölle zahlen müsse als die EU. Von der Leyen sprach hingegen von einem Deal, der für die EU künftig deutlich Spielräume bewahrt als eine Eskalation mit Trumps USA.

Günstiger für Großbritannien: Trumps harte Zölle für die EU in der Automobilindustrie

Im Automobilsektor handelte Premier Keir Starmer einen pauschalen Zollsatz von zehn Prozent aus. Dieser setzt sich aus einem regulären Kfz-Zoll von 2,5 Prozent und einem speziellen UK-Aufschlag von 7,5 Prozent zusammen – allerdings nur für die ersten 100.000 Fahrzeuge pro Jahr. Alle weiteren unterliegen einem Strafzoll von 25 Prozent. Für die EU beanschlagt Trump einen einheitlichen Zollsatz von 15 Prozent, der jedoch unabhängig von der Menge der Importe dauerhaft gilt. Zuletzt lag dieser bei 27,5 Prozent. Der vermeintliche Vorteil der EU trügt allerdings angesichts der konkreten Exportzahlen: Das Vereinigte Königreich exportierte 2024 rund 100.000 Fahrzeuge in die USA – exakt das Volumen, das durch das Zollkontingent abgedeckt wird. Die EU verkaufte 2024 rund 760.000 Fahrzeuge in die USA. Der Zollvergleich auf einen Blick:

  • UK–USA: 10 % Zoll auf bis zu 100.000 Autos pro Jahr, danach 25 %
  • EU–USA: Pauschaler Zollsatz von 15 % ohne Mengenbegrenzung

Auch Helena Melnikov, Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), warnt in einer Mitteilung: „Gerade für die Automobilindustrie und andere Schlüsselbranchen bedeutet das massive Mehrbelastungen.“

Ungewissheit und Strafzölle für die EU: Stahl- und Aluminiumindustrie gerät unter massiven Druck

Undurchsichtiger ist die Situation bei britischem Stahl. Der britischen Regierung gelang es vorerst, den 50-prozentigen Strafzoll auf 25 Prozent zu verringern. Doch die Verhandlungen im Hintergrund laufen noch. Allerdings ist auch hier ein Kontingentmodell geplant, das eine gewisse Menge an US-Importen gänzlich von Zöllen befreien könnte. Eine ähnliche Einigung mit einem Quotensystem ist auch für die EU vorgesehen – konkrete Zollsätze sind bislang jedoch nicht bekannt. Bis zu einem konkreten Ergebnis bleiben die Zölle auf EU-Exporte bei den seit 4. Juni gültigen 50 Prozent, was langfristig für die Wirtschaft ein Desaster wäre.

Die USA waren laut dem Statistischen Bundesamt 2024 mit Eisen- und Stahl-Importen im Wert von 60,6 Milliarden Euro der der fünftwichtigste Abnehmer der EU. Bei Aluminium ist das Volumen mit 17,7 Milliarden Euro etwas geringer.

Strafzölle auf Arzneimittel: Viel Interpretationsspielraum zwischen Trump und von der Leyen

An dieser Stelle könnte die europäische Pharmaindustrie empfindlich getroffen werden – sofern man Trumps Aussagen glauben schenken kann. Während von der Leyen davon ausgeht, dass pharmazeutische Produkte unter den pauschalen 15-Prozent-Zollsatz fallen, deutete der US-Präsident am Sonntag an, dass eine Extra-Marge fällig werde. Ähnliche Unklarheiten betreffen Branchen wie Wein, Spirituosen und Spezialchemikalien. Eine konsolidierte Produktliste liegt bislang nicht vor. Für britische Unternehmen könnte im Pharmasektor dagegen eine vollständige Zollfreiheit gelten – doch auch hier basiert dies bislang nur auf Trumps Wort, nicht auf vertraglichen Zusagen.

„Wir werden auch in Sachen Arzneimittel mit euch verhandeln. Und wir fühlen uns deutlich wohler dabei, dass euer Land Medikamente für Amerika entwickelt – im Vergleich zu manch anderen Ländern“, sagte der US-Präsident im Rahmen seines Besuchs in Schottland.

Gleichbehandlung bei Flugzeugen: EU und Vereintes Königreich mit Zollfreiheit in der Luftfahrtindustrie

In der Luftfahrt gelten für EU und UK im Handel mit den USA die gleichen Regeln: Beide Seiten einigten sich jeweils auf wechselseitige Zollfreiheit – sogenannte zero-for-zero tariffs auf Flugzeuge und deren Komponenten. Die Zölle entfallen unter anderem auf zivile Passagierflugzeuge, Triebwerke oder elektronische Navigationssysteme. Auch bestimmte Produkte aus dem Chemiesektor und der Landwirtschaft sind von der Regelung umfasst – eine Ausweitung auf weitere Warengruppen ist laut EU-Mitteilung möglich.

Ein Beispiel: Ein britisches oder deutsches Unternehmen, das ein in Großbritannien oder Deutschland gefertigtes Triebwerk für Verkehrsflugzeuge (HS 8411.91) in die USA exportiert, kann dies künftig zollfrei tun – sofern die zivile Verwendung eindeutig nachgewiesen ist. Unklar bleibt bislang, ob auch Produkte mit doppeltem Verwendungszweck wie Drohnen oder Ausrüstungen mit militärischer und ziviler Nutzung unter die vereinbarte Zollfreiheit fallen. Werkzeuge oder Maschinen zur Herstellung von Flugzeugteilen gelten dagegen nicht als Luftfahrtkomponenten und sind damit nicht von den Zollbefreiungen erfasst. Unternehmen aus der EU zahlen hier den pauschalen Zollsatz von 15 Prozent.

Großzügige Milliardenzusagen der EU: Investitionen und Energieimporte für Trump – unter Vorbehalt?

Zudem hat sich von der Leyen verpflichtet, dass die EU Investitionen in Höhe von 600 Milliarden US-Dollar in die Wirtschaft der USA sowie Energieimporte im Wert von 750 Milliarden US-Dollar bis 2028 tätigen müsse. Eine vergleichbare Vereinbarung existiert für das Vereinte Königreich dagegen nicht. Die Investitionen sollen vor allem in US-Energie, Industrie und Infrastruktur fließen – doch ob diese Summen tatsächlich realisiert werden, ist offen. Hinz hält das Investitionsvorhaben sogar für fraglich. Immerhin müssten diese Initiative von europäischen Firmen kommen – und nicht den politischen Organen in Brüssel. Trump dürfte diese Interpretation herzlich egal sein. Der US-Präsident feierte den Deal seinerseits mit denselben Worten wie von der Leyen als „biggest Deal ever“ – den größten Deal aller Zeiten.