Restmüll, Biomüll, Blaue Tonne, Gelber Sack: An die Choreografie der Mülltonnen haben sich die Bremer längst gewöhnt – spätestens der Blick in den Abfallkalender zeigt, welche Tonne abends an den Straßenrand geschoben werden muss. Aber was passiert eigentlich, wenn der Müllwagen all die alten Windeln, Pizzakartons, Kartoffelschalen und Zahnpastatuben geschluckt hat und damit von dannen fährt? Wohin mit dem Müll – darum geht es in der ersten Folge unserer neuen Serie.

Früher war die Sache einfach: Alles kommt in die Tonne und von dort auf die Mülldeponie. Doch mit den wachsenden Abfallbergen der Wohlstandsgesellschaft funktionierte die Methode „Aus den Augen, aus dem Sinn“ nicht mehr. Es begann das Zeitalter der Mülltrennung: Wiederverwertung und Recycling wurden beim Umgang mit dem Abfall zum erklärten Ziel. Auch die Inhalte Bremer Mülltonnen, -säcke und -container gehen seitdem getrennte Wege – die manchmal ganz schön weit sein können.

Die Graue Tonne und der Restmüll: Allen Trenn- und Sortierbemühungen der Bremer zum Trotz ist der „Restmüll“ mit gut 90.000 Tonnen im Jahr immer noch die größte Fraktion unter den Abfallsorten. Dafür hat er auch den kürzesten Weg zurückzulegen: Geleert wird die Graue Tonne von den Fahrzeugen der Abfalllogistik Bremen (ALB), einem Gemeinschaftsunternehmen des privaten Müllentsorgers Nehlsen und der Bremer Stadtreinigung. Nach der Leerung geht es direkt zum Müllheizkraftwerk an der Autobahn 27. Dort wird der Hausmüll verbrannt – der Energieversorger SWB erzeugt daraus Fernwärme und Strom.

Die Braune Tonne und der Biomüll: Knapp 25.000 Tonnen Nahrungsmittelreste und Küchenabfälle landen jährlich in der Braunen Tonne – wenn alle sich an die Regeln halten. Geleert werden die Tonnen ebenfalls von ALB – doch der Biomüll bleibt nicht in Bremen, sondern wird am Rande der Blocklanddeponie umgeladen und geht auf eine 120 Kilometer lange Reise: Für die Verwertung ist der private Müllentsorger Remondis zuständig, der den Bremer Biomüll in seine Kompostierungs- und Biogasanlage in Bohmte bei Osnabrück karrt. Dort werden die Küchenabfälle vergoren; mit dem dabei entstehenden Biogas wird in einem Blockheizkraftwerk gleich nebenan Strom und Wärme erzeugt. Der Rest verrottet auf dem Komposthaufen – vom Bremer Biomüll bleiben am Ende jährlich 7500 Tonnen frische Erde.

Die Blaue Tonne und das Altpapier: 28.000 Tonnen Papierabfälle produzieren die Bremer jedes Jahr – alte Zeitungen, Kataloge, Prospekte, Schreibblöcke, Kartons und Verpackungen. Abgefahren werden die Blauen Tonnen – wie die grauen und braunen – von ALB. An Übernahmestellen, zum Beispiel am Arberger Hafendamm, werden sie verwogen, verpresst und wieder verladen. Ziel der Weiterreise ist die Papier- und Kartonfabrik Varel. Dort werden die angelieferten Ballen zu einem Faserbrei eingeweicht, aus dem auf vier Produktionslinien neue Pappen und Papiere für die Verpackungsindustrie gepresst werden.

Der Gelbe Sack und der Verpackungsmüll: In den Gelben Säcken und Tonnen landen Jahr für Jahr in Bremen rund 20.000 Tonnen Verpackungsmüll aus Kunststoff oder Blech. Für die Entsorgung der sogenannten Leichtverpackungen sind die Dualen Systeme zuständig – neben dem Grünen Punkt gibt es mittlerweile ein rundes Dutzend Unternehmen unter diesem Label. Für Bremen ist die Kölner Firma Interzero zuständig. Sie lässt den Bremer Verpackungsmüll in eine Sortieranlage in Braunschweig transportieren. Dort werden die Materialien möglichst sortenrein getrennt – in verschiedene Kunststoffarten, aus denen in anderen Werken neue Kunststoffe entstehen, sowie in Weißblech und Aluminium, das in Hüttenwerken wieder eingeschmolzen wird. Rund die Hälfte des Verpackungsmülls landet in der „thermischen Verwertung“, wird also verbrannt.

Der Altglascontainer und die leeren Flaschen: Ihr Altglas müssen die Bremer selbst wegbringen – in Container, die im Stadtgebiet verteilt sind. Knapp 9000 Tonnen Flaschen und Gläser sammeln sich dort im Laufe des Jahres an. Daraus wird neues Glas hergestellt, und zwar im Glaswerk Nienburg, wo die Luxemburger Ardagh Group eine ihrer acht Glashütten in Deutschland betreibt. In großen Öfen werden die Scherben eingeschmolzen und zusammen mit frischen Rohstoffen wie Sand, Soda und Kalk zu neuen Flaschen und Glasbehältern – zum Beispiel für Marmelade – geformt.

Dass der Bremer Müll zum Teil verbrannt wird, zu einem anderen Teil weite Wege zurücklegt, bevor etwas Neues daraus wird, ist für kritische Beobachter wie den Umweltschutzverband BUND zumindest vertretbar. „Hochtechnisierte Anlagen wie eine Papier- oder Glasfabrik gibt es nun mal nicht überall“, sagt Klaus Prietzel, Vorsitzender des BUND-Landesverbands Bremen. Trotzdem sei im Umgang mit dem Abfall noch viel Luft nach oben. Beim Verpackungsmüll etwa sei das Grundproblem die hohe Sortenvielfalt: „Es gibt allein 50 verschiedene Kunstsoffsorten für Einwegverpackungen“, rechnet er vor. „Es ist schwierig, die sortenrein zu trennen und wiederzugewinnen.“

Auch die Verbraucher könnten mehr gegen die Müllflut tun: „Im Restmüll landen im Schnitt 50 Prozent Stoffe, die da eigentlich nicht reingehören“, sagt Prietzel – ob aus Bequemlichkeit oder mangels Wissen, auch nach fünf Jahrzehnten Mülltrennung. „Es ist offenbar so, dass jede Generation den Umgang mit ihrem Abfall wieder neu lernen muss.“

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