Ihre aktuelle Single heißt „Vergangenheit“. Was für eine Bedeutung hat Vergangenheit für Sie?
AXEL BOSSE: Vergangenheit ist für mich positiv konnotiert. Weil ich mit allen Dingen, die ich gemacht und erlebt habe, im Reinen bin. Ich kann diesen alten Spruch sagen: Ich habe ganz schön viel gesehen und gelernt und kann das ganz gut gebrauchen für alles, was noch so kommt.
Das aktuelle Best-of-Album „Bosse 2005 – 2025“ dokumentiert einen Karriereabschnitt von erstaunlichen 20 Jahren. Verging für Sie die Zeit wie im Flug?
BOSSE: Das ist eine komische Mischung aus „Das war doch gerade erst vorgestern“ und „Mein Kind ist erwachsen“. Die Bilder, die ich da sehe, da sind wir noch ganz klein. Und dann kommt es einem vor wie ein halbes Leben. Aber es ist schon komisch: Das war wie so ein Fingerschnips.
Wie waren Ihre Erfahrungen mit dem Fernseh-Format „Sing meinen Song“?
BOSSE: Es war eine wirklich tolle Reise. Es arbeiten sehr viele Leute hinter den Kulissen. Es hängt natürlich immer an so einer Gruppe und an dem Gefüge: Wie nett sind alle zueinander? Wie viel Lust hat man, sich mit der anderen Person zu beschäftigen? Und ich glaube, wir sind alle Freundinnen und Freunde geworden.
Ihre Musik wirkt sehr authentisch, sowohl stimmlich als auch textlich. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Ihre Musik so echt klingt?
BOSSE: Man merkt Menschen und Sachen – gerade in der Kunst – an, ob etwas ernst gemeint ist und ob es eine Dringlichkeit hat. Wenn ich ein Lied schreibe – und das mache ich schon, seitdem ich 13 war – dann steckt da eine ganze Menge drin an Blut, Schweiß, Tränen und Trauer und manchmal auch Freude. Deswegen liebe ich Musik so sehr. Auch als Hörer, wenn ich jemandem anmerke: Der Person ist es gerade ernst. Das hat dann wenig damit zu tun, ob das geil oder schief gesungen ist oder ob es ein Tophit ist. Da geht es in erster Linie darum: Glaubt man das oder nicht?
Ein zehntes Studioalbum wurde angekündigt. Können Sie schon etwas darüber verraten, auch was ein Veröffentlichungsdatum angeht?
BOSSE: Es gibt noch kein Datum. Die Wahrheit ist, dass ich noch so mittendrin bin. Aber ich merke: Es geht irgendwie nicht so langsam wie sonst. Gerade fällt mir alles so seltsam leicht, aber die Sachen haben trotzdem eine Tiefe, ohne dass es mir besonders dreckig gehen würde. Es ist eigentlich gerade mal ausnahmsweise fast alles sehr in Ordnung.
Gibt es einen Grund warum es kreativ gerade besser sprudelt als in Phasen, wo Sie eine Schreibblockade hatten?
BOSSE: In der Zeit, als ich ein halbes Jahr keinen Song schreiben konnte, war da eine absolute Erschöpfung. Ich spiele auch in diesem Sommer wieder 28 Konzerte und bin nebenbei auch im Studio. Ich glaube, dass man sich Pausen nehmen muss, wenn man das Gefühl hat, man braucht eine. Das ist eigentlich der älteste Trick der Welt, aber irgendwie auch der schwerste.
Sie spielen am 10. August auf der Freilichtbühne in Augsburg. Es ist nicht ihr erstes Konzert in der Stadt. Haben Sie Augsburg schon ein bisschen außerhalb der Bühne kennengelernt?
BOSSE: Ja, total! Mein erstes Konzert war in der Kantine, glaube ich. Nicht als Musiker, sondern als Backliner. Ich habe damals sehr viel hinter den Bühnen gearbeitet. Das Schöne an dem Job des Merchandise-Verkäufers ist, dass ich mir schon in jungen Jahren Deutschland, Österreich und die Schweiz richtig reingezogen habe. Ich habe in Augsburg schon viele Nächte gefeiert und bis heute auch einen illustren Bekanntenkreis dort. Ich mag, dass ihr eure öffentlichen Plätze nutzt. Immer wenn ich da war, hat das Leben vor allem draußen stattgefunden. Das fand ich immer schön, das gibt es im Norden nicht so.
Sie kommen ursprünglich aus dem Cremlinger Ortsteil Hemkenrode mit 362 Einwohnern in der Nähe von Braunschweig. Wie gefiel es Ihnen dort im Vergleich zu den großen Städten, die später kamen wie Berlin und Hamburg?
BOSSE: Ich fand das alles richtig toll, bis ich elf Jahre alt war. Braunschweig ist 20 Kilometer entfernt, das war mit meinem Mofa nicht so richtig zu stemmen. Und dass nur drei Busse am Tag fuhren, hat irgendwann echt genervt. Ansonsten kann ich mich über die Kindheit überhaupt nicht beklagen: Mehr Kühe als Menschen, ganz viel Wald.
Aber Sie haben in früheren Interviews auch Mobbing-Erfahrungen angesprochen …
BOSSE: Es gab damals bei uns die „Elm-Front“, eine rechtsradikale Jugendbewegung. Ich habe Metal und Punk gehört. Als Langhaariger war ich eines der besten Ziele für die. Es gab hie und da auf die Fresse für mich. Aber ab einem gewissen Punkt nicht mehr. Weil ich mit zwölf Jahren begonnen habe, mich in den Kampfsport richtig reinzubeißen.
Haben Sie das Gefühl, die Pubertät ist für junge Leute heute eine noch schwierigere Zeit, nicht zuletzt durch den Druck von Social Media und den Zerrbildern der Wirklichkeit, die darin transportiert werden?
BOSSE: Nicht alle Menschen sind Selbstdarsteller. Nicht alle sind dafür gemacht, sich die ganze Zeit zu zeigen. Ich wollte in meiner Jugend auch so aussehen und so sein wie Kurt Cobain von der Band Nirvana. Am Ende bin ich doch mit 13, 14 auf dem Dorf gesessen und es war unerreichbar. Das fand ich auch anstrengend. Aber irgendwie fühlt sich das aus heutiger Sicht eher nach einer ganz kleinen Nummer an gegen all das, was die jungen Leute jetzt so ertragen müssen. Das liegt natürlich an der schnellen Taktung und an dem Geprassel. Ich habe mit 14 an der Bushaltestelle gesessen ohne Handy. Ich habe ein Buch gelesen oder Walkman gehört und hatte trotzdem ganz viel Zeit, die Gedanken einfach schweifen zu lassen, mir nicht so viel Sorgen machen zu müssen.
Ihre Frau Ayse ist Schauspielerin und Sterbebegleiterin. Haben Sie von Ihr etwas gelernt für Ihren Umgang mit dem Thema Tod?
BOSSE: Ja, eine ganze Menge. Meine Frau ist Trauer-Begleiterin für Kinder. Wenn beispielsweise ein kleiner Junge bei uns ist, der gerade beide Eltern bei einem Autounfall verloren hat, dann bekommt man einen komplett anderen Bezug zum Thema Tod und zum Thema Endlichkeit, aber auch zum Thema Heilung und Kraft. Und einen anderen Bezug dazu, wie wertvoll alles ist.
Zur Person
Axel Bosse, geboren 1980 in Braunschweig, ist ein deutscher Popmusiker. Im Alter von 17 Jahren unterschrieb er mit seiner damaligen Band Hyperchild den ersten Plattenvertrag beim Major-Label Sony Music Entertainment. Bereits die erste Single „Wonderful Life“ konnte sich in den Charts platzieren, dennoch löste sich die Band nach zwei Jahren auf. Nach der Auflösung startete er eine Solokarriere und nannte sich ab dem Jahr 2003 nur noch Bosse. Er tritt am 10. August um 20 Uhr auf der Freilichtbühne in Augsburg auf.
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