Von&nbspFatih Birol, Executive Director, IEA, Kaspars Melnis, Minister for Climate and Energy, Latvia, Andres Sutt, Minister of Energy and the Environment, Estonia, and Žygimantas Vaičiūnas, Energy Minister, Lithuania

Zuerst veröffentlicht am
29/07/2025 – 7:30 MESZ

Die in diesem Artikel geäußerten Meinungen sind die der Autoren und stellen in keiner Weise die redaktionelle Position von Euronews dar.


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Die Krisen der letzten Jahre haben deutlich gemacht, welch entscheidende Rolle die Energie für unsere Wirtschaft und Gesellschaft spielt.

Von der russischen Invasion in der Ukraine über die Konflikte im Nahen Osten bis hin zu Stromausfällen in Chile und Spanien wurden wir immer wieder an die Notwendigkeit erinnert, die Sicherheit und Zuverlässigkeit unserer Energieversorgung zu gewährleisten. Das kann niemals als selbstverständlich angesehen werden.

In diesem Zusammenhang haben Estland, Lettland und Litauen in diesem Jahr einen mutigen Schritt zur Stärkung ihrer Energiesicherheit unternommen, der breite Aufmerksamkeit verdient.

65 Jahre lang waren die Elektrizitätssysteme der drei baltischen Staaten vollständig in das russische und belarussische System eingebunden, das von Russland kontrolliert wird. Doch Anfang dieses Jahres haben sie sich nach umfangreichen Vorbereitungen von diesem System gelöst und sich stattdessen an das kontinentaleuropäische Netz angeschlossen.

Dies ist ein klares und konkretes Beispiel dafür, was es bedeutet, harte, aber notwendige Maßnahmen zu ergreifen, um die Energiesicherheit zu stärken. Insbesondere in einer Zeit erhöhter geopolitischer Spannungen.

Die Umstellung war nicht nur ein bedeutender technischer Erfolg, sondern auch ein politischer Sieg für die gesamte EU. Die Synchronisierung der Stromsysteme der baltischen Staaten mit dem übrigen Europa trägt dazu bei, die Zuverlässigkeit der Stromversorgung für Haushalte, Unternehmen, Krankenhäuser und Schulen zu gewährleisten.

Sie stärkt die nationale und wirtschaftliche Sicherheit. Und sie ist ein wichtiger Schritt hin zu einer engeren Integration in den EU-Energiebinnenmarkt – ein Ziel, auf das Estland, Lettland und Litauen seit ihrer Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahr 1990 hingearbeitet haben.

Strategische Schritte in Richtung Unabhängigkeit

Vor dieser Neuausrichtung behielt Russland die alleinige Kontrolle über einen entscheidenden Parameter der baltischen Stromsysteme: die Frequenz.

Das bedeutete, dass Russland die Fähigkeit hatte, die Funktionsweise der Stromsysteme in den baltischen Staaten zu beeinflussen, was sie anfällig für die russische Energiewaffe machte.

Die baltischen Staaten haben dies schon lange als potenzielle Bedrohung erkannt. Im Jahr 2007 signalisierten Estland, Lettland und Litauen ihren politischen Willen, sich vom russischen System abzukoppeln. 2018 bekundeten sie ihre Absicht, sich bis Ende 2025 dem kontinentaleuropäischen System anzuschließen.

In den darauffolgenden Jahren unternahmen die baltischen Staaten strategische Schritte in Richtung einer größeren Energieunabhängigkeit von Russland. Der Schwerpunkt lag jedoch weiterhin auf ihren Stromsystemen.

Sie genehmigten und realisierten wichtige Investitionen in die Infrastruktur, darunter Stromverbindungen nach Polen, Finnland und Schweden sowie zwischen den baltischen Staaten selbst.

Allein im Zusammenhang mit dem Synchronisierungsprojekt wurden mehr als 40 Projekte durchgeführt, darunter die Installation neuer und der Umbau von Stromleitungen, Umspannwerken, Synchronkondensatoren und zusätzliche Speicherkapazitäten.

Nach Russlands großangelegter Invasion in die Ukraine konnten die baltischen Staaten schnell reagieren und die Stromimporte aus Russland, die im Durchschnitt zwischen 10 und 25 Prozent des gesamten Strombedarfs der baltischen Staaten deckten, sofort einstellen.

Am 9. Februar 2025 trennten sich Estland, Lettland und Litauen vom russischen Stromnetz und synchronisierten sich über Polen mit dem europäischen Stromnetz – und erfüllten damit dieses langjährige Ziel vorzeitig und ohne Zwischenfälle.

Die baltischen Staaten können als Inspiration für andere dienen

Die Umstellung eines Stromnetzes ist ein großes Unterfangen. Dieser Erfolg war also das Ergebnis vieler Faktoren. Technik war nur eine davon.

Ein starker politischer Wille und eine langfristige Vision sorgten für Orientierung und Kontinuität über verschiedene Regierungen hinweg. Gleichzeitig erwies sich die Zusammenarbeit – sowohl zwischen dem weit verzweigten Netz von Akteuren des Stromsystems als auch auf regionaler Ebene – als wesentlich.

Polen spielte eine zentrale Rolle bei der Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur und der politischen Unterstützung. Auch die EU leistete einen erheblichen Beitrag, da sie 75 Prozent der Investitionskosten für die Synchronisierung finanzierte.

Dieses überzeugende Beispiel regionaler Zusammenarbeit kann als Vorbild für andere Teile der Welt dienen, die ihre Stromsysteme und -märkte besser integrieren wollen, darunter Südostasien und andere Regionen.

Heute formulieren die baltischen Staaten neue Ziele, um ihre Energiesicherheit zu verbessern. Dazu gehört ein gemeinsamer Vorstoß mit Polen, um den Schutz und die Widerstandsfähigkeit der kritischen Energieinfrastruktur zu gewährleisten, die in letzter Zeit bedroht ist.

Ein neues Rahmenkonzept, das auf den vier Prioritäten – Vorbeugung, Erkennung, Reaktion und Reparatur – basiert, könnte letztlich als Vorbild für den Schutz kritischer Energieinfrastrukturen in der gesamten EU und darüber hinaus dienen.

Die erfolgreiche und rechtzeitige Umsetzung dieses neuen Modells wird auch die politische und finanzielle Unterstützung der Europäischen Union erfordern.

Wir leben heute in einer komplexen und gefährlichen Welt, in der es eine Vielzahl ernsthafter Herausforderungen für die Energiesicherheit gibt – von geopolitischen Spannungen bis hin zu Cyberangriffen und extremen Wetterbedingungen.

In diesem Zusammenhang ist es von entscheidender Bedeutung, negative Ereignisse zu antizipieren und sich darauf vorzubereiten, bevor sie eintreten.

Durch kluge politische Entscheidungen, Mut und Zusammenarbeit zeigen die baltischen Staaten, wie dies aussehen kann – und können vielen Ländern auf der ganzen Welt als Vorbild dienen.

Fatih Birol ist Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur (IEA), Kaspars Melnis ist Minister für Klima und Energie von Lettland, Andres Sutt ist Minister für Energie und Umwelt von Estland und Žygimantas Vaičiūnas ist Energieminister von Litauen.