Liebe Leserin, lieber Leser,

wenn
ein potenzieller Investor ein Start-up besucht, stellt er
üblicherweise kritische Fragen. Doch als Ragnar Kruse im vergangenen
Jahr das Unternehmen Ava Medical an seinem Firmensitz am
Jungfernstieg aufsuchte, war er es, der Fragen beantworten musste.
Etwa zu seinem Gewicht, seiner Ernährung und dazu, ob er unter
Nachtschweiß leide. Denn Ava Medical ist zugleich ein Start-up und
eine Arztpraxis. Und Kruse kam nicht bloß als Investor, sondern auch
als neuer Patient.

Ragnar Kruse ist ein erfolgreicher Gründer. Zusammen mit seiner Partnerin
Petra Vorsteher baute er eine Firma namens Smaato auf und verkaufte
sie für 148 Millionen US-Dollar. Seit 2019 leiten Vorsteher und
Kruse die AI.Group,
die Unternehmen berät, sie untereinander vernetzt und auch Anteile
kauft. Allerdings nur, wenn diese mit künstlicher Intelligenz (KI)
arbeiten.

In
Hamburg gibt es eine Reihe von Firmen, die KI in der Medizin
einsetzen. Etwa IDM, eine Ausgründung des Universitätsklinikums
Hamburg-Eppendorf, die damit das Klinikpersonal entlasten will
(darüber haben wir hier
berichtet, Z+)
). Oder Mindpeak, das KI in der Krebsdiagnostik einsetzt. Oder eben Ava
Medical.

„Ärztinnen
und Ärzte haben Angst, dass KI ihnen die Arbeitsplätze wegnimmt“,
sagt Scharoch Taleh, einer der drei Gründer von Ava Medical. „Aber
wenn man diese Technik richtig einsetzt, verbessert sie die
Diagnose.“ Taleh ist Arzt und hat einige Jahre in einem Krankenhaus
in der Nähe von Hamburg gearbeitet. Jetzt betreibt er am
Jungfernstieg im Hochparterre die Praxis, einige Stockwerke höher
arbeiten seine beiden Mitgründer in der dazugehörigen
Softwareschmiede.

© ZON

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Ihr
Produktversprechen lautet „proaktive Medizin“. Gemeint ist damit,
dass sie drohende Krankheiten entdecken und präventiv behandeln
wollen, ehe sie ausbrechen. Um das hinzubekommen, erheben die Gründer
mit digitalen Messgeräten möglichst viele Körperdaten ihrer
Patienten: Puls, Schlafrhythmus, Blutzucker, so was. Und weil kein
Arzt genug Zeit hat, um das alles zu sichten, setzen sie KI ein, um
Auffälligkeiten zu ermitteln und anzuzeigen.

Bei
dem Investor Kruse rennen die Gründer damit offene Türen ein, denn
er ist überzeugt, dass man seine Gesundheit tracken sollte. „Ich
nehme meine Smartwatch nur unter der Dusche ab“, sagt er. Ich
hingegen war skeptisch. Nährt die Datenflut nicht bloß die
Hypochondrie, so wie die Selbstdiagnose mit Google? „Nein“, sagt
Taleh. „Wir wollen ja gerade verhindern, dass die Leute googlen und
anschließend aufgeregt zum Arzt laufen. Stattdessen sollen Ärzte
und Patienten qualifizierte Informationen bekommen.“

Okay,
aber was ist mit Fehlern, die der KI unterlaufen? Kruse sagt: „Bei
der Krebsdiagnose mittels MRT liegt die Fehlerquote derzeit bei etwa
14 Prozent. Durch den Einsatz von KI kann sie auf unter
zwei Prozent gesenkt werden. Ähnliche Verbesserungen zeigen
sich auch in anderen Bereichen der Diagnostik.“

Im
Moment ist die Praxis am Jungfernstieg noch eine recht elitäre
Veranstaltung. Aufgenommen werden bislang nur Privatpatienten.
Parallel zum Praxisbetrieb arbeiten die Gründer daran, ihre Software
anderen Ärztinnen und Ärzten anzubieten. Ragnar Kruse sagt, er sei
überzeugt davon, dass die KI-Diagnostik über kurz oder lang der
neue Standard in der Medizin werde.

Die
Entscheidung darüber, ob er als Investor bei Ava
Medical
einsteigt, soll bald fallen. Bis dahin vertraut er dem Unternehmen
bereits etwas an, das noch wertvoller ist als Geld: seine Gesundheit.

Ich
wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Ihr
Oskar Piegsa

WAS HEUTE WICHTIG IST

© Georg Wendt/​dpa

Der
Juli war außergewöhnlich nass, das ist nun amtlich bestätigt:
Laut dem Deutschen Wetterdienst fielen in Hamburg 155 Liter
Regenwasser pro Quadratmeter. Das ist doppelt
so viel Regen wie um diese Zeit üblich
(langjähriges
Mittel: 77 Liter) und war auch mehr als in jeder anderen Region
Deutschlands. Nach der Beobachtung des städtischen Unternehmens
Bäderland gab es in diesem Jahr erst fünf „gute Freibadtage“. Ein
Bäderland-Sprecher beteuerte, dass die Freibäder durchgehend
geöffnet blieben, auch wenn zurzeit kaum jemand komme. Unser
Archivfoto zeigt das Freibad Finkenwerder – allerdings im
vergangenen Jahr.

Der
Niederländer Jeroen Eijsink wird der
neue Vorstandschef der Hamburger Hafen und Logistik AG

(HHLA). Es handele sich um eine „international erfahrene
Führungspersönlichkeit mit einem tiefen Verständnis für die
Herausforderungen und Chancen globaler Logistik“, teilte das
Unternehmen gestern Abend mit. Eijsink folgt auf Angela Titzrath, die
nach neun Jahren an der Spitze der HHLA vorzeitig aus dem Amt ausscheiden wird. Sie gilt als Kritikerin des Einstiegs der Reederei
MSC. Jeroen Eijsink wird am 1. Oktober als HHLA-Chef antreten.

Ein
ehemaliger Ermittler der amerikanischen
Bundespolizei kritisiert die späte Festnahme des Pädokriminellen
„White Tiger“
durch die Behörden in
Hamburg. Laut einem Bericht des Spiegel
sagte der Ex-FBI-Mann, er habe dem Landeskriminalamt im März 2023
ein Video übermittelt, das zeige, wie „White Tiger“ einen
Jugendlichen über das Internet in den Suizid trieb. Die erste
Hausdurchsuchung durch deutsche Behörden folgte im September 2023,
die Festnahme 2025. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft bestätigte
die zeitliche Angabe und verwies auf die Komplexität solcher Fälle.

In aller Kürze

• Lösung im Tarifkonflikt
der Carlsberg-Brauerei,
zu der die
Marken Holsten und Astra gehören: Dort gibt es künftig fünf
Prozent mehr Lohn •
Das Heavy-Metal-Festival Wacken startete
gestern mit einer Schlammschlacht.

Prognosen zufolge soll es das ganze Festival über regnerisch bleiben

Aus den Polizeimeldungen: In Alsterdorf hat ein
66-Jähriger erst seine 70 Jahre alte Ehefrau und dann sich selbst
getötet.
In einer Regionalbahn
Richtung Hamburg hat ein Betrunkener eine junge Frau sexuell
belästigt und einen hinzugerufenen Bundespolizisten geschlagen. Und
in Altona wurde bei einer Ticketkontrolle ein Mann festgenommen, der
mit fünf Haftbefehlen gesucht worden war

AUS DER HAMBURG-AUSGABE

© Georg Wendt /​ dpa; Jakob Börner für DIE ZEIT

Der schönste, schwierigste Platz der Stadt

Am
Hansaplatz ist immer was los, auch wegen der Trinker und der
Obdachlosen. Es gibt viele Ideen, wie es sich hier noch besser leben
und arbeiten ließe. Aber einigen können sich die Anwohner nicht.
Lesen Sie hier einen Auszug aus dem Artikel von
ZEIT:Hamburg-Redakteurin Annika Lasarzik.

Groß,
fast monumental, liegt der Hansaplatz nur wenige Schritte vom
Hamburger Hauptbahnhof entfernt. Eingerahmt von Gründerzeitbauten,
überzogen mit Kopfsteinpflaster. In der Mitte: der 17 Meter hohe
Brunnen von 1878, auf dem eine Frauenfigur mit goldenem Zepter steht.
Das ist die Hansa, ein Symbol für den Reichtum des Hansebundes. „Ich
finde, es ist einer der schönsten Plätze der Stadt“, sagt
Christian Tschirner, der als Dramaturg am benachbarten Schauspielhaus
arbeitet: „Der Hansaplatz ist grandios!“

Bei
genauerem Hinsehen ergibt sich jedoch ein weniger prächtiges Bild.
An einem kühlen Tag Anfang Juni liegt an einer Hauswand eine Gestalt
im Dreck, die Kapuze ins Gesicht gezogen. Ein Mann im Rollstuhl
bewegt sich über das Pflaster, ein Beinstumpf ragt aus seiner
abgeschnittenen Jeans. Vor dem Handyshop brüllen sich zwei Männer
an. Einer schlägt zu, Polizisten rennen dazwischen. Fünfzig Meter
entfernt sitzen Menschen im Café Curiousa und essen Lammfilet mit
Rosmarinkartoffeln.

Selbst
in einer Großstadt wie Hamburg prallen die Lebensrealitäten nur
selten so hart aufeinander wie am Hansaplatz. Zwischen sanierten
Altbauwohnungen liegen Stundenhotels und Pornoläden. Am Brunnen
sitzen Trinker und Obdachlose, in den Seitenstraßen setzen sich
Süchtige ihre Spritzen, während Eltern Kinderwagen vorbeischieben.
Vor den Kellerkneipen warten Frauen auf Freier.

Schon
lange ist der Hansaplatz zugleich eine begehrte Wohnlage und ein
sozialer Brennpunkt. Seit die Polizei verstärkt am Hauptbahnhof
kontrolliert, drängen noch mehr Süchtige hierher. Und während
hamburgweit die Kriminalität sinkt, steigt sie im Bahnhofsviertel,
besonders Gewaltdelikte nehmen zu. Einer Statistik zufolge werden
rund 13 Prozent aller Straftaten in Hamburg hier begangen, in einem
relativ kleinen Gebiet rund um den Hansaplatz.

Der
Platz ist besonders. Besonders schön, besonders schwierig. Wie aber
könnte es mit ihm weitergehen? Wer den Platz verstehen will, der
muss mit denen sprechen, die hier leben und arbeiten.

Wie
ein Wirt, die Nachbarn, ein
Historiker, ein ehemaliger Bezirksamtschef, Künstler und
Sozialarbeiter auf den Platz blicken,
lesen Sie
weiter in der ungekürzten Fassung auf zeit.de
.

DER SATZ

© Matthias Ziegler für ZEIT Verbrechen

„Es
gab kein Geständnis, kein nachvollziehbares Motiv, und Genspuren
oder einen Tatort hatte man auch nicht gefunden.“

Nach
einer Verurteilung ohne Beweise saß ein junger Mann zwei Jahre und
sieben Monate als „Eiskeller-Mörder“ im Gefängnis. Dann hob der
Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts auf –
ZEIT-Redakteurin
Sabine Rückert hat den Fall hier aufgeschrieben
.

DAS KÖNNTE SIE INTERESSIEREN

Im
Rahmen des Ohlsdorfer
Friedensfests liest Hans-Peter de Lorent aus seinem Tatsachenroman Goebbels
Schatten. Der Autor ist bekannt für
seine umfangreichen Recherchen zu NS-Funktionären im Hamburger
Bildungswesen, in seinem neuen Roman, der sich im Wesentlichen auf
historische Tatsachen stützt, geht es um einen Vertrauten von
Goebbels, der nach dem Zweiten Weltkrieg den Nationalsozialismus
wieder hoffähig machen wollte. Dessen Gruppe – der Naumann-Kreis –
agierte unter anderem in Hamburg.

„Goebbels
Schatten“, 2.8., 12.30 Uhr, Ohlsdorfer Friedhof, Friedenszelt,
Mittelallee; mehr Infos hier

MEINE STADT

Kult-Schalter (gesehen im Hansa-Theater) © Jutta Bauer

HAMBURGER SCHNACK

Kurz
bevor der vollkommen überfüllte und natürlich verspätete Zug aus
Rostock endlich seinen Zielbahnhof in Hamburg erreichte, kam folgende
Durchsage des Zugführers: „Nun haben wir es endlich geschafft!
Bitte nehmen Sie alle Ihre Sachen mit, auch die richtige Person, wie
Ihre Frau, Ihren Mann und Ihre Kinder. Späteren Reklamationen kann
leider nicht nachgegangen werden, daher sind sie zwecklos.“

Michael
Pasdzior

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