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Häftlinge, die nackt und grundlos in Spezialzellen gesperrt wurden – mit diesen Vorwürfen begann der mutmaßliche Skandal um die JVA Gablingen. Inzwischen stehen auch massive Gewaltvorwürfe im Raum, die noch über Gablingen hinausgehen.
Von Andreas Herz, BR, Christian Humbs und Sascha Adamek, RBB
Milan sitzt in einem vergitterten Besprechungsraum. Der junge Mann will berichten, was aus seiner Sicht in einem Geräteraum der Justizvollzugsanstalt (JVA) Neuburg-Herrenwörth geschehen ist. Das Jugendgefängnis ist zwar 50 Kilometer von Augsburg entfernt. Dennoch sollen auch dort Beamte aus der JVA Augsburg-Gablingen geprügelt haben.
Am 23.Oktober 2024 fand in der JVA Neuburg-Herrenwörth eine Drogenrazzia statt. Dazu reiste die sogenannte Sicherungsgruppe (SIG) aus Gablingen an. Es ist eine speziell ausgebildete und geschulte Einheit, die im Zentrum des mutmaßlichen JVA-Skandals steht.
Geschlagen und gewürgt
Als bei Milan der Drogenspürhund anschlug, sei er von zwei schwarz gekleideten SIG-Beamten in den Nebenraum der Turnhalle gebracht worden. Nachdem er sich ausgezogen hatte, sei er attackiert worden mit dem Ziel, Informationen über mögliche Drogen zu erhalten.
„Du Bastard, ich hau‘ Dir die Zähne raus, wo ist Dein Stoff?“, habe einer der Beamten gesagt. Der Häftling berichtet von Schlägen gegen Kehlkopf und Gesicht sowie von Würgegriffen durch die Beamten. Milan beteuerte wiederholt, keine Drogen zu besitzen. Ein späterer Drogentest sei negativ ausgefallen.
Schwere Gewalt schildert auch Milans Zellengenosse Julian. Um ebenfalls Informationen über Drogen zu bekommen, sei auch er von SIG-Beamten geschlagen und gewürgt worden.
Obwohl ihm die Beamten die Hände über den Kopf gedrückt hätten, hätten sie von ihm verlangt, seine Hände auf den Rücken zu nehmen. Daraufhin hätte ein SIG-Beamter erwidert: „Er widersetzt sich“, und Julian mit der Faust in die Rippen geschlagen.
„Paradesituation einer Folter“
Informationen durch Gewaltanwendung zu erhalten, für den Kriminologen Thomas Feltes ist das indiskutabel: „Es dürfen Fragen gestellt werden, ich darf durchsuchen, aber ich darf natürlich nicht versuchen, durch Gewalt oder durch Zufügung von Schmerz irgendwelche Aussagen quasi zu erpressen. Das ist die Paradesituation einer Folter.“
Dem Personal in Neuburg machen die Häftlinge keinerlei Vorwürfe. Von ihnen würden sie stets gut behandelt. Nach der Razzia kontaktierte der Leiter der JVA Neuburg-Herrenwörth das bayerische Justizministerium. Der Verdacht: Mitglieder der Gablinger SIG-Einheit habe womöglich vier seiner Häftlinge verletzt. Das Ministerium informierte die Augsburger Staatsanwaltschaft und später den Justizausschuss darüber.
Blutergüsse und Rippenbrüche
Weitaus weniger Glauben wurde dagegen dem Gablinger Häftling Gunter E. geschenkt. Im Gegenteil: Das Amtsgericht Augsburg verurteilte ihn rechtskräftig wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Gunter E. soll im Streit einem Gablinger Beamten ins Gesicht geschlagen haben. Bei seiner Fixierung habe er „massiven Widerstand geleistet“.
Der Gefangene berichtet den Hergang ganz anders. Er bestreitet, handgreiflich geworden zu sein. Er habe lediglich mit zwei Beamten diskutiert und dabei die Zellentür offengehalten. Einer der beiden Beamten habe ihm daraufhin „einen unerwarteten Hieb auf die Stirn“ versetzt. Der Beamte habe ihm dann nachgesetzt und ihn „gezielt und völlig enthemmt“ verprügelt. Mit Schlägen auf Kopf, Hals und Oberkörper.
Anschließend habe man ihn sofort in einen der „besonders gesicherten Hafträume“ (bgH) der JVA Gablingen gesperrt. Dort klagte Gunter E. über Schmerzen, wie aus der internen Protokollliste hervorgeht. Fotos zeigen Blutergüsse auf seinem Körper. Röntgenbilder belegen einen zweifachen Rippenbruch.
Womöglich wurde auch die Niere des Gefangenen verletzt: „Farbe von Urin bräunlich“, heißt in einem Arztbericht, ein Indiz für Blut im Urin. Ein HNO-Arzt vermerkte Einblutungen der Stimmlippen. Eine häufige Folge von Schlägen gegen den Kehlkopf.
Unterlassene Hilfeleistung?
Dem Kriminologen Feltes zufolge stützen die dokumentierten Verletzungen die Version des Häftlings. Sollten die Gablinger Beamten auf einen Angriff des Gefangenen reagiert haben, könne es „unter Umständen zu blauen Augen kommen, aber die Verletzungen, die wir hier haben, deuten auf massive Gewalteinwirkung im Nachgang hin“.
Laut Feltes hätte der Gefangene sofort in ein Krankenhaus gebracht werden müssen. Ihn mit seinen Verletzungen in einen bgH zu sperren, „hätte unter Umständen tödliche Folgen haben können“.
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) teilte mit, dass die Staatsanwaltschaft Augsburg einige eingestellte Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen hat. Auch der Fall Gunter E. rückt damit wieder in den Fokus: „Dies hat die Staatsanwaltschaft im Blick und wird abhängig vom Ergebnis der Ermittlungen eine Wiederaufnahme von Amts wegen prüfen“, so ein Sprecher der Augsburger Behörde.
Ermittlungen gegen Vize-Chefin
Gunter E. informierte nach dem Vorfall auch die damalige stellvertretende Leiterin der JVA Gablingen über seine Version des Vorfalls. Es ist die Frau, die zusammen mit der SIG im Zentrum des Gablinger JVA-Skandals steht. „Unsere Mandantin hat sich pflichtgemäß darum gekümmert, dass der Sachverhalt aufgeklärt und von den zuständigen Instanzen weiter behandelt wird“, schreibt der Anwalt der früheren Vize-Chefin.
Auch bei der Razzia im Jugendgefängnis Neuburg-Herrenwörth war die frühere Gablinger Vize-Chefin mit dabei. „Ihre Rolle bei dem Vorfall ist Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen“, schreibt das Justizministerium. Julian berichtet, dass die Vize-Chefin während der mutmaßlichen Übergriffe vor seiner Zelle „zwei bis drei Meter danebenstand“.
„Im Rahmen der geltenden gesetzlichen Bestimmungen“
Ihr Anwalt erklärt, seine Mandantin habe auf „formelle Anforderung“ der JVA Neuburg-Herrenwörth an dem Einsatz teilgenommen. „Die Planung, Durchführung und Aufgabenverteilung lagen bei der dortigen Anstalt“, so der Anwalt weiter. Die Vorwürfe, bei Übergriffen in der Nähe gestanden zu haben, weise seine Mandantin zurück. Auch eine bgH-Unterbringung habe sie in der JVA Neuburg-Herrenwörth nicht angeordnet. Überdies habe sie „im Rahmen der geltenden gesetzlichen Bestimmungen gehandelt“.
Die JVA Gablingen wollte zu den Vorwürfen keine Stellung abgeben. In der Causa Gablingen ermittelt die Staatsanwaltschaft Augsburg gegen 17 Bedienstete, darunter die frühere Leitung. Für alle Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung. Der Leiter des Strafvollzugs im bayerischen Justizministerium wird zum 1. August auf einen anderen Posten versetzt.
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