Der größte Markt der Welt, die Vereinigten Staaten, haben 2025 ihren Durchschnittszoll von 2,5 Prozent auf aktuell 18 Prozent und damit auf das höchste Level seit den Dreißigerjahren erhöht. Auch wenn die Finanzmärkte erleichtert zu sein scheinen, dass die angekündigten noch höheren Zölle nicht eingeführt werden, wäre ein solches Szenario zu Jahresbeginn noch kaum vorstellbar gewesen. Immerhin gibt es einen positiven Trend.

Obwohl es nicht an Warnungen vor einer neuen Welle des Protektionismus fehlt – mit den Dreißigerjahren als mahnendem Beispiel –, gibt es heute einen entscheidenden Unterschied: Aktuell findet die US-Zollpolitik kaum Nachahmer. Tatsächlich scheint es umgekehrt zu sein, sie beschleunigt sogar die Freihandelsbestrebungen in anderen Teilen der Welt. Insofern laufen wir nicht notwendigerweise auf eine immer protektionistischere Welt zu – im Gegenteil, es besteht die Möglichkeit, dass sich neue Freihandelsallianzen und Koalitionen der Willigen bilden.

Die aktuelle Zollpolitik der USA zeigt auch, dass sich das Land von seiner Führungsrolle bei der Liberalisierung des Welthandels verabschiedet, die es seit der Nachkriegszeit innehatte. Hinzu kommt, dass einmal eingeführte Zölle auch von Nachfolgeregierungen politisch schwierig abzubauen sind, vor allem, wenn die allgemeine politische Stimmung in Richtung Protektionismus tendiert.

Die neue Handelsnormalität

Diese neuen Normalitäten sind besonders für die Europäische Union eine Herausforderung, immerhin ist die transatlantische Wirtschaft hochintegriert. Der Handel EU–USA mit Gütern und Dienstleistungen steht für fast ein Drittel des Welthandels und hat 2024 ein Volumen von 1,7 Billionen Euro erreicht.

Die Zölle von 15 Prozent setzen die europäischen und deutschen Exporteure signifikant unter Druck. Simulationen von Deloitte, die alle bisher angekündigten Handelsdeals berücksichtigen, zeigen, dass mittelfristig die deutschen Exporte in die USA, unseren wichtigsten Exportmarkt, um 20 Prozent und damit um 31 Milliarden Euro pro Jahr sinken dürften. Abgefedert werden diese Rückgänge durch Handelsumlenkung und indirekte Effekte, sodass netto die gesamten deutschen Exporte um 7,1 Milliarden Euro zurückgehen dürften. Der Maschinenbauexport in die USA sinkt dabei stärker als der Durchschnitt. Bei Chemie, Auto und der Elektroindustrie fällt der Rückgang etwas geringer aus.

Selektive Globalisierung

Das globale Handelssystem ist stark durch die USA geprägt – als Markt und als handelspolitischer Akteur –, doch es wird nicht von ihnen dominiert. Über 85 Prozent des globalen Handels finden außerhalb der USA statt. Und in diesem Rest der Welt gibt es derzeit viel Bewegung in Richtung neuer Handelsallianzen, die mehr Freihandel auf regionaler Ebene oder unter gleich gesinnten Handelspartnern ermöglichen. Die Zollpolitik der USA scheint paradoxerweise die Bemühungen um neue Abkommen stark beschleunigt zu haben.

Das Vereinigte Königreich ist beispielsweise sehr aktiv in dieser Hinsicht. So ist das Land im Dezember dem asiatisch-pazifischen Handelspakt Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTTP) beigetreten und konnte im Mai ein Freihandelsabkommen mit Indien schließen, das sehr weitgehende Zollsenkungen vorsieht.

Zahlreiche neue Abkommen

Auch die Europäische Union hat zum Ziel, bis Ende des Jahres ihr Freihandelsabkommen mit Indien zum Abschluss zu bringen. Das Abkommen der EU mit Mercosur wartet noch auf seine Ratifizierung, während ganz aktuell im Juli die Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), also Schweiz, Norwegen, Liechtenstein und Island, ebenfalls ein Abkommen mit MERCOSUR erfolgreich abgeschlossen haben.

Währenddessen hat Kanada ein Abkommen mit Indonesien geschlossen und verhandelt mit den ASEAN-Staaten. Das CPTTP-Handelsbündnis führt Verhandlungen mit einer Vielzahl von Staaten über eine Erweiterung der Handelszone, beispielsweise mit Ecuador, Uruguay und Indonesien. Auch die EU intensiviert ihre Beziehungen zum CPTTP-Raum, und es gibt sogar bereits Vorschläge, dem Bündnis ganz beizutreten. Währenddessen haben in Asien Japan, China und Südkorea ihre Gespräche über eine Freihandelszone (wieder) aufgenommen, und auch in Afrika und dem Nahen Osten gibt es neue Abkommen beziehungsweise Verhandlungen.

Die Vielzahl neuer Abkommen zeigt, dass der Freihandel sich nicht überall im Rückwärtsgang bewegt, sondern unterhalb der globalen Ebene sehr lebendig bleibt. Sie zeigt auch, dass sich neue Formen des Leaderships im Handel entwickeln. Die Rolle des „wohlwollenden Hegemons“, wie Politikwissenschaftler die USA in Handelsangelegenheiten lange Zeit beschrieben haben, dürfte jedoch unbesetzt bleiben.

Es wird mehr um pragmatische Koalitionen von handelspolitisch Gleichgesinnten gehen. Damit kommen auf Länder und Regionen wie die EU oder Japan, die geopolitisch eher Mittelmächte darstellen, aber handelspolitisch entscheidend sind, ganz neue Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu, nämlich das Leadership-Vakuum zu füllen.


Alexander Börsch

Alexander Börsch ist Chefvolkswirt und Leiter Research bei dem Beratungs- und Prüfungsunternehmen Deloitte.

Bild: Deloitte