Selbst die größte Konstante im Münchner Konzertkalender unterliegt bisweilen Veränderungen. Das Sommerfestival im Theatron wurde 1974 als kulturelle Folgenutzung der Anlagen von Olympia ’72 gegründet, die Zahl seiner Leiter in mehr als 50 Jahren lässt sich an einer Hand abzählen. Losgetreten hat das Ganze der Baghwan-Anhänger Jürgen Birr alias Anurakta, auch mithilfe des Rock-Schlagzeugers Arthur Silber, der den Münchner Musiksommer von 1997 bis 2003 dann selbst organisierte und sogar medienwirksam als „Längstes Open-Air der Welt“ ins Guinnessbuch der Rekorde brachte. Er übergab an Judith Becker und Antonio Seidemann, die das Festival zu einem „Platz für alle“ mit einer „Mischung zwischen Zwei- und 105-Jährigen“ machten. Doch nun sind die beiden im Ruhestand und nach Barcelona gezogen: „Nach 20 Jahren ist es irgendwann einmal gut“, lassen sie grüßen.
Die neue Leitung ist nun auch keine Überraschung, da sie schon seit Jahren im Theatron mitgestaltet: Luzia Huber vom Münchner Kulturreferat. Das allerdings ist neu: Die Stadt überlässt die Führung der Arbeitsgemeinschaft Theatron (Arge) nun nicht mehr externen Kräften, sondern macht es selber. Tiefere Einsparungen oder Umwälzungen soll das aber nicht zur Folge haben, sagt Huber: „Wir wollen die inhaltliche Vielfalt unbedingt erhalten“, die auftretenden Künstler sollen „angemessen entlohnt“ werden, und es denke auch weiterhin niemand daran, das Gelände einzuzäunen und Eintritt zu verlangen: „Alles andere wäre der Atmosphäre voll abträglich, der Zugang muss niederschwellig bleiben“, sagt Huber. Der Charme der Augustabende am Olympiasee ist ja immer: hinradeln, Picknickdecke und mitgebrachte Snacks auf dem Betonstufen der Publikumsränge ausbreiten, die erste Weinflasche entkorken – und mal hören, was unten auf der Plattform am See spielt.
Vor allem ist das Theatron ein Ort musikalischer Entdeckungen – auch wenn hier durchaus namhafte Bands zum Teil mehrere Tausend Besucher anlocken werden (mehr als die offiziell ausgewiesenen 1400 Plätze). Immer gerne aufgeführt werden die damals in den Siebzigern noch nicht in Stadien spielenden Scorpions, später Sportfreunde Stiller, Eisbrecher, Culcha Candela, Emil Bulls, Fury In The Slaughterhouse, Passport, Guru Guru oder die Killerpilze.
In diese Größenordnung fällt 2025 der Auftritt von Jamaram (21. August): Die Reggae-Pop-Bigband feiert in diesem Jahr im Theatron ihr 25-jähriges Bestehen. Die stets gutgelaunte Truppe um Sam Hopf, Tom Lugo und TV-Serienstar und Model Max Alberti bringt nicht nur eine neue Platte („Morning“), sondern immer auch eine bunte Anhängerschaft mit – Bayerns Reggae’n’Roll-Wanderzirkus, seit einem Vierteljahrhundert in Europa, Afrika und Südamerika unterwegs.
Feiern 25-jähriges Bestehen und die neue Platte „Morning“: Die Band „Jamaram“ (21. August). (Foto: Jamaram)
Vielen dürften auch die Protagonisten des Trios Brustmann Schäfer Horn bekannt sein (10.): Josef Brustmann als Wort und Musikkaberettist (Bayerisch diatonischer Jodelwahnsinn), Sebastian Horn als Sänger und Texter von Dreiviertelblut und den Bananafishbones und Benny Schäfer als Edel-Bassist (Dreiviertelblut, Max.Bab): In ihrem Programm „Isara Rapidus“ bündeln sie ihre Kräfte zu neuer bayerischer Volksmusik mit Zither, Gitarre und Bass, die Magisches, Abgründiges, gar „Erotisches“ aus der Heimat erzählt.
Etwas verborgen im Programm stecken noch weitere Stars ihrer Szenen: Devado zum Beispiel, „Feelgood-Pop-Künstlerin aus München“, kennt vielleicht noch nicht jeder, aber ihre Stimme lieben Millionen: Debby van Doren sang die Titelrolle in der deutschen Fassung der beiden „Vaiana“-Inselwelt-Filme von Disney (18.). Oder Do B, der dank virtuos groovender Stimmkunst einen Weltmeistertitel im Beatboxing gewonnen hat; er hat sich mit zwei Landsleuten aus Madagaskar – den Saxofonisten Tohy und Ando – in München zu einem der ungewöhnlichsten Hip-Hop-Trios zusammengeschlossen: Malagasy Telepathie Power vereinen Rap, Jazz, Rock, Klassik, Electro und Rhythmen ihrer Heimat (6.).
Ihre magische Heimat besingen (von links) Josef Brustmann, Benny Schäfer und Sebastian Horn (10. August). (Foto: Catherina Hess)
Um solche Musik zu hören, muss man sonst tief in die jeweiligen Szenen der Stadt eintauchen. Mit dem Theatron haben die beteiligten Partner – etwa das Kulturreferat, das Jugendkulturwerk, das Feierwerk und andere – eine Plattform, auf der sie breitere Kreise erreichen. Meist sind von 19 Uhr bis zum Musikschluss um 22 Uhr drei Konzerte oder sogar mehr an einem Abend zu hören.
Die Bandbreite ist enorm, wie man allein schon in der ersten Woche sieht: Da spielt zum Auftakt die ehemalige Nürnberger Straßenmusikerin Ellie Benn Country und Americana, die schon in Taylor Swifts Wiege, dem Blue Bird Café in Tennessee, aufgetreten ist (1. August). Gefolgt vom World-Music-Abend mit drei engagierten Münchner Rapperinnen, dem Queer-feministischen Duo Krudxs Cubensi aus den USA und Kuba sowie Afrobeat von der „R’n’B-Göttin“ Defa aus St. Louis und Rapperin Mama Victory aus Dakar (2.).
Dann kommt die Klassik groß und freiluftig daher, mit dem Akademikerorchester Sinfonietta und der Sängerin Franziska Ball, die diesmal unter dem Titel „Ein Traum“ Mozarts Zauberflöten-Ouvertüre, Dvoraks „Aus der neuen Welt“ und französische Chansons verweben (3.). Die Unterfahrt präsentiert Jazz mit dem Bassisten Nils Kugelmann und der ebenso preigekrönten Sängerin Alma Naidu (4.). Die städtischen Streetworker setzen heuer auf die „Frauenpower“ von DeÄnna, Lililiciouz, Internet-Star Melli Alder und dem „Fabergé-Ei der deutschen Musikszene“ GG Soprano, die für ihren Koloratur-Rap jüngst von der Wiener Staatsoper für die „Opera Pride Party“ engagiert wurde (5. August).
Die Inspiration kommt von weither, etwa am „Global Electro Fusion“-Abend (9.) vom Rust Duo, das eine syrische Musiktherapeutin und ein syrischer Musiker in Prag gegründet haben, und Hib Salameh, die das renommierte Magazin Mixmag für ihren Mix aus Elektro und Arab-Sound zu den führenden palästinensischen DJs zählt. Aber auch Hiesiges wird gefeiert, etwa von Pikant & Moort aus dem Oberland, die als die „Rammstein des Mundart-Rap“ gelten, hoffentlich nur wegen ihrer Show-Qualitäten (10.).
Die Missstände unserer Zeit beklagen am 24. August – auf witzige Weise – „Kapa Tult“ aus Leipzig (hier bei der Langen Nacht der Musik in München). (Foto: Stephan Rumpf)
Das Feierwerk darf heuer nicht mehr nur eine, sondern sogar zwei Wochen Programm machen. Auch hier gibt es Spannendes zu entdecken: von der Female-Synth-Pop-Bigband SiEA (13.) über das „schwedische Psych-Wunder“ MaidaVale zwischen Neo-Psychedalia und Afro-Blues (14.) und die Deutsch-Türkin Suzan Köcher, die ihren Dreampop schon beim „SXSW“ in Texas und dem Reeperbahn-Festival spielte (15.) bis zu zerbO, angeblich „Münchens eigenartigster Band“, die aus Hardrock, Delta Blues und NDW ein neues Genre geschaffen habe, eine „Neue Deutsche Blues Welle“ (17.). Zum Abschluss am 24. August gibt es die für den Amadeus-Award nominierte Wiener Songwriterin Pippa und noch einen „deutschsprachigen Superhit“, nämlich „1/2 Cappuccino“ von den Leipzigern Kapa Tult. Die prangern in ihrem punkigen Indie-Pop die Missstände unsere Zeit an: „Zu viele schlechte Hollywood-Filme, zu wenig Therapieplätze.“
Eine „panafrikanische Zukunftsvision“ stellen Defa aus St. Louis und Rapperin Mama Victory aus Dakar alias „Def Mama Def“ am 2. August vor. (Foto: Mao Sidibe)
Die Sicht und die Sorgen der jungen Generation stehen auch in den Kurzfilmen junger Münchner Filmemacher im Mittelpunkt, die wieder in einem Best-of vom Festival „Flimmern & rauschen“ an zwei Abenden nach den Konzerten um 22 Uhr gezeigt werden (11. und 12. August). Das wird noch einmal ein ganz anderes Publikum ins Theatron ziehen. So wie auch die Zufallsgäste, die das paralell laufende Sommerfest im Olympiapark hereinspült mit seinen Gastrobuden, Fahrgeschäften, Aktionen wie dem Dackelday (3. August) und der Bar du Soleil auf einer Ponton-Terrasse im See. Weil die direkt hinter der Theatronbühne mit ihrem Partysound schon mal gegendrönte, hofft Luzia Huber „auf gute Nachbarschaft“ mit den neuen Betreibern. Die Musiksommer-Leiterin freut sich ohnehin am meisten auf das Miteinander: Ihre persönlichen Höhepunkte der vergangene Jahre waren oft die großen Feuerwerke im Olympiapark nach den Konzerten (diesmal am 13. August).
Musiksommer im Theatron, Freitag, 1. August, bis Sonntag, 24. August, München, am See im Olympiapark, Musik täglich von 19 bis 22 Uhr, Programm unter www.theatron.net, Eintritt frei