„ACAB“-Nietzard will nicht mehr. Die Grüne Jugend braucht eine neue Verbal-Krawallistin. Das muss nicht das Ende ihrer Karriere bedeuten, das Fernsehen wartet! Oder Nietzard macht es wie Staatssekretär Amthor und baut mal so richtig Mist. Dann kann auch sie es weit bringen.
Die Uhren im Regierungsviertel ticken schneller. Die letzte Bundesregierung beispielsweise (Sie erinnern sich eventuell an Bundeskanzler Olaf Scholz) war für 48 Monate gewählt, strich dann aber bereits nach knapp 40 Monaten die Segel. Gut, wenn man die Diskussionen über Annalena Baerbocks Bachelor-Abschluss, Englisch-Kenntnisse, Friseur und die Fußnoten ihres Buches aneinanderreiht, fühlt sich diese Zeit wie 23 Jahre an. Das täuscht: Das Kabinett Scholz war schneller Geschichte als eine durchschnittliche Zollverordnung von Donald Trump.
Auch Jette Nietzard (sprich: nie zart) muss es vorkommen, als würden in ihrer Welt die Stundenzeiger die Sekundenzeiger im Minutentakt überrunden. Erst im Oktober vergangenen Jahres wurde sie Bundessprecherin der Grünen Jugend. Gesprochen hat sie seither tatsächlich viel. Leider vorwiegend Sätze, mit denen sich selbst der mit Verbalradikalität durchaus sympathisierend-vertraute normalgrüne Stammwähler nicht beschwerdefrei identifizieren konnte. Schon diese Woche verkündete sie daher ihren vorschnellen Abschied aus dem ansonsten für Politkarrieren oftmals, aber keinesfalls immer, sprungbrettartig katapultfähigen Sprecherinnenjob.
Was heißt schon jung?
Vorgängerinnen und Vorgänger von Jette Nietzard waren immerhin Felix Banaszak (heute Bundesvorsitzender der Mutterpartei), Ricarda Lang (anschließend ebenfalls Bundesvorsitzende) oder Sarah-Lee Heinrich. Heinrich ist heute zwar nicht mehr bei den Grünen, hat dafür aber eine neue Partei mitgegründet, die sich „Junge Linke“ nennt. Ein vermutlich nicht zufällig gewählter Name, der wohl sicherstellen soll, dass man mit etwa 28 Jahren die Partei wieder verlassen muss. Ein Konzept, das der neuen linken Partei-Hoffnung immerhin garantiert, dass man sich Personal-Peinlichkeiten im Spätherbst von Politikerkarrieren wie die SPD (etwa mit Gerhard Schröder) oder die Union (etwa mit Horst Seehofer) ersparen würde.
Wobei „jung“ natürlich eine Frage der Definition ist. Sarah-Lee Heinrich ist 24 Jahre alt und hält sich wahrscheinlich für jung. Aber: Robert Geiss tut das auch. Und der ist nicht nur ein herausragendes Oliver-Kahn-Double, sondern auch schon 61 Jahre alt. Die „Junge Linke“ – ein Name übrigens, der wohl nicht ungewollt für Außenstehende den Verdacht nahelegt, es handle sich um eine Jugendorganisation von Die Linke – sieht sich analog zu ihrem altersdiskriminierenden Titel augenscheinlich als Social-Media-basierte Meme-Partei. In ihrem offiziellen Instagram-Account jedenfalls tummeln sich auf virale Siegeszüge wartende, intellektuell erhellende Content-Kostbarkeiten wie „Schule erklärt von Katzen“, „Ist Elon Musk ein Faschist?“ oder „Bafög reicht nicht mal für eine Besenkammer“. Das sorgt auch bei Boris Becker für verständnisloses Kopfschütteln.
Viele fliegen. Ich Jette.
All diese goldenen Mandats-Zukunftsoptionen wird Eskapaden-Magnet Jette Nietzard nun also nicht mehr erleben. Zunächst. Karrieretaktisch nämlich kein unkluges Manöver. Nachdem sich die Diplomatie-allergische und dauerempörte Provokationsmaschine Nietzard mit Aussagen wie „Männer, die ihre Hand beim Böllern verlieren, können zumindest keine Frauen mehr schlagen“ oder absurden Hamas-IDF-Vergleichen um Kopf und Kragen rebelliert hatte, bröckelte der Rückhalt auch in der eigenen Partei. Und das schneller als der Gesichtsausdruck von Thomas Gottschalk, wenn er erfährt, dass das regelmäßige Anfassen nackter Frauenbeine auch dann nicht unter die Kategorie „Charmanter Schelm“ fällt, wenn der Übergriff aus beruflichen Gründen passiert.
Oder anders gesagt: Wäre Uli Hoeneß nicht Uli Hoeneß, sondern zum Beispiel Winfried Kretschmann, der Grandseigneur der schwäbischen Dialektpolitik, würde er sagen: „Solange Cem Özdemir und ich hier was zu sagen haben, wird Jette Nietzard nicht mal Liftgirl in der neuen Parteizentrale.“ Das ist aber nicht weiter tragisch. Sarah-Lee Heinrich etwa wurde für ähnliche Verbalausfälle einst branchenfremd mit einer Rolle in der Fernseh-Serie „Jerks“ geadelt.
Nietzard traue ich eine ähnlich spektakuläre TV-Karriere zu. Als Hauptdarstellerin der sympathischen Flugreise-Doku „Ich Jette“ beispielsweise. Darin verfolgt eine Kamera sie dabei, wie sie als Chefstewardess den konstruktiven Dialog mit Passagieren sucht und kurz vor Beginn des Landeanflugs alle Mitreisenden darüber aufklärt, was am Zielort politisch alles falsch läuft und warum sie einen „APAB“-Pullover trägt („All Passengers are Bastards“).
Bei den Grünen ist immer ein linker, linker Platz leer
Aber mal Spaß bei Seite in dieser Politszene-analytischen Fachkolumne mit der Humorfarbe einer Protagonistin, gegen die sogar Philipp Amthor als Loriot durchgeht. Selbstverständlich wird sich für Jette Nietzard irgendeine Anschlussverwendung in einer der zahlreichen linksorientierten NGOs finden. Der werden dann aber vom Bund aus Angst vor Indoktrinierung der ohnehin schon aufwändig woke-manifestierten Gesellschaft mit einem Mindset links der Grünen noch während dieser Legislaturperiode alle Fördergelder gestrichen.
Dieser skandalöse Cancel-Culture-Eklat (und finanzielle Notwendigkeiten) treiben Nietzard kurz darauf dann wieder zurück in die Arme ihrer Ursprungspartei. Und da ist sie bei den Grünen genau an der richtigen Adresse. Die einst aus den Turnschuhen von Joschka Fischer, einigen „Atomkraft nein danke!“-Antifaschisten und den geistigen Vorfahren von Fridays For Future entstandene Revolutionspartei ist für politische Renaissance-Momente bekannt, die exzitatorischer wirken als das epochemachende Comeback des FC Liverpool gegen den AC Mailand im Champions League Finale 2005. Der Balkon-Cannabis-Befürworter Cem Özdemir etwa war seinerzeit aufgrund einiger zweckentfremdeter Flugbonusmeilen zurückgetreten, wurde einige Jahre später dafür dann aber Landwirtschaftsminister und demnächst vielleicht sogar Ministerpräsident Baden-Württembergs.
Jette Nietzard kann demnach also immer noch jederzeit Bildungsministerin werden, sofern die Grünen nach dem bundespolitischen Abgang von Annalena Baerbock nicht FDP-esk von der Wählerjury als gescheiterte Agenda-Nischenpartei in die ewigen Bundestagsjagdgründe verbannt werden.
Der Elon Musk von Friedrich Merz
Womit wir beim schon angesprochenen Philipp Amthor wären. Der gilt bei der CDU, den Grünen für Menschen mit Privatflugzeug, als sowas wie die Jette Nietzard des Konservativismus. Nur halt ohne problematisch bedruckte Sweater. Amthor war zwar nicht Vorsitzender, dafür aber immerhin Bundesschatzmeister der Jungen Union, dem CDU-Pendant zur Grünen Jugend. Amthor gefährdete seine politische Karriere (anders als Nietzard) nicht mit eigentümlichen Polizei-Verächtlichmachungen oder skurrilen Ansichten zum Nahostkonflikt, sondern mit lobbyverdächtigen Verstrickungen mit dem IT-Unternehmen Augustus Intelligence. Für dieses fungierte er als Aufsichtsrat, hielt ein Aktienpaket, ließ sich zahlreiche Reisen finanzieren und warb auf offiziellem Bundestags-Briefpapier bei Parteikollege Peter Altmaier – zu der Zeit immerhin Bundeswirtschaftsminister.
Amthor provoziert also nicht per antifaschistischer Pseudo-Revolte, sondern nur mit persönlicher Bereicherung und Interessensverstrickungen. Deswegen musste er auch nicht zurücktreten, sondern konnte seinen Aufstieg in der Zukunftspartei CDU ungebremst fortsetzen. Diese Woche erklomm die CDU-Kanzlerhoffnung für das Bundestagswahljahr 2037 einen weiteren Meilenstein. „Kleine Paschas“-Kanzler Friedrich Merz persönlich lancierte die Schaffung eines neuen Staatssekretärsausschusses namens „Staatsmodernisierung und Bürokratierückbau“, dem Amthor zukünftig vorstehen wird.
Damit ist Philipp Amthor nun quasi der Elon Musk von Friedrich Merz. Globalpolitisch interessierte Mitleser werden es wissen: Der liebenswert bodenständige Supermilliardär, gegen den auch Privatflugzeugliebhaber Merz wie ein ökonomischer Pflegefall wirkt, sollte in der neuen Trump-Administration als Mega-Minister den Staatshaushalt analysieren und durch mehr Effizienz und Kostenabbau gigantische Summen einsparen. Ähnliches erwartet Merz nun von Amthor. Der soll zur Haushaltskassenoptimierung unter anderem den Personalbestand in der Ministerial- und Bundestagsverwaltung sowie in 950 nachgeordneten Behörden bis zum Jahr 2029 um mindestens acht Prozent reduzieren. So steht es jedenfalls im Koalitionsvertrag.
Nun könnte man sagen, dass die ersten Monate nach Arbeitsaufnahme des Merz-Kabinetts nicht unbedingt den Eindruck hinterlassen, die verantwortlichen Regierungsmitglieder würden sich sklavisch an die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag halten. Dafür aber kann Philipp Amthor nichts. Und der wird es in seiner neuen Aufgabe auch so schon schwer genug haben. Effizienter zu arbeiten und parallel dazu Personal abzubauen, das ist ein Konjunkturspagat, der nicht sehr häufig reibungslos klappt. Wie erfolgreich der politische Sunnyboy aus Mecklenburg letztendlich operieren wird als Peter Zwegat der Bundesregierung, das werde ich hier in meiner politischen Leitkulturkolumne selbstverständlich dokumentieren. Bis dann!