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Tonnen von Stahl wurden verbaut und millimetergenau über das Tal geschoben. © Rolf Oeser
Nach dem südlichen Bauwerk ist auch der Nordteil der Salzbachtalbrücke fertig – doch die Folgen der Havarie werden die Stadt Wiesbaden noch lange beschäftigen / Von Diana Unkart
Die Salzbachtalbrücke in Wiesbaden ist zu einem Symbol dafür geworden, was passiert, wenn man nicht handelt – und zugleich dafür, was möglich ist, wenn Bauwesen, Politik, Wirtschaft und Behörden Hand in Hand arbeiten. Sie ist ein Beleg dafür, wie marode die Infrastruktur in Deutschland ist und wie abhängig Städte von einer funktionierenden Mobilität sind. Mit der Freigabe des nördlichen Brückenbauwerks am heutigen 1. August, wird nach dem Kollaps und der Sprengung der alten Brücke der Neubau nach weniger als vier Jahren Bauzeit abgeschlossen.
Der Schaden kam mit Ansage und dennoch ohne Vorwarnung. Am 18. Juni 2021 beobachteten Passantinnen und Passanten, wie Betonteile von der Brücke auf die darunterliegende Bundesstraße stürzten und alarmierten die Polizei. Zeitgleich alarmierte die Sensortechnik am Nordteil der Brücke den überwachenden Gutachter. Die Brücke wurde gesperrt. Es dauerte nicht lange, bis klar war: Eine Freigabe kann es aus Sicherheitsgründen nicht mehr geben. Und mehr noch. Wegen Einsturzgefahr mussten auch die darunterliegenden Straßen und die Hauptzufahrtsgleise zum Hauptbahnhof gesperrt werden.
Berufsverkehr bricht zusammen
Das war ein Schock. Noch nie zuvor war eine deutsche Landeshauptstadt vom bundesweiten Bahnverkehr und vom regionalen S-Bahn-Verkehr abgeschnitten. Die A66, eine Hauptverkehrsachse des Rhein-Main-Gebiets, die den Rheingau und die beiden Landeshauptstädte Mainz und Wiesbaden mit Frankfurt verbindet, war unterbrochen. Der Verkehr der Autobahn, rund 80 000 Fahrzeuge pro Tag, musste über das innerstädtische Verkehrsnetz abgewickelt werden. Der Berufsverkehr brach zusammen, der öffentliche Nahverkehr stieß an seine Grenzen. Unternehmen klagten über längere Transportzeiten und gestiegene Kosten. Selbst die Rettungsdienste mussten ihre Einsatzpläne neu justieren.
Doch Wiesbaden reagierte. Krisenstäbe tagten und kreative Lösungen wurden gesucht. Der Schienenersatzverkehr mit Bussen wurde massiv verstärkt, Pop-up-Busspuren entstanden. Hubschrauber kreisten über der Stadt, um die Verkehrslage zu beobachten. Die Bürger:innen passten sich an: Manche stiegen aufs Fahrrad um. „Jetzt probieren Leute das Rad aus, die es sonst nie getan hätten“, sagte eine Mitarbeiterin der Stadt damals.
Es war eine Entwicklung, die sich abgezeichnet hatte, wenngleich die Krise überraschend kam. Die Salzbachtalbrücke, erbaut im Jahr 1963, war ursprünglich für 20 000 Fahrzeuge pro Tag ausgelegt. Doch ihre Zahl nahm stetig zu. Mehr Lastwagen – zudem schwerer – rollten über die A66 und die Brücke. Das Bauwerk aus Spannbeton und mit flachen Fundamenten versehen, hielt dem steigenden Verkehrsaufkommen nicht stand. Fachleute hatten es lange prophezeit: Das Bauwerk litt unter Konstruktionsschwächen und einem anfälligen Lagerungssystem. Seit den 1980er Jahren musste es mehrmals verstärkt werden. Alterungsprozesse, die steigende Verkehrslast und fatalerweise die Hitze an jenem 18. Juni 2021 besiegelten schließlich sein Schicksal.
Der große Knall
Die Havarie der Salzbachtalbrücke ist kein Einzelfall. Rund 16 000 Brücken in Bundeshand gelten als baufällig. Im Odenwald musste vor einigen Monaten die marode B45-Brücke bei Bad König/Zell gesperrt werden. Die Ursachen sind klar. Viele Bauwerke stammen aus den 1960er und 1970er Jahren und sind dem heutigen Verkehrsaufkommen nicht mehr gewachsen. Beispiele wie die A100-Ringbahnbrücke in Berlin oder die Carolabrücke in Dresden zeigen die Dringlichkeit.
In Wiesbaden fiel nach langem Hin und Her über die Abrissmethode die Entscheidung für die Sprengung. Am 6. November 2021 krachten 11 500 Tonnen Beton in sich zusammen – ein spektakuläres Ereignis, das den Weg für den Neubau freimachte. Wochen später rollten die ersten Züge zum Hauptbahnhof.
Neubau in Rekordzeit
Die Autobahn GmbH versprach einen Neubau in Rekordzeit und hielt Wort – auch weil bereits Pläne dafür existierten und die Fundamente für die Brückenpfeiler schon gegossen waren. Dass die alte Salzbachtalbrücke nicht mehr lange halten würde, war seit langem klar. Stück für Stück entstand eine neue Brücke, bestehend aus zwei Teilstücken. Gigantische Stahlhohlkästen, vorgefertigt und tonnenschwer, wurden hydraulisch über das Salzbachtal geschoben. Die Südbrücke, der erste Teil des Bauwerks, konnte bereits im Dezember 2023 für den Verkehr freigegeben werden – ein Meilenstein, den Tausende Pendler:innen sehnlichst erwartet hatten. Nun folgt die Nordbrücke. Insgesamt rund 225 Millionen Euro kostet das zweiteilige Bauwerk, das den steigenden Verkehrsprognosen gerecht werden und künftig 100 Jahre halten soll.
Auch wenn der Verkehr zwischen Frankfurt und dem Rheingau wieder ohne Einschränkungen über die Salzbachtalbrücke fließen kann: Zwei Jahre Umleitungsverkehr haben Spuren hinterlassen – auf den Straßen, unter dem Asphalt. Ein Wasserrohrbruch am Hauptbahnhof wird mit dem Verkehrsaufkommen nach der Sperrung in Verbindung gebracht. Die Stadt fordert nun Entschädigungen in Millionenhöhe – Gespräche mit der Autobahn GmbH laufen.
Das Bauwerk
Der Neubau der Salzbachtalbrücke besteht aus zwei Teilen. Die Südbrücke ist 314 Meter lang, die Nordbrücke 324 Meter. Sie berücksichtigen in den Abmessungen und beim Lärmschutz bereits den später vorgesehenen sechsspurigen Ausbau der A66.
Vorbereitende Arbeiten hatten 2017 begonnen. Ursprünglich sollte in zwei Abschnitten ein Ersatzbauwerk erstellt werden. Nach der Havarie der alten Brücke war das nicht länger haltbar.
Die alte Brücke wurde am 6. November 2021 gesprengt.
Die Kosten für den Neubau betragen laut Autobahn GmbH rund 225 Millionen Euro. diu