Kreativ werden beim Basteln und Werkeln, sich auf Hüpfburg oder Trampolin austoben, gemeinsam spielen oder in der Fahrradwerkstatt und dem Hühnerstall was Neues lernen: Zwei Wochen lang organisieren 70 Ehrenamtliche der Essener Gemeinde St. Antonius Abbas in Essen-Schönebeck ein Ferienprogramm. Ein Angebot, das seit 60 Jahren Kindern wertvolle Erfahrungen schenkt und im Berufsalltag den Familien immer mehr eine Stütze ist.
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Fünf Stunden täglich können die Kinder zwischen 6 und 12 Jahren sich ihr Programm zwischen basteln, spielen und toben selbst aussuchen. (Foto: Lisa Myland | Bistum Essen)
Konzentriert dreht Leonie die rote Plastikschraube mit dem Spezialwerkzeug in die grüne Querstange ihres selbst gebauten Spiel-Autos. Noch fehlen die Sitzfläche und zwei Räder, aber gemeinsam mit zwei anderen Kindern auf der Terrasse kommt sie gut voran. Überall liegen bunte Stangen, Schrauben und Räder verteilt, immer wieder bauen die Kinder etwas auseinander und wieder neu zusammen, überlegen gemeinsam, wo etwas noch stabiler werden muss.
Direkt nebenan springen Jan, Elias und Emil auf dem großen Trampolin, zeigen sich gegenseitig Tricks und Saltos. Auf der Bank davor warten schon sehnsüchtig die Nächsten, dass sie auch endlich wieder rauf dürfen. Einige Meter daneben wirft Laura abwechselnd mit ihrer Freundin blaue und gelbe Scheiben in ein großes Vier-gewinnt-Spiel aus Holz. Auf der angrenzenden Wiese der Gemeinde St. Antonius Abbas in Essen-Schönebeck rennen weitere Kinder herum, werfen Bälle, spielen mit einem großen bunten Schwungtuch oder schießen auf die große, grüne Torwand. Es könnte ein Sommer in den 90ern sein, aber es ist die zweite Ferienwoche im Jahr 2025 – und alle scheinen an diesem Vormittag das zu lieben, was schon Generationen vor ihnen in den Sommerferien genossen haben: Einfach mal Kind sein.
„Die Kinder kommen gerne, weil sie einfach mal machen dürfen, was sie wollen“
Genau das versuche das Angebot der Ferienspiele ihnen zu ermöglichen, sagt Mitorganisator Michael Stöppelkamp. „Wir merken, dass die Kinder hier total frei spielen können und uns auch sagen, dass sie so gerne zu uns kommen, weil sie machen dürfen, was sie wollen.“ Rund 120 Kinder haben sich für zwei Wochen angemeldet, können ab morgens sechs Stunden lang zwischen vielen Aktionen wählen, was sie machen wollen. Möglich macht das ein Team aus 70 Ehrenamtlichen, die in verschiedenen Schichten in den Räumen der Gemeinde und draußen für die Kinder da sind. Wer nicht grade einen Workshop oder Spiele anbietet, bereitet in den Küchen belegte Brötchen, gefüllte Wraps oder geschnittenes Obst vor und sorgt dafür, dass immer genug Getränke bereitstehen.
In Raum direkt an der Terrasse ist es etwas ruhiger. An vier großen Tischen können die Sechs- bis 12-Jährigen kreativ werden. Clara hat ein buntes Wollknäuel vor sich liegen und häkelt Stück für Stück die Maschen aneinander. Teamerin Gudrun hilft ihr, wenn es nicht mehr weitergeht oder zeigt ihr neue Techniken. Am Rand des Raumes türmen sich Kisten und Tüten mit buntem Bastelpapier, Glitzer und Pailletten, Scheren, Kleber, Farben und Pinseln, Stoffen und Nähnadeln. Am Tisch nebenan sitzt Barbara und zeigt den Kindern, wie sie eine kleine Girlande aus Papierschiffchen basteln. Vorsichtig zieht sie eine bunte Plastikperle zwischen zwei Schiffe, bevor sie den Knoten festzieht. Die 66-Jährige hilft in diesem Jahr zum ersten Mal, aber ist schon überzeugt: „Das ist einfach toll. Meine eigenen Kinder sind schon gerne hierhin gegangen, jetzt als Rentnerin habe ich genug Zeit, anderen das Gleiche zu ermöglichen.“ Ähnlich geht es auch Luca, Max und Niklas. Die drei Studenten betreuen das Zelt für die Laubsäge-Figuren, waren teilweise schon als Kinder mit dabei und helfen jetzt in den Semesterferien immer wieder ehrenamtlich. „Ich mach das schon ein paar Jahre und es macht einfach echt Spaß, mit den Kindern Zeit zu verbringen“, sagt der 23-jährige Max, der auch Jugendleiter bei den Messdienern der Essener Gemeinde ist. Neben Menschen im Rentenalter und Studierenden nehmen sich auch immer wieder Eltern, Großeltern oder andere Menschen aus dem Stadtteil ein paar Stunden frei, um zu helfen
Von der Urlaubsalternative zur Betreuungsmöglichkeit
Die Idee, dieses Programm in den Sommerferien anzubieten, hatten vor rund 60 Jahren der frühere Kaplan Anton Korth und Ehrenamtler Klaus Diekmann, weiß Michael Stöppelkamp. „Ihr Antrieb war, die Jugendarbeit in der Gemeinde und im Stadtteil zu fördern und den Kindern und Jugendlichen damals noch für volle sechs Wochen etwas zu bieten“, sagt der 65-Jährige. Highlights von den 1970er Jahren bis Anfang der 2000er seien unter anderem ein selbst gebautes Hüttendorf mit Abenteuerspielplatz im benachbarten Wald oder die Sommerlager, etwa im Sauerland, gewesen. „Vor allem Familien, die damals nicht so viel Geld hatten, mit ihren Kindern in den Urlaub zu fahren, wollten sie so Gemeinschaft und eine schöne Zeit ermöglichen“, ergänzt Mitorganisator Ludger Rullich.
Das habe sich teilweise gewandelt, heute stehe oft mehr die Betreuung der Kinder aus Familien, in denen beide Elternteile arbeiten, im Fokus. „Wer hat schon sechs Wochen Zeit, die Kinder zu betreuuen, wenn Oma und Opa nicht können?“, sagt der 70-Jährige. „Wir merken immer mehr, dass die Eltern da Schwierigkeiten haben und unser Angebot total schätzen.“ Mit ihrer Aktion will die Gemeinde eine notwendige und alternative Ergänzung bieten zu städtischen Ferienangeboten, vor allem für die Stadtteile, in denen die nächsten Möglichkeiten nicht direkt für jeden zu erreichen sind. Und auch die Kinder seien immer wieder begeistert von dem Ferienprogramm, würden ihre Eltern teilweise sogar bitten, nicht in den ersten zwei Wochen in den Urlaub zu fahren, damit sie auf jeden Fall mitmachen können. „Das ist eigentlich das schönste Kompliment, das die Familien uns geben können“, freut sich Rullich.
Damit das Angebot finanziell gestemmt werden kann, zahlen Familien wöchentlich 15 Euro pro Kind, mit zusätzlichem Geld vom Jugendförderverein der Gemeinde-Pfadfinder, Zuschüssen des Bundes der deutschen katholischen Jugend (BDKJ) und der Stadt werden etwa Snacks, Bastelmaterial oder Ausflüge in die Gruga oder zur Zeche Zollverein komplett finanziert. Einmal pro Woche kommt das Spielmobil vom Kinderschutzbund auf die Gemeindewiese, baut eine große Hüpfburg auf, bringt Balanciersteine oder Bobby-Car-Parcours mit und schminkt die Kinder als Löwen, Drachen oder einfach nur bunt mit Glitzer. Das Programm scheint gut anzukommen bei den Essener Familien: Laut Organisator Rullich kommen nicht nur Kinder aus Essen-Schönebeck, sondern auch aus benachbarten Stadtteilen, die Anmeldelisten sind schon nach kurzer Zeit voll.
Etwas Neues ausprobieren und Gemeindeleben kennenlernen
Und auch wenn der Name der Aktion es vermuten lässt: Es geht nicht nur ums Spielen und Basteln, immer wieder können die Kinder bei ehrenamtlichen Fachleuten auch etwas lernen: Geschwindigkeit einschätzen und Gleichgewicht halten beim Fahrradparcours mit einem ehemaligen Polizisten oder das Reparieren und Pflegen des eigenen Rads in der Werkstatt. Am Rand der Wiese steht ein kleiner Zaun mit fünf Hühnern, unter Aufsicht dürfen die Kinder immer wieder direkt zu ihnen, sie füttern und streicheln oder sich von ihrem Besitzer, einem Förster, etwas erklären lassen. Zum Start und Ende jeder Woche gibt es für alle Kinder einen außerdem Wortgottesdienst. Viele Kinder, die hierhin kommen, haben sonst keine Verbindung zu einer Pfarrei, können so auch ganz unverbindlich lernen, wie eine Kirche von innen aussieht und was eine christliche Gemeinschaft ausmacht. Einmal die Woche kommt außerdem ein Gemeindereferent zu Besuch, wer möchte, kann rund eine Stunde kleine Vertrauensübungen machen, über Gott und das Leben ins Gespräch kommen oder sich mit Sorgen und Fragen jemandem anvertrauen. Und wer mal Pause braucht vom ganzen Trubel, kann sich in den Ruheraum zurückziehen.
Um Punkt 11 Uhr ist es plötzlich sehr leer auf der Wiese und in den angrenzenden Räumen. Aus dem großen Pfarrsaal tönt ein Countdown: „… drei, zwei, eins!“ und als der Rollladen über der Küchentheke nach oben geht, jubeln die Kinder in der langen Schlange über das Öffnen des Kiosks. Rosa Brause-Ufos, Cola-Kracher, saure Bänder und Esspapier wandern in die weißen Papiertüten. Die Preise: Wie in den 90ern am Büdchen um die Ecke. Bezahlt wird mit Taschengeld aus bunten Umhängeportmonees. Manche Dinge scheinen ihren Zauber nie zu verlieren und auch über Generationen hinweg das Gefühl von Sommerferien zu vermitteln: Einfach mal Kind sein.