Erblichkeit seelischer Störungen – Spektrum der WissenschaftDirekt zum InhaltVererbung psychischer Störungen: Wie der Vater, so nicht unbedingt der Sohn
Wenn Eltern oder Geschwister an einer psychischen Störung leiden, steigt die Angst, ebenfalls zu erkranken. Doch so einfach ist es zum Glück nicht.
© Alexander Spatari / Getty Images / Moment (Ausschnitt)
Die meisten Menschen mit psychischen Erkrankungen sind die einzigen in ihrer Familie mit der Diagnose.
Wer Verwandte mit einer psychischen Störung wie zum Beispiel Schizophrenie hat – etwa ein Elternteil oder Geschwister –, lebt oft in der Angst, irgendwann selbst daran zu erkranken. Und tatsächlich ist das Risiko mehr als fünfmal so hoch wie bei Menschen ohne Betroffene in der Familie. Von 1000 Menschen mit einem Verwandten ersten Grades mit Schizophrenie bekommen 74 selbst einmal die Diagnose. Umgekehrt heißt das aber auch: 926 von 1000 bleiben gesund. Das zeigt eine Studie, die im August 2025 in der Fachzeitschrift »The Lancet Psychiatry« veröffentlicht wird und bereits vorab online erschienen ist.
Forschende um die Epidemiologen Carsten Bøcker Pedersen und Esben Agerbo sammelten und analysierten zwischen 1970 und 2021 die pseudonymisierten Krankendaten aller Dänen. Insgesamt waren das mehr als drei Millionen Menschen. Das Team konnte dabei die Verwandtschaftsverhältnisse der Personen einsehen und auch, ob und wann bei ihnen eine psychische Erkrankung diagnostiziert wurde. Sie stellten fest, dass unter jenen ohne direktes Familienmitglied mit Schizophrenie 12 von 1000 im Lauf ihres Lebens diese Diagnose erhalten. Unter allen Personen mit diagnostizierter Schizophrenie hatten fast 90 Prozent der Betroffenen gar keinen weiteren Fall in der Familie.
Eine grafische Auswertung der Ergebnisse zeigt zudem, wie das Risiko mit dem Verwandtschaftsgrad abnimmt, etwa bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung: 5,6 Prozent der Verwandten ersten Grades Betroffener erkrankten ebenfalls, bei Verwandten zweiten Grades waren es 3,8 Prozent und dritten Grades 3 Prozent; ohne betroffene Verwandte waren es weniger als ein Prozent. Das Risiko für Familienmitglieder unterscheidet sich auch je nach Störung. So ist es bei der schizoaffektiven Störung bei familiärer Vorbelastung eher gering: Nur 1,5 Prozent der Betroffenen mit einem Verwandten ersten Grades erkranken selbst. Dabei treten Depressionen, Manie und Symptome der Schizophrenie gemischt auf. Leidet jedoch ein Verwandter ersten Grades an einer Cannabisabhängigkeit, ist das Risiko relativ hoch, selbst im Lauf des Lebens daran zu erkranken: Hier liegt es den dänischen Daten zufolge bei gut 9 Prozent.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Gene ein wichtiger, aber längst nicht der alleinige Faktor bei der Entstehung psychischer Erkrankungen sind. Es sei daher wichtig, über das erbliche Risiko hinaus auch die übrigen Ursachen psychischer Störungen besser zu verstehen, betonen die Studienautoren.
Diesen Artikel empfehlen:
ist Psychologin und Volontärin im Springer Medizin Verlag.
Pedersen, C. B. et al., The Lancet Psychiatry 10.1016/S2215–0366(25)00196–8, 2025
Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.