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Stand: 01.08.2025 06:08 Uhr

Im Zuge eines Aktionsplans wollte die ehemalige Bundesregierung Rechtsextremisten entwaffnen. Recherchen von NDR und WDR zeigen, dass dieses Ziel noch in weiter Ferne liegt.

Von Reiko Pinkert, Hannes Stepputat, NDR, und Florian Flade, WDR

Nachdem im Februar 2020 der Attentäter von Hanau erst neun Menschen aus rassistischen Motiven erschossen und schließlich seine Mutter und sich selbst getötet hatte, begann eine Debatte über das Waffenrecht in Deutschland. Denn seine Waffen besaß der Mann legal, obwohl er den Behörden schon zuvor aufgefallen war. Er war jahrelang Sportschütze gewesen und hatte die Erlaubnis, Schusswaffen zu besitzen.

Zwei Jahre später, in einer Rede zum Gedenken an den Anschlag, kündigte die damalige Innenministerin Nancy Faeser (SPD) an, das Waffenrecht weiter verschärfen zu wollen. Unter anderem sollten Extremisten ihre Waffen leichter entzogen werden können oder eine Waffenerlaubnis gar nicht erst erteilt werden. „Wir werden sehr konsequent die Waffen entziehen“, sagte Faeser damals.

Mehr als 1.700 Schusswaffen legal in der Hand von Rechtsradikalen

Doch tatsächlich haben Rechtsextremisten weiter Zugriff auf mehr als 1.700 legale Schusswaffen. Das zeigt eine aktuelle Abfrage von NDR und WDR an die Sicherheitsbehörden in allen 16 Bundesländern mit der Bitte um Daten zu Waffenerlaubnissen, der Zahl der Schusswaffen im Besitz von Extremisten und zum Waffenentzug. Zwar schickten alle Bundesländer Antworten, aber nur elf Länder gaben an, wie viele Waffen im Besitz von Extremisten sind. Noch weniger teilten mit, welcher Art von Extremismus die jeweiligen Waffenbesitzer anhängen.

Dennoch ergibt sich aus den vorliegenden Angaben der elf Länder Folgendes: Mindestens 2.500 Schusswaffen sind demnach legal im Besitz von Menschen, die die Behörden als Extremisten einstufen. Mehr als zwei Drittel dieser Waffen – nämlich 1.765 – gehören Rechtsextremisten, Neonazis, „Reichsbürgern“ oder radikalen Querdenkern. Die tatsächliche Zahl dürfte noch deutlich höher sein, da nicht alle Länder mitteilten, welche Extremisten wie viele Waffen besitzen.

Unter den Ländern, die die Daten mitgeteilt haben, sind der Umfrage zufolge in Baden-Württemberg am meisten Waffen in der Hand von Extremisten – nämlich 661 Schusswaffen. Allerdings schlüsselt das Land nicht auf, um welche Art von Extremisten es sich bei den Waffenbesitzern handelt. Es liegt aber nahe, dass es sich weit überwiegend um Rechtsextremisten handelt, da auf sie die meisten Erlaubnisse für Waffen in Baden-Württemberg entfallen. Danach folgen Mecklenburg-Vorpommern mit 447 und Rheinland-Pfalz mit 386 Schusswaffen – hier handelt es sich jeweils ausschließlich um rechtsradikale Waffenbesitzer.

Extremisten mit Waffenerlaubnis

Die Gründe, warum manche Länder keine Daten liefern konnten, sind unterschiedlich: So erklärte Niedersachsens Innenministerium, die Zahl der Waffen von Extremisten müsse händisch ermittelt werden. In Sachsen-Anhalt werde eine entsprechende Übersicht gerade erst aufgebaut und im Saarland sei das Fallaufkommen so gering, dass eine Auskunft Rückschlüsse auf konkrete Personen erlauben würde. Auch Brandenburg konnte keine Daten liefern. Thüringen nannte keine konkreten Zahlen, sondern lediglich ungefähre Angaben wie im „unteren einstelligen“ Bereich.

Alle Länder – außer Thüringen – übermittelten hingegen Zahlen, wie viele Extremisten Waffen legal besitzen dürfen, weil sie eine entsprechende Erlaubnis haben: Rund 1.500 Personen sind es demnach insgesamt, bei mehr als 1.000 von ihnen handelt es sich den Angaben zufolge um Rechtsextreme, darunter Neonazis, „Reichsbürger“ und sogenannte „verfassungsschutzrelevante Delegitimierer des Staates“. Als solche werden Personen erfasst, denen der Verfassungsschutz eine verfassungsfeindliche Agenda bescheinigt, die aber nicht ins Spektrum klassischer Rechtsextremer fallen. Gemeint sind damit vor allem radikale, oft Verschwörungsmythen anhängende Gegner der Corona-Schutzmaßnahmen, die sich seit dem Abflauen der Pandemie teils neuen Politikfeldern zugewandt haben.

Islamisten, Linksradikale oder andere Extremisten spielen bei Waffenerlaubnissen und Waffenbesitz nur eine untergeordnete Rolle: Nur rund 120 Menschen aus diesen Spektren haben eine entsprechende Waffenerlaubnis. Als Waffenerlaubnis gilt auch die Genehmigung, eine Schreckschusswaffe oder Abwehrspray zu führen.

Sorge vor allem wegen rechtsradikalen Waffenbesitzern

Experten macht insbesondere der Waffenbesitz im rechtsradikalen Spektrum Sorgen: „Die große Gefahr, die von Neonazis und rassistischen Überzeugungstätern mit Zugang zu legalen Waffen ausgeht, sehen wir unter anderem bei dem mörderischen rechtsterroristischen Attentat in Hanau sowie im Fall eines tunesischen Geflüchteten im Schwarzwald, der regelrecht hingerichtet wurde“, sagt Heike Kleffner vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt. „Die jeweiligen Täter hatten ausreichend Zeit und Gelegenheit, den Umgang mit Waffen zu üben. Deshalb dringen die Hinterbliebenen und Überlebenden des rassistischen Attentats in Hanau schon seit langem auf ein restriktiveres Waffenrecht.“

Genau dies hatte Ex-Innenministerin Faeser in ihrer Gedenkrede auch den Hinterbliebenen versprochen. In einem „Aktionsplan gegen Rechtsextremismus“, der im März 2022 aufgelegt und Februar 2024 nochmals nachgeschärft wurde, hatte Faeser auch Maßnahmen angekündigt, um Extremisten Waffen leichter entziehen zu können oder ihnen erst gar keine Erlaubnis zu erteilen. Als im vergangenen Jahr das Waffengesetz verschärft wurde, floss ein Teil dieser Ankündigungen dabei ein.

Im Aktionsplan vom März 2022 nannte die Bundesregierung rund 1.500 Rechtsextremisten, die eine Waffenerlaubnis haben. Dass nun nach den aktuellen Daten, die NDR und WDR vorliegen, immer noch mehr als 1.000 Rechtsextremisten eine Waffenerlaubnis haben, hat das Bundesinnenministerium auf Anfrage zunächst nicht kommentiert.

Im Jahr 2024 wurden nach Angaben der Länder mehr als 300 Waffenerlaubnisse entzogen oder freiwillig zurückgegeben. Darunter sind auch Kleine Waffenscheine, die nur zum Besitz von Schreckschusswaffen oder Abwehrsprays, nicht aber von Schusswaffen berechtigen. Bei den Personen, denen die Erlaubnisse entzogen wurden, handelte es sich den Behördenangaben zufolge weit überwiegend um Rechtsextremisten oder „Reichsbürger“. Im Jahr davor entzogen die Behörden laut Bundesregierung 376 Personen aus dem rechtsradikalen Spektrum die Waffenerlaubnis.

Im Nationalen Waffenregister waren im Juni 2025 932.074 Besitzer von Schusswaffen registriert, die insgesamt mehr als fünf Millionen Schusswaffen besitzen. Hinzu kommen mehr als 892.000 Kleine Waffenscheine.