Anrufbetrug erreicht Stuttgart: Hunderttausende Euro gezahlt – China-Betrüger zocken auch Studierende ab Polizeieinsatz in China – doch was soll der mit einem Stuttgarter zu tun haben? (Symbolbild) Foto: dpa

Gigantische Callcenter-Betrugszentren in Asien finden auch hierzulande Opfer. Mit Schockanrufen der besonderen Art. Ein Opfer stammt aus Stuttgart.

Der Mann ist wohlsituiert, lebt und arbeitet in Deutschland. Er ist chinesischer Staatsbürger, 41 Jahre alt, weit entfernt von der sonstigen Zielgruppe für Anrufbetrüger mit Enkeltricks und Schockanrufen. Doch dann geht im April dieses Telefonat ein, auf Mandarin, aus der Heimat – und es folgen Wochen der Drohungen und Einschüchterungen. Angebliche chinesische Polizisten erklären, dass es einen Identitätsdiebstahl gegeben habe und mit seinen Daten in China Straftaten begangen worden seien. Seine Vermögenswerte seien behördlich eingefroren, und wenn er nicht mitziehe, werde man ihn zurück nach China ausfliegen.

„Das ist der erste Fall dieser neuen Masche in Stuttgart“, sagt Polizeisprecherin Kara Starke. Und er ist so ausgegangen wie alle anderen: Die Opfer haben am Ende mehr als 100000 Euro auf verschiedene Konten überwiesen, ehe sie erkennen, dass sie gar nicht von den chinesischen Behörden verfolgt worden sind. Der 41-Jährige aus Stammheim hat am 28. Juli Anzeige erstattet – und der Fall liegt nun beim Betrugsdezernat der Stuttgarter Kriminalpolizei. Dass die Ermittler den Fall klären können, gilt als höchst unwahrscheinlich.

Bislang waren vor allem ältere Menschen im Visier von Telefonbetrügern. Studierende aus China sind eine neue Zielgruppe der Täter. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Und das liegt am wenigsten daran, dass die Stuttgarter Ermittler kein Chinesisch können. „Für den Chatverkehr auf Mandarin gibt es Dolmetscher, und der Geschädigte spricht Deutsch“, sagt Polizeisprecherin Starke. Allerdings: Ermittlungen in China mit behördlichen Ersuchen auf Rechtshilfe dürften in der Praxis so gut wie unmöglich sein – und die Hintermänner angesichts der vermuteten Strukturen unerreichbar.

Münchner Polizei warnt asiatische Studierende

Dabei ist die Masche nur relativ gesehen neu. Bereits 2019 finden sich Meldungen und Anzeigen mit Schwerpunkt in München. Im Visier stehen vor allem Studierende aus China, von denen die Täter offenbar annehmen, dass sie oder ihre Familien vermögend genug sind, um hohe Geldbeträge als angebliche Kautionen aufbringen zu können. Die Drohung, das Visum zu entziehen oder in China Haftbefehle auszustellen, wirkt stark einschüchternd. Eine 22-jährige Studentin zahlte so mehr als 100000 Euro, ein 21-Jähriger insgesamt mehr als 150000 Euro. Das Polizeipräsidium München verzeichnete für das Jahr 2023 einen Gesamtschaden von einer halben Million Euro.

Wie die Täter ihre Opfer aufspüren, ist unklar. Doch Datenklau erscheint nicht sonderlich problematisch. Über die Messengerdienste wie WeChat, Weibo oder Tencent QQ rücken asiatische und europäische Welten zusammen. Bis nach Köthen. Dort, südlich von Magdeburg in Sachsen-Anhalt, zahlte ein junger Student 120000 Euro. Eine junge Chinesin in Essen im Ruhrgebiet kam mit einem vierstelligen Betrag davon, weil sie beim zweiten Kontakt misstrauisch wurde.

Führt die Spur in die Betrugszentren in Myanmar?

Ob die Täter aber wirklich in China sitzen, ist zumindest zweifelhaft. Seit Jahresbeginn häufen sich Berichte über große Callcenter-Betrugszentren im südostasiatischen Myanmar, die unter anderem von chinesischen kriminellen Netzwerken betrieben werden. Es sprudeln offenbar Milliardenumsätze mit Telefonbetrug und Onlineglücksspiel – und die Zehntausenden in den Callcentern sollen selbst Opfer sein und wie moderne Sklaven in den sogenannten Scam-Fabriken gehalten werden.

Allerdings scheint die Militärjunta in Myanmar zunehmend unter Druck gesetzt zu werden, gegen solche Zentren vorzugehen. Dazu soll auch Pekings Regierung gehören. So häufen sich Berichte über Befreiungen von Tausenden Menschen, die zuvor als Zwangsarbeiter von Menschenhändlern in die Scam-Fabriken gelotst worden sein sollen und nun wieder in ihre Heimat abgeschoben werden. Doch offenkundig gibt es noch reichlich solcher Telefonbetrüger – der 41-Jährige aus Stuttgart-Stammheim wird es bestätigen können.