Schmerzen aus der Hölle. Als würde man ein Messer in den Bauch rammen und umdrehen. Mit dem Beginn jeder Periode sind sie bei Roxane Bubeck (39) da. Am ersten Tag kann die Stuttgarterin kaum noch reden, hat Honig im Kopf, die Beine klappen weg. Sie nimmt hochdosiertes Ibuprofen, das nur selten hilft. Dazu die Ängste, das Gefühl der Krankheit ausgeliefert zu sein. „Dann sage ich zu meinem Mann: Ich muss das erst einmal überleben.“

Bubeck hat Endometriose, eine chronische Erkrankung, bei der Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutter wächst. Das Gewebe wuchert an den Eierstöcken, dem Darm oder Bauchfell und führt zu schmerzhaften Entzündungen, teils auch zu Unfruchtbarkeit. Etwa jede zehnte Frau im gebärfähigen Alter soll davon betroffen sein, in Deutschland fast zwei Millionen Frauen. Dokumentiert sind derzeit rund 400000 Fälle, auch weil die Krankheit oft nicht oder erst spät diagnostiziert wird.

Vor allem über die psychologische Seite werde kaum gesprochen, sagt Bubeck, auch in den Medien nicht. „Es zermürbt mich, der Krankheit ausgeliefert zu sein. Auch höre ich oft, dass ich ja gar nicht krank aussehe.“ Bubeck sitzt in der Stuttgarter Zentrale von Vodafone im Stadtteil Fasanenhof. Sie erzählt präzise und gefasst, das Interview ist für sie wie ein Outing, mit der sie auch anderen helfen will. „Das Thema wird vor allem am Arbeitsplatz totgeschwiegen. Wenn man sich Ausreden einfallen lassen muss, ist das für die Betroffenen eine noch größere Last.“

Lange hat Bubeck die Bürde des Schweigens getragen. Dass ihr Arbeitgeber Vodafone in puncto Homeoffice und flexible Arbeitszeiten als Vorreiter gilt, trug ironischerweise dazu dabei. Zum erwarteten Beginn ihrer Periode verlegte Bubeck im Voraus Termine. Am Tag der größten Schmerzen ließ sie sich krankschreiben und arbeitet die Tage darauf oft von zuhause aus und später ihre Aufgaben nach. Es war, als sei sie nie krank gewesen.

Dann macht sie ihre Krankheit öffentlich.

Bubeck postet auf Linkedin ihre Operation – „es musste einfach raus“

Im März 2024 muss Bubeck operiert werden und lässt eine Zyste im Eierstock entfernen. Bereits 2021 hatte sich dort eine Zyste gebildet – „so groß wie eine Kiwi“ sei sie gewesen. Durch einen Zufall erkennen dieses Mal die Ärzte, dass Bubeck unter Endometriose leidet. Die Diagnose ist für sie ist Schock und Befreiung zugleich. Seit ihrer ersten Periode leidet Bubeck unter starken Schmerzen. Schmerzen, die ihr bis dahin kein Mediziner erklären konnte.

In jenem März berichten die Medien viel über Endometriose. Bubeck teilt auf dem Karrierenetzwerk Linkedin Bilder von ihrem Krankenhausaufenthalt, schreibt darüber. Es sind nur einige Sätze, in der sie über die Krankheit spricht und sich mehr Aufmerksamkeit wünscht – in der Medizin, Politik und im Arbeitsleben. „Es musste einfach raus“, sagt sie. „Das war ein absoluter Gamechanger für mich.“

Auch andere sprechen jetzt über ihre Endometriose-Erfahrungen

Bubeck ist eine reflektierte Frau, die einst an der Uni Hohenheim Kommunikationswissenschaften studiert hat. Sie weiß, wie schnell sich Beiträge in den sozialen Netzwerken verbreiten können, sie selbst hat 2000 Follower. Dass dem Zuspruch die Kritik folgt. Dass es bei künftigen Arbeitgebern Probleme geben könnte, dass sie, die „Endo-Frau“, nicht belastbar sei. Lange denkt sie darüber nach, bis sie ihren Beitrag abschickt. Umso schneller erreichen sie die ersten Reaktionen. „Das hat mich im positiven Sinn schockiert.“

Zum einen verbreiten auch Männer ihre Posts und sprechen ihr Mut zu. Am meisten aber beeindruckt sie, wie viele Frauen nun ihr Schweigen brechen und über eigene Endometriose-Erfahrungen sprechen. „Ein überwältigendes Gefühl der Gemeinschaft“ sei es für sie gewesen.

Ihr Vorgesetzter ist froh über Bubecks Offenheit und „tief betroffen“

Mit diesem Gefühl geht Bubeck zu Burkhard Franke, ihrem Vorgesetzten.

Franke meldet sich per Videocall aus Vodafones Deutschland-Zentrale. Seine Worte klingen persönlich. Er habe selbst einen Sohn und zwei Töchter, meint er an einer Stelle, „die Mehrzahl meiner Gene sind weiblich“. Als Bubeck auf ihn zukam, habe er sofort gespürt, dass etwas nicht stimme. „Ich war sehr froh über das Vertrauen und ihre Offenheit. Gleichzeitig hat es mich tief betroffen, dieses Schicksal mitzubekommen.“

Der Vorgesetzte Burkhard Franke unterstützt Roxane Bubeck im Job. Foto: Vodafone

Franke meldet sich per Videocall aus Vodafones Deutschland-Zentrale. Seine Worte klingen persönlich. Er habe selbst einen Sohn und zwei Töchter, meint er an einer Stelle, „die Mehrzahl meiner Gene sind weiblich“. Als Bubeck auf ihn zukam, habe er sofort gespürt, dass etwas nicht stimme. „Ich war sehr froh über das Vertrauen und ihre Offenheit. Gleichzeitig hat es mich tief betroffen, dieses Schicksal mitzubekommen.“

Franke spricht über Unternehmenskultur, seinen Führungsstil, der „absolut vertrauensbasiert und auf Langfristigkeit“ angelegt sei. Er halte viel von „Roxy”, wie er sie nennt. Ein Top Talent, er vertraue ihr blind. Deshalb sei ihm ihre Offenheit so wichtig. „Jeder gute Vorgesetzte wird das super zu schätzen wissen.“

Auch Bubeck und Franke unterhalten sich im Videocall. Dabei wird deutlich, dass ihr Vertrauensverhältnis sich nicht nur aus Altruismus speist. Es geht auch um die beste Leistung, um das Geschäft. Muss Arbeit umverteilt werden, wenn Bubecks Schmerzen am größten sind.

Roxys Krankheit sein „eine weitere Variable“, mit der man planen müsse

Franke wiederum kann besser planen, „Planbarkeit“ ist eins seiner Lieblingswörter. „Roxys Krankheit ist eine weitere Variable, die wir jetzt eben berücksichtigen müssen“, sagt er. Eine, die immer Vorrang habe. „Man kann über alles reden und eine Lösung finden. Aber es ist ein Geben und Nehmen. Am Ende muss Roxy liefern. Sie wird das tun, weil die Wertschätzung und das Vertrauen stimmen.“

Eine Krankheit entbinde nicht von ihrer Verantwortung und ihren Zielen, sagt Bubeck. Jetzt aber habe sie die Sicherheit, alles ansprechen und regeln zu können. „Wenn man schweigt, entstehen Missverständnisse.“

Aber ist es tatsächlich so einfach?

Frage an Ute Brambrink, die seit Jahren Pressesprecherin bei Vodafone ist und in Sachen Personalpolitik im Land immer auf dem neuesten Stand. Sie habe den Eindruck, dass gerade beim Thema Frauengesundheit sich viel in den deutschen Unternehmen bewegt habe, sagt sie – unter anderem sei die Belastung von Frauen in den Wechseljahren in den Fokus gerückt.

Dennoch gebe es noch oft „diesen Irrglauben“, es wäre teuer, auf die Bedürfnisse der Beschäftigten einzugehen. „Das Gegenteil ist der Fall. Wenn Frauen wie Roxane Bubeck kündigen, weil sie sich nicht verstanden fühlen, verliert ein Unternehmen nicht nur Expertise, sondern muss eine Nachfolgerin rekrutieren. Und das kostet oft ein halbes Jahresgehalt.“

Ute Brambrink (links) sagt: „Beim Thema Frauengesundheit hat sich in den Unternehmen viel bewegt.“ Foto: Daniel Gräfe

Der Alltag bleibt für chronisch Kranke wie Bubeck auch so schwierig. Aus medizinischen Gründen. Und wegen der Unberechenbarkeiten im Job. Vor einigen Monaten musste Bubeck wieder ins Krankenhaus, wieder musste eine Zyste entfernt werden. Dieselbe Diagnose, dasselbe Krankenhaus, dasselbe Zimmer. „Ich habe gedacht, irgendwas will das Schicksal mir sagen.“

Bubeck will auch andere Arbeitgeber sensibilisieren

Abermals schreibt sie auf Linkedin einen Beitrag, um auf Endometriose aufmerksam zu machen, darüber zu informieren. Sie erzählt, wie sie ihren Alltag organisiert. Damit sich Betroffen verstanden fühlen. Damit sich Arbeitgeber aktiv mit dem Thema beschäftigen. Dass es auch Aufmerksamkeit für mehr Forschung schafft.

Sie selbst habe so lange im Stillen mit der Krankheit gekämpft. Manchmal frage sie sich, ob sie schon früher hätte darüber reden können. Aber sie sei noch nicht bereit gewesen. Es brauche Zeit, sich weiterzuentwickeln. Auch dieses Interview sei für sie „ein Meilenstein“, aber kein Ende ihres Weges, den sie mit ihrem Outing begann. „Rückblickend ist das ein wahnsinnig erleuchtendes und befreiendes Gefühl“, meint sie. „Mein Leben fühlt sich jetzt leichter an.“

Chronisch krank im Job

Kommunikation
Eine chronische Erkrankung muss auf der Arbeitsstelle in der Regel nicht offen kommuniziert werden. Ausnahmen sind Erkrankungen, die im jeweiligen Arbeitskontext „eine Gefahr für sich selbst oder andere darstellen“. Auch freiwillig kann es aber sinnvoll sein, die eigene Erkrankung offenzulegen. Schließlich ist das Verbergen einer Krankheit mit viel Aufwand verbunden.

Diskriminierung
Benachteiligungen aufgrund chronischer Erkrankungen sind laut dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verboten. Arbeitgeber müssen Beschwerdestellen gegen Diskriminierungen einrichten und Betroffenen zur Seite stehen, sollten sie Diskriminierungen erleben. dpa