Wie wahrscheinlich sind heute „feindliche Handlungen“ im Weltall? Gab es schon einmal den Fall, dass ein Staat Satelliten eines anderen Staates attackiert hat?
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Wenn wir von gezielten Satelliten- oder Signalstörungen reden, dann sehen wir die beinahe täglich. Geht es um einen physischen Angriff eines Satelliten auf Satelliten eines anderen Staates, dann existiert da eine rote Linie, die bislang nicht überschritten wurde. Tatsächliche physische Attacken auf Satelliten werden aber getestet, von Russland, Indien, China und den USA zum Beispiel – aber immer nur eigene, ausrangierte Satelliten betreffend.
… aber Störungen kommen schon häufiger vor?
Versuche, die Signalübertragungen anderer Staaten zu stören oder Cyberangriffe gibt es wie gesagt fast täglich. So stört Russland zum Beispiel seit 2014 GPS in der Ostukraine und seit Beginn der Großinvasion im Februar 2022 nochmals verstärkt. 2007 und 2008 gab es Cyberangriffe auf eine amerikanische Bodenstadion, die hätten dazu führen können, dass die Angreifer auch die Kontrolle über die Satelliten übernehmen, was sie aber unterließen.
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In diese Form hybrider Kriegsführung scheint in jüngster Zeit eine neue Dynamik gekommen zu sein. So geht Washington beim Start des russischen Satelliten „Kosmos 2576″ am 16. Mai 2024 von einer Weltraumwaffe aus. Welche Indizien gibt es dafür?
Bei „Kosmos 2576″ fiel auf, dass er im gleichen Orbit (Umlaufbahn – d. Red.) unweit eines US-Aufklärungssatelliten positioniert wurde. Kein x-beliebiger US-Satellit, sondern in der Nähe des Aufklärungssatelliten „USA 338″ des US-Militärnachrichtendienstes NRO. „Kosmos 2576″ unternahm auffällige Manöver, um seinen Orbit mit dem des US-Satelliten zu synchronisieren. Beim Anfang Februar 2022 ins All gestarteten russischen Satelliten „Kosmos 2553″ vermuten Geheimdienste, dass es sich um einen Test-Satelliten handelte, der eine Art „Dummy-Sprengkopf“ an Bord hatte, potenziell um spätere nuklear bestückte Satelliten zu testen.
Juliana Süß,
Quelle: Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP)
Was spricht dafür?
Die russische Erklärung, „Kosmos 2553“ solle Materialien und elektronische Komponenten auf ihre Belastbarkeit bei höherer Strahlung und schweren Teilchen testen, kann so nicht stimmen. Die Strahlung in der dortigen Umlaufbahn ist zwar sehr hoch, aber für die von Moskau beschriebenen Härtetests eben nicht hoch genug. Das ergibt keinen Sinn.
Welche Gefahr ginge denn von einem russischen Satelliten mit nuklearem Sprengkopf aus?
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Eine riesige Gefahr. Man weiß, was Nuklear-Explosionen im All bewirken, denn das wurde ja bereits getestet. „Starfish Prime“ war ein von den USA 1962 durchgeführter Höhentest mit einem Atomsprengkopf in 400 km Höhe, der die Auswirkungen des elektromagnetischen Impulses untersuchen sollte. Die Wirkung war verheerend, obwohl damals noch gar nicht viele Satelliten in diesem Orbit waren. Die Folgen war auch auf der Erde spürbar: Der elektromagnetische Impuls ließ viele der eingesetzten Messgeräte versagen, auf Hawaii fielen Straßenlampen aus.
Was passiert konkret, wenn ein nuklearer Sprengkopf in einer Satellitenumlaufbahn explodiert?
Bekannt sind vor allem drei Wirkungen. In einem Radius von 80 Kilometern entstünde zunächst Debris, also Weltraummüll, in Form unzähliger Splitter. Träfen Debris-Teile selbst in größerer Entfernung vom Detonationsort auf Satelliten, nähmen auch sie physisch Schaden – wodurch weiterer Debris entstünde. Da sich Satelliten im All mit sehr hohen Geschwindigkeiten bewegen, haben schon kleinste Splitterteile eine große Zerstörung beim Zusammenprall zur Folge. Zudem würden Röntgenstrahlen freigesetzt.
Wie lange würde diese Wirkung anhalten?
Bleibende Röntgenstrahlung würde der Orbit auch für mehrere Monate, wenn nicht sogar Jahre, beeinträchtigen und so verhindern, dass neue Satelliten installiert werden könnten, falls diese nicht ausreichend geschützt sind. Zuletzt würde die Explosion einen elektromagnetischen Puls auslösen, welcher die Elektronik an Bord von Satelliten stören würde. Dieser elektromagnetische Puls hätte dann wie schon 1962 Auswirkungen auf der Erde, sofern die Explosion in einem erdnahen Orbit passiert.
NATO-Generalsekretär Mark Rutte warnt schon
NATO-Generalsekretär Mark Rutte befürchtet, Russland könne künftig auch Kriege im Weltraum führen und dabei Atomwaffen gegen Satelliten einsetzen. „Uns sind Berichte bekannt, dass Russland die Möglichkeit prüft, Atomwaffen im Weltraum zu platzieren“, sagte er im April 2025 der „Welt am Sonntag“. Auslöser für die westlichen Mutmaßungen waren mehrere Starts russischer Satelliten und deren verdächtige Manöver in der von anderen Satelliten besonders frequentierten Umlaufbahn.
Hintergrund: Über 12.000 operative Satelliten sind heute in der Erdumlaufbahn unterwegs, viele davon mit wichtigen Funktionen für Telekommunikation, GPS, TV, Wettervorhersagen oder Datenübertragungen. Was droht da im Orbit, und wie groß sind die Gefahren nuklearer Sprengköpfe im All – 80 Jahre nach der Explosion der ersten Atombombe über bewohntem Gebiet? Darüber sprachen wir mit der Weltraumsicherheitsexpertin Juliana Süß von der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die betont, dass es weniger Russlands technische Fähigkeiten im All sind, die Anlass zur Besorgnis geben, sondern womöglich die Absichten „als Störer zu agieren, ,Systemsprenger‘ in der internationalen Gemeinschaft zu sein, einzuschüchtern“.
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Gibt es denn im All „Zonen“, die besonders gefährdet sind?
Über 12.000 operative Satelliten sind heute in der Erdumlaufbahn unterwegs. Man spricht von drei Hauptorbits: Der Low Earth Orbit (LEO) erstreckt sich von 100 bis 2.000 Kilometern oberhalb der Erdoberfläche. Über 90 Prozent aller Satelliten bewegt sich im LEO. Oberhalb dessen bis in einer Höhe von 36.000 Kilometern liegt MEO, der Medium Earth Orbit. Wenige, aber sehr bedeutende Satelliten die für das Satellitennavigationssystem GPS (Global Positioning System) verantwortlich sind sowie die europäischen Galileo-Satelliten haben hier ihre Umlaufbahnen. Ab 36.000 Kilometern spricht man vom GEO, dem Geostationary Earth Orbit, wo einige Wetter- und TV-Satelliten, aber auch strategischen „Assets“ wie militärische Kommunikationssatelliten und Frühwarnsysteme für Raketenangriffe die Erde umkreisen.
Wo hätte ein Angriff die größten Auswirkungen?
Durch die Vielzahl dieser explosionsbedingten Schrottteile, die sich dann quasi in Projektile verwandelt würden, vor allem im „dicht besiedelten“ LEO.
Bedarf es eines großen technischen Aufwandes, um Satelliten eines anderen Landes zu attackieren?
Hinter Sabotageaktionen oder Cyberangriffen auf eine Bodenstation, was ja im Endeffekt auch Satellitensysteme beeinträchtigen würde, müsste nicht einmal eine Weltraummacht stehen. Dazu wären selbst nichtstaatliche Akteure in der Lage. Anders verhält es sich bei physischen Attacken auf Satelliten – mit kinetischen (sich bewegenden Geschossen – d. Red.) oder nicht-kinetische Waffen, worunter Laser- aber auch atomare Waffen fallen. Rein technisch wären dazu alle derzeitigen Nuklearmächte in der Lage, die über entsprechende nuklearbestückte Interkontinentalraketen verfügen, also auch Staaten wir Indien, Pakistan, Nordkorea.
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Würde Russland mit einem Angriff im dicht besiedelten Low Earth Orbit nicht auch die eigenen Satelliten treffen?
Auf jeden Fall, das ließe sich gar nicht verhindern. Allerdings ist Russland von seinen eigenen Satelliten viel weniger abhängig, als es die USA oder China von ihren Satelliten sind. Russland hat bereits während des Kalten Krieges in Amerikas Abhängigkeit von Satelliten eine große Schwäche gesehen, eine Achillesferse. Auch deshalb entwickelte es seine Anti-Satellitenwaffen weiter, während es militärisch viel weniger auf den Weltraum angewiesen ist. Der Angriffskrieg in der Ukraine zeigt es sehr deutlich: Zwar fließen auch Satellitendaten in Moskaus strategische Planungen ein, aber viel weniger im Vergleich zum Westen und selbst im Vergleich mit der Ukraine.
Russlands hat einst den ersten Sputnik ins All geschickt und damit Weltraumgeschichte geschrieben. Wo steht die russische Raumfahrttechnik des Jahres 2025?
Die russische Raumfahrt ist zurückgefallen. Die verbreitete Korruption im Land, der Fachkräftemangel, vor allem aber auch die westlichen Sanktionen haben dazu beigetragen. Auch in russischen Satelliten wurden einst viele westliche Komponenten verbaut. Projekte mussten verschoben werden, so startete zum Beispiel die jüngste Generation von GLONASS, dem russischen Navigationssystem, zehn Jahre zu spät. Wir beobachten jetzt die wachsende Partnerschaft mit China, das selbst im Weltraum weitaus stärker aufgestellt ist, was seine technischen Möglichkeiten betrifft.
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Sehen Sie in der russischen Weltraumaufrüstung eine echte Bedrohung oder inszeniert man sich aus ideologischen Gründen, ist aber ein „Scheinriese“?
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Meines Erachtens veranstaltet Russland im Weltraum das Gleiche wie auf der Erde: Es sieht seinen Vorteil darin, als Störer zu agieren, „Systemsprenger” in der internationalen Gemeinschaft zu sein, einzuschüchtern. Es ist mittlerweile Teil des russischen Playbooks, mit Manövern wie im Fall von „Kosmos 2576″ die Grenzen auszutesten, um so zu versuchen, den technischen und finanziellen Vorteil der Amerikaner zu nivellieren. Ich glaube aber, dass man in Russland sehr wohl weiß, dass die eigenen Stärken nicht in technisch ausgefeilten oder innovativen Weltraumprogrammen liegen. Man ist sich der eigenen Schwäche sehr wohl bewusst.
Wie sollte der Westen auf diese Provokationen im Weltraum reagieren?
Die Resilienz stärken, indem zum Beispiel die eigenen Satelliten gegen Strahlung und gegen elektromagnetische Impulse immunisiert werden. Das wird bei militärischen Satelliten bereits getan, ist aber kostspielig. Resilienz schafft man auch, indem man es vermeidet, Satelliten in nur einem Orbit zu platzieren, sondern besser verteilt. Und zudem terrestrische (auf der Erde – d. Red.) Alternativen sucht, beispielweise für Navigations- oder Kommunikationssysteme, was übrigens bereits geschieht.
… also über die Kosten?
Deshalb zuletzt noch als wichtigsten Punkt: Diplomatischen Schritte sind unerlässlich, um Moskau davon abzuhalten, tatsächlich solch eine Waffe im Weltraum zu platzieren. Dies könnte auch über Kontakte zu China als Partner des Kreml passieren. Noch bekennt sich Russland zum internationalen Weltraumvertrag (Outer Space Treaty – d. Red.) von 1967, in dem sich die Unterzeichner zu einer friedlichen Nutzung sowie einem Verbot von Kernwaffen im All verpflichten.