Der Europäische Gerichtshof erhöht die Hürden für beschleunigte Asylverfahren. Das ist ein Rückschlag für Giorgia Meloni und ihr Albanien-Modell.
Giorgia Melonis Albanien-Modell liegt wegen Widerstands der italienischen Justiz auf Eis. Hafen von Shengjin, Albanien.
Florion Goga / Reuters
Es ist ein Urteil von weitreichender Bedeutung: Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) setzt der europäischen Asylpolitik engere Grenzen. Wie aus einem am Freitag veröffentlichten Urteil hervorgeht, dürfen EU-Mitgliedsländer weiterhin «sichere Herkunftsstaaten» definieren – und Asylanträge von Personen aus jenen Staaten also bereits an der Grenze, in einem beschleunigten Verfahren, prüfen. Neu gelten aber zwei bedeutsame Einschränkungen: Die EU-Länder müssen die Quellen für ihre Einschätzung offenlegen. Und ein Staat kann nur dann als sicher eingestuft werden, wenn dieser seiner gesamten Bevölkerung einen «ausreichenden Schutz» bietet.
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Hintergrund des Urteils ist das sogenannte Albanien-Modell Italiens. Zwei Männer aus Bangladesh wurden auf offener See aufgegriffen und in ein albanisches Lager gebracht, weil Italien ihren Herkunftsstaat im Oktober 2024 als sicher eingestuft hatte. Das entsprechende Gesetz ist gemäss EuGH rechtmässig. Italien hatte es aber unterlassen, die Informationsquellen anzugeben, auf die sich der Gesetzgeber gestützt hatte – womit die Asylbewerber sowie die Justiz keine Möglichkeit hatten, die Rechtmässigkeit der Massnahme überprüfen zu lassen. Das Urteil ist also eine Klatsche für Italiens Regierungspräsidentin Giorgia Meloni, die das Albanien-Modell zum Prestigeprojekt hochstilisiert hatte.
Konsequenzen für zahlreiche Staaten
Das Urteil hat aber Auswirkungen weit über Italien hinaus, denn zahlreiche europäische Länder haben «sichere Herkunftsstaaten» definiert – Deutschland etwa listet die Westbalkanländer, Ghana, Senegal, Georgien und die Moldau auf. Die Schweiz, deren Asylpolitik über das Dublin-System an die EU angeknüpft ist, erachtet zusätzlich die Mongolei als «sicher». Die beiden Länder betreiben aber, anders als Italien, keine Aufnahmelager in Drittstaaten.
Auch die EU-Kommission hat im April ein Safe-Country-Verzeichnis vorgeschlagen. Gedacht ist dieses als Grundlage für Länder, die noch keine eigene Liste haben – schliesslich ist jeder Staat selbst für die Bearbeitung der Asylverfahren zuständig. Die Kommission erhofft sich durch die Liste auch einen präventiven Effekt.
Asylpakt früher einführen?
Es ist dies nur das letzte Projekt einer ganzen Kaskade von migrationspolitischen Massnahmen auf europäischer Ebene – schliesslich ist Asylpolitik nur im Verbund wirksam, und das Thema brennt der Bevölkerung in zahlreichen Ländern unter den Nägeln. Das bedeutsamste Element ist der Asyl- und Migrationspakt, der am 12. Juni 2026 eingeführt werden soll. Auf dieses Datum bezieht sich auch das EuGH-Urteil.
Bis es so weit ist, dürfen EU-Staaten ein Land nicht als «sicheren Herkunftsstaat» definieren, wenn bestimmte Personengruppen – etwa Homosexuelle – dort nicht sicher sind. Der neue Asyl- und Migrationspakt erlaubt Ausnahmen von dieser Regelung, aber eben erst nach der Inkraftsetzung. Gehe das den EU-Ländern zu langsam, stehe es «dem Unionsgesetzgeber frei, diesen Zeitpunkt vorzuverlegen», so urteilen die Richter in Luxemburg.
Giorgia Meloni reagiert mit Kritik an der EU-Justiz
Die extraterritorialen italienischen Asylzentren sollten ursprünglich dafür sorgen, dass offensichtlich unbegründete Asylgesuche von Mittelmeer-Migranten rasch behandelt werden und die Migranten aus den Zentren direkt in ihre Herkunftsländer zurückgeschafft werden können.
Nach den drei ersten abschlägigen Urteilen italienischer Gerichte hatte die Regierung im März ein Gesetzesdekret verabschiedet, mit dem es möglich wurde, die Zentren wenigstens als Rückführungszentren zu nutzen. Seither befinden sich durchschnittlich 25 bis 30 Migranten mit abgewiesenen Asylentscheiden in Albanien. Der grosse Teil des Areals bleibt aber ungenutzt – mit entsprechenden Kostenfolgen.
Meloni liess sich deswegen aber nicht beirren. «Fun-zio-ne-ran-no!», hämmerte die Regierungschefin ihren Anhängern am grossen Jugendfest ihrer Partei, den Fratelli d’Italia, im letzten Dezember ein. «Sie werden funktionieren!»
Umso heftiger fiel nun ihre Reaktion auf das EuGH-Urteil aus. «Wieder einmal beansprucht die Justiz, diesmal die europäische, Zuständigkeiten, die ihr nicht zustehen», so heisst es in einer Stellungnahme der Regierung, die von Giorgia Meloni über ihre sozialen Netzwerke geteilt wurde. Es handle sich um einen Schritt, der «alle beunruhigen sollte – auch die politischen Kräfte, die heute über das Urteil jubeln». Denn damit werde der ohnehin schon begrenzte Spielraum der Regierungen und Parlamente bei der Steuerung der Migration zusätzlich eingeschränkt.
Die Regierung werde in der verbleibenden Zeit bis zum Inkrafttreten des Europäischen Migrationspaktes «alle möglichen technischen und rechtlichen Lösungen prüfen, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten».
Die Opposition triumphiert
Die italienischen Richter reagierten hingegen mit Erleichterung. Sie waren nach ihren Urteilssprüchen von der Regierung jeweils mit heftiger Kritik bedacht worden. Der Entscheid aus Luxemburg beweise nun, dass «niemand gegen die Regierung gearbeitet» habe, liess die nationale Vereinigung der Richter verlauten.
Für die Oppositionsführerin Elly Schlein vom sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) ist klar, dass Melonis Regierung «die italienischen und europäischen Gesetze nicht gelesen und damit illegale Entscheidungen getroffen hat». In den albanischen Zentren seien die Grundrechte von Migranten mit Füssen getreten worden. Ausserdem habe die Regierung mehr als 800 Millionen Euro an Steuergeldern verschwendet. «Non fun-zio-ne-ran-no!», rief Schlein am Freitag an einer Parteiveranstaltung in den Marken ihren Anhängern zu – und nahm damit Bezug auf Giorgia Melonis Schlachtruf vom letzten Dezember.