Berlin/Ramallah – Es ging ums große Ganze an diesem Samstagvormittag: Friedrich Merz hat sich mit den Ministern seines Sicherheitskabinetts zusammengeschaltet. Die Frage: Kann er – der zehnte Bundeskanzler des Nach-Hitler-Deutschlands – noch eisern an der Seite Israels stehen, ohne gefühlskalt gegenüber dem Leid in Gaza zu wirken? Oder gibt er sie auf, die viel beschworene „deutsche Staatsräson“ gegenüber Israel?
Merz hatte seinen Außenminister Johann Wadephul (CDU) auf Expedition geschickt: Erkunden, welche Spielräume es gibt, wie weit Israel in Gaza noch gehen will – oder ob ein Kurswechsel absehbar ist. Wadephul sprach mit Israels Präsident Isaac Herzog (64), Premier Benjamin Netanjahu, war bei Christen im Westjordanland, die von israelischen Siedlern terrorisiert werden und bei Geisel-Angehörigen – und er traf sich mit Mahmud Abbas, dem Palästinenser-Chef und Holocaust-Leugner.
Premier Benjamin Netanjahu (75, r.) im Gespräch mit dem deutschen Außenminister
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Johann Wadephul (62, CDU) in einem Dorf im Westjordanland – ein Geistlicher erzählt von Übergriffen
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An diesem Samstag berichtet er dem Sicherheitskabinett von den Ergebnissen. Dann wird eine Erklärung verbreitet. In der fehlt – ein Novum! – eine Solidaritätsadresse in Richtung Israel. „Staatsräson“ fehlt ganz. Ganz bewusst.
Merz sendet Härte-Zeichen an Jerusalem
Es ist ein Härte-Zeichen an Jerusalem. Merz legt nach BILD-Informationen darauf Wert, dass man sich keinen Millimeter von Staat (Existenzrecht!) und Menschen entfernt. ABER: Man gehe auf Distanz zur Regierung Netanjahu. Die Art der Kriegsführung in Gaza, die Siedlungspolitik im Westjordanland – vor allem aber das Leid der Zivilisten im Gazastreifen: „nicht akzeptabel“.
▶︎ Merz ist am Ende einer Woche, die einmal zu den schwersten und entscheidenden seiner Amtszeit gehören könnte.
Vorigen Samstag: Krisentelefonat mit Frankreichs Präsident Macron und Briten-Premier Starmer. Tags zuvor hatte der Franzose unabgesprochen verkündet, im September den Palästinenser-Staat anerkennen zu wollen. Er hat Merz auf dem falschen Fuß erwischt: Das erhöht den Druck – aus den linken Teilen der SPD und von der Straße.
Sehen einig aus – sind es in Sachen Israel aber nicht: Präsident Emmanuel Macron (47, v. l.), Bundeskanzler Friedrich Merz und Briten-Premier Keir Starmer (46)
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In Berlin gingen an jenem Samstag wieder Anti-Israel- und Pro-Palästinenser-Mobs auf die Straße – diesmal sogar bei einer Queer-Demo für die Hamas-Terror-Islamisten in Gaza. Die Gegendemos sind klein, leise, selten.
Montag: Morgens tagt Merz im Kanzleramt mit dem Sicherheitskabinett. Man beschließt: Wadephul muss nach Israel. Draußen verdichtet sich eine Stimmung, die etwas verändert. Im Land, in der Koalition und auch im Umfeld von Merz. Er wirkt nachdenklicher. Schwankt er?
Queere Anti-Israel-Demo in Berlin-Kreuzberg am Samstag voriger Woche
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Von „New York Times“ über „Zeit“, bis „Stern“ kommen über Tage hinweg Magazine mit Fotos von Hunger-Kindern aus Gaza: viel Haut und Knochen, wenig Licht. Die Fotos wirken: im Land wächst der Druck: Tu was, Kanzler! Im Gazastreifen der Hamas-Terroristen hungern wirklich Kinder. Die Schuld landet nur bei Israel.
Merz richtet Luftbrücke nach Gaza ein
▶︎ Merz kündigt noch am Montag eine Bundeswehr-Luftbrücke für Gaza an. Zumindest Unmenschlichkeit könne man Merz dann nicht einfach unterstellen.
Dienstag: Mit Jordaniens König Abdullah II. (63) bespricht Merz Details zur Luftbrücke. Doch da kommt schon der nächste Nackenschlag: Auch der Brite Starmer stellt die Anerkennung eines Palästinenser-Staates in Aussicht. Merz steht nun fast allein da. Die USA und Deutschland sind die letzten Großen an der Seite Israels. Immerhin: Die Israel-Krise kann Berlin wieder dichter an Washington heranbringen. Wenigstens das: eine Hoffnung.
Mittwoch: Merz gibt Wadephul, der am nächsten Tag losfliegen soll, die Richtung vor. Israels Vorgehen in Gaza sei „nicht akzeptabel“. Er macht aber klar: Eine Anerkennung eines möglichen Palästinenser-Staates kann nur „am Ende eines Prozesses stehen“.
Diesen Samstag in Israel: Familien von Geiseln protestieren auf dem Geiselplatz und fordern ihre Freilassung aus der Gefangenschaft der Hamas im Gazastreifen
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Ein Zeichen. Mehr nicht. Denn der Anfang wäre für Merz: das Ende der Hamas. Die müsse entwaffnet und entmachtet, aufgelöst werden. Also eines fernen Tages, wenn das unlösbare Terror- und Hassproblem gelöst wäre. Israels Außenminister sagt der FAZ, was ein Palästinenser-Staat jetzt wäre: „… ein dschihadistischer Terrorstaat inmitten unseres Kernlandes“. Merz sieht das so. US-Präsident Trump auch.
Unions-Außenpolitiker daheim sind entsetzt
Donnerstag: Als Wadephul in Tel Aviv ankommt, ist ein anderer schon da: Trumps Sondergesandter für die Region, Steve Witkoff (68). Zwei Verbündete loten die Lage aus. Wadephul, spricht in Israel sehr oft von „fundamentalen Problemen“, „Staatsräson“ sagt er nicht einziges Mal. Dafür sagt er etwas anderes:
Palästinenser-Chef Mahmud Abbas (89, r.) traf sich ebenfalls mit dem deutschen Außenminister
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„Die humanitäre Katastrophe in Gaza übersteigt jede Vorstellung.“ Unions-Außenpolitiker daheim sind entsetzt: „Jede Vorstellungskraft!?“ – Wadephul fehlten „offenbar die Fantasie und die Erinnerung“, sagt ein erfahrener CDU-Außenexperte zu BILD. Wadephul weiter: „Ein Massensterben im Rahmen einer Hungersnot“ müsse abgewendet werden. Er sagt es an die Adresse Israels.
Freitag: Wadephul ist im Westjordanland, da startet die Bundeswehr ihre Luftbrücke nach Gaza: 34 Paletten mit knapp 14 Tonnen Lebensmitteln und medizinischer Ausrüstung werfen Soldaten aus Transportflugzeugen ab. Ein Zeichen an alle – auch in Deutschland: Der Kanzler tut was.
Aus der Luft: Hilfslieferungen werden über Gaza abgeworfen – auch deutsche
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Dieser Samstag: Als Wadephul im Sicherheitskabinett Bericht erstattet, hat er zwei Tage ins Kaleidoskop des Nahost-Konfliktes geschaut: Opfer, Täter, Opfer-Täter … Schuld und Sühne und die ewige Todesdrohung gegen Israel. Nur: Hat Wadephul bei seinem diplomatischen Hochseilakt ein klares Gesamtbild bekommen? Muss sich Merz nach dieser Woche wirklich mit deutschen Anti-Israel-Sanktionen zu beschäftigen?
Will der wirklich über diese Brücke gehen? Trotz „Staatsräson“? Nein.
▶︎ Nach der Krisensitzung des Sicherheitskabinetts hieß es zwar: „Israel steht weiter in der Pflicht, eine umfassende Versorgung auch mit Unterstützung der Vereinten Nationen und anderer humanitärer Organisationen sicherzustellen.“ Auch das ein Zeichen. Aber Merz macht im Sicherheitssicherheit klar: Das Hauptproblem ist die Terror-Hamas.
Wer holt sich die Hilfsgüter? Die Bundesregierung glaubt: die Hamas-Terroristen und andere Banden
Foto: Abed Rahim Khatib/dpa
Nach BILD-Informationen geht die Bundesregierung davon aus, dass 50 bis 100 Prozent aller internationalen Hilfsgüter bei der Hamas landen! In Diplomaten-Klartext gekleidet klingt das so: „Gleichzeitig zeigt sich die Bundesregierung besorgt über Informationen, wonach große Mengen an Hilfsgütern von der Hamas und kriminellen Organisationen zurückgehalten werden.“ Noch so ein Zeichen. Ein klares.