Pauline Ferrand-Prévot könnte das schaffen, was vierzig Jahre keinem Franzosen mehr gelungen ist: Die Tour zu gewinnen. Den Grundstein dafür legte sie am Col de la Madeleine. Doch wo Jubel ist, gibt es auch Tränen.
Massiver Stau und anspruchsvolle Serpentinen – die Anfahrt mit dem Auto hoch zum Col de la Madeleine ist alles andere als spaßig. Beschweren darf man sich aber eigentlich nicht, denn besser wird es den Fahrerinnen auf ihrem Rennrad auch nicht ergangen sein. Ganz im Gegenteil: Knapp 18 Kilometer bei einer durchschnittlichen Steigung von acht Prozent, der Weg hoch auf das Dach der diesjährigen Tour de France Femmes war steil und hart. Aber wenigstens herrschte auf fast 2.000 Metern Höhe Kaiserwetter, nachdem die Fahrerinnen in Chambéry bei strömenden Regen ins Rennen starten mussten.
Eine Fahrerin allerdings ließ die ganze Sache kinderleicht aussehen. Pauline Ferrand-Prévot legte auf den letzten Kilometern einen Höllenritt hin und sicherte sich damit vor unzähligen Fans an der Strecke nicht nur den Tagessieg, sondern auch erstmals das Gelbe Trikot. Mehr als zweieinhalb Minuten hat sie nun Vorsprung auf ihre ärgsten Verfolgerinnen – eine historische Vorentscheidung im Kampf um den Toursieg, denn Ferrand-Prévot ist die erste Französin, die sich das Maillot Jaune in der Geschichte der Frankreich-Rundfahrt überstreifen darf.
Ferrand-Prévot übermannt von Emotionen
Was folgte, war eine lange und feste Umarmung mit Renndirektorin Marion Rousse, einer langjährigen Wegbegleiterin Ferrand-Prévots. Spätestens da flossen die Tränen bei der Visma-Lease-a-Bike-Fahrerin, die bei der Siegerehrung nicht so recht wusste, ob sie lachen oder weinen sollte. Erst in diesem Jahr kehrte die Mountainbike-Olympiasiegerin von 2024 auf die Straße zurück. Und das mit der vollmundigen Ankündigung, innerhalb von drei Jahren die Tour de France Femmes gewinnen zu wollen. Das scheint ihr jetzt gelungen zu sein.
„Damit ist ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen“, sagte Ferrand-Prévot sichtlich gerührt im Ziel. „Ich hatte mir drei Jahre Zeit gegeben, um die Tour zu gewinnen. Und eigentlich war es eher als eine Herausforderung gedacht, sich zu fragen: Kannst du das schaffen? Et voilà!“ Die vergangenen zwei Monate seien voller harter Arbeit gewesen, sagt die 33-Jährige weiter. „Ich bin so glücklich, dass sich das alles ausgezahlt hat, um heute die Beste gewesen zu sein.“
Der perfekte Rennplan zu Gelb
Viele hatten eigentlich damit gerechnet, dass Ferrand-Prévot, im Vorfeld bereits als Top-Favoritin gehandelt, aber lange im Dienst von Sprinterin Marianne Vos unterwegs gewesen war, bereits auf der siebten Etappe nach Chambéry ins Gelbe Trikot fahren würde. Doch Kimberley Le Court-Pienaar zeigte sich zäher am Berg als manch einer es ihr zugetraut hätte. Heute hatte die Frau aus Mauritius dem Col de la Madeleine aber nichts mehr entgegenzusetzen. Anders als Ferrand-Prévot, die die ganze Tour auf die Königinnenetappe ausgerichtet hatte. Zweimal besichtigte die Französin im Vorfeld den heutigen Schlussanstieg, wollte sich jede Kehre einprägen – so wie es im Mountainbikesport üblich ist.
Die Akribie zahlte sich aus. Rund zehn Kilometer vor dem Ziel setzte Ferrand-Prevot zu ihrer Attacke an, schloss erst zu den Ausreißerinnen Yara Kastelijn und Niamh Fisher-Black auf, um dann als Solistin die letzten fünf Kilometern zu bewältigen. Bis dahin hatte sie mit Marion Brunel eine Helferin aus dem eigenen Team bei sich. „Die Mädchen haben den ganzen Tag gut für mich gearbeitet. Wir hatten einen Rennplan, den wir perfekt umgesetzt haben. Deshalb bin ich auch so glücklich, weil es ein Sieg für das Team ist.“
Niederlage für Vollering und Niewiadoma-Phinney
Eine ganz andere Gefühlswelt werden nach der Etappe wohl eher Demi Vollering und Kasia Niewiadoma-Phinney erleben. Die beiden galten vor dieser Etappe zu den Top-Favoritinnen auf den Tagessieg und das Gelbe Trikot. Doch zehn Kilometer vor dem Ziel, als Ferrand-Prévot zu ihrer Attacke ansetzte, wurde schnell klar: Niewiadoma-Phinney und Vollering können nicht mitziehen. Am Ende rettete sich Vollering als Vierte ins Ziel, auf die Französin sind es nun schon 3:18 Minuten, auf Platz zwei, den die Australierin Sara Gigante eroberte, weniger als eine Minute.
Sportschau Tourfunk, 02.08.2025 19:31 Uhr
Sowohl Vollering als auch die Vorjahressiegerin Niewiadoma-Phinney, die nach der Ankunft kommentarlos in den Teambus verschwand, mussten ohne Helferinnen in den letzten Anstieg des Tages gehen. Vor allem bei FDJ-Suez dürfte dies für Diskussionen sorgen, fuhren Elise Chabbey, Inhaberin des Bergtrikots, und Evitá Muzic, doch lange in der Ausreißergruppe mit, wodurch sie am Ende nichts mehr für Vollering ausrichten konnten. Eine weitere Top-Favoritin, die vor der heutigen Etappe noch in direkter Schlagdistanz zum Gelben Trikot lag, musste heute ebenfalls eine kräftige Niederlage einstecken. Anna van der Breggen (SD Worx) verlor mehr als acht Minuten auf die Spitze.
Ferrand-Prévot lässt Franzosen träumen
Auch wenn es die achte Etappe so etwas wie eine Vorentscheidung brachte, muss Ferrand-Prévot ihre Führung aber auch erst einmal ins Ziel bringen. Zwar ist die neunte und letzte Etappe von Praz-sur-Arly nach Chatel eine anspruchsvolle Bergetappe, auf der Zeit gut gemacht werden könnte. Aber auch diese hat die Französin im Vorhinein akribisch ausgekundschaftet. „Ich muss trotzdem wachsam bleiben. Aber ich habe mich heute super gefühlt. Deshalb sehe ich keinen Grund, weshalb ich mich morgen weniger gut fühlen sollte.“
Das hofft auch Marion Rousse, die zwar als Renndirektorin neutral bleiben sollte, aber eben auch Französin ist. „Ich weiß, wie wichtig das Gelbe Trikot für Frankreich ist. Erstrecht, wenn es so ein Champion wie Pauline Ferrand-Prévot trägt“, schwärmt die ehemalige Profi-Radsportlerin. „Sie ist das schönste Vorbild für kleine Mädchen und Jungs. Ich wusste, dass sie uns zum Träumen bringen würde. Und wir haben uns nicht getäuscht, schon im ersten Jahr lässt sie uns träumen.“ Vierzig Jahre ist es her, als das letzte Mal ein Franzose die Tour de France gewinnen konnte. Ferrand-Prévots Verfolgerinnen dürften allerdings alles daransetzen, dass dieser Traum zum Alptraum wird.