Die Instagram-Seite von Rosa Mayer Munos’ Kunstgalerie in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana ist noch immer online. „Ocean Alive“ heißt das letzte Bild, das dort zum Verkauf angeboten wurde. Es zeigt Wassermassen vor einem bewölkten Himmel, soll von der koreanischen Malerin Karis Kim stammen, Acryl auf Leinwand. Der Beitrag ist auf den 1. Dezember 2022 datiert.
Dass das Social-Media-Profil seitdem nicht mehr weiter befüllt wird, hat einen Grund: Nur wenige Tage nach dem Post mit dem Meeresbild wurde bekannt, dass es gar keine Galeristin namens Rosa Mayer Munos gibt. In Wirklichkeit heißt sie Anna Dulzewa – und ist russische Spionin.
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Gemeinsam mit ihrem Mann Artjom Dulzew – Deckname Ludwig Gisch – wurde Dulzewa zum Jahresende 2022 in dem an Österreich grenzenden EU-Land festgenommen. Die beiden gemeinsamen Kinder Sofia und Daniil kamen in die Obhut des Jugendamts. Damit endete ein jahrelanger Agenten-Krimi, dessen Aufarbeitung fortan zwar die slowenische Öffentlichkeit interessierte, die internationale hingegen zunächst kaum.
Das änderte sich anderthalb Jahre später. Da nämlich kehrten die Dulzews im Zuge eines historischen Gefangenenaustauschs in ihre Heimat zurück. Dorthin, wo sie bis heute leben – und arbeiten. Doch eins nach dem anderen.
Größter Austausch seit dem Kalten Krieg
Am 1. August 2024 ließen Russland und die verbündete Diktatur Belarus insgesamt 16 Journalisten, Regimegegner und andere Häftlinge frei. Mehrere westliche Staaten flogen im Gegenzug acht russische Straftäter in Richtung Moskau aus. Unter den beteiligten Ländern waren Deutschland, die USA – und Slowenien, das die Dulzews überstellte. Es war der größte Austausch dieser Art seit dem Ende des Kalten Kriegs.
Im Mittelpunkt standen auch hier erst einmal andere. Die deutschen Schlagzeilen etwa drehten sich in den ersten Stunden vor allem um Rico K. aus Salzgitter, der in Belarus nur knapp der Todesstrafe entkommen war. Um den russischen Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa, der so krank war, dass er das russische Straflager möglicherweise nicht überlebt hätte. Und nicht zuletzt um den sogenannten Tiergartenmörder und FSB-Agenten Wadim Krassikow, dessen Auslieferung an Moskau von einigen Seiten heftig kritisiert wurde.
Doch je mehr über das russische Agenten-Pärchen Dulzew und seine Kinder – Sofia und Daniil waren mittlerweile elf und acht Jahre alt – bekannt wurde, je mehr kuriose Details über ihre Undercover-Karrieren ans Licht drangen, desto mehr rückten auch sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Putin empfing Agenten auf rotem Teppich
Artjom und Anna Dulzew, beide Jahrgang 1984, wurden in jungen Jahren von Russlands Auslandsgeheimdienst SWR angeheuert. In den 2010er Jahren absolvierten sie verschiedene Einsätze in Südamerika, in Argentinien kamen die gemeinsamen Kinder zur Welt. Nach einiger Zeit zogen die Vier nach Slowenien, wo sie sich fortan als Exil-Argentinier ausgaben und ausschließlich Spanisch miteinander sprachen.
Agenten-Familie Dulzew am 1. August 2024 kurz nach der Ankunft in Moskau.
© imago/ITAR-TASS/IMAGO/Mikhail Voskresensky
In einem Vorort von Ljubljana bezogen sie ein gelb gestrichenes Haus, mit dunkelbraunen Holzzäunen vor unerwünschten Blicken geschützt. Nachbarn beschrieben sie als ruhig und zurückgezogen, aber freundlich.
Buenas noches.
Kremlchef Wladimir Putin begrüßte die Dulzew-Kinder am Flughafen auf Spanisch.
Dass sie schließlich enttarnt und verhaftet wurden, verdanken die slowenischen Behörden Geheimdiensthinweisen eines befreundeten europäischen Staates. Was genau Artjom und Anna all die Jahre zuvor im Auftrag des Kremls ausgekundschaftet hatten, ob sie möglicherweise EU-Einrichtungen im Visier hatten oder nur inaktive „Schläfer“ waren, ist bis heute nicht abschließend geklärt.
Fest steht nur: Am ersten Augusttag vergangenen Jahres wurden sowohl Vater und Mutter als auch beide Kinder nach Moskau ausgeflogen. Am Flughafen Moskau-Wnukowo empfing Wladimir Putin sie höchstpersönlich, es war extra ein roter Teppich ausgerollt worden.
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Die Bilder von Anna, die beim Anblick des Kremlchefs noch auf der Gangway in Tränen ausbrach, gingen um die Welt. „Buenas noches“, sagte Putin zu den beiden Kindern, die wenige Stunden vorher noch gedacht hatten, sie seien Argentinier. Es heißt „Guten Abend“ auf Spanisch. Vater Artjom erzählte später: Daniil habe gelacht, als er im Flugzeug von seiner wahren Identität erfuhr, Sofia geweint. Es wirkte alles wie ein Skript aus der berühmten Agenten-Fernsehserie „The Americans“ – nur in echt.
Wie aber ging es weiter für die Familie in dem Land, das zumindest für Sofia und Daniil mehr Fremde als Heimat war?
Dulzews unterstützen den Krieg
Während es über den Verbleib von „Tiergartenmörder“ Krassikow kaum Informationen gibt, sind russischsprachige Medien bei den Dulzews etwas auskunftsfreudiger.
So zitierte die Boulevardzeitung „Komsomolskaja Prawda“ Artjom im Dezember 2024 mit den Worten, er habe sich bereits gut wieder eingelebt. „Die Adaption ist fast abgeschlossen“, so Dulzew wörtlich.
Täglich sterben in der Ukraine Menschen durch russische Bomben. Anna und Artjom Dulzew unterstützen den Krieg durch Spenden an die Kreml-Armee.
© REUTERS/YEVHEN TITOV
Er und seine Frau, die beide noch während ihrer Haftzeit in Slowenien von Putin mit dem russischen Tapferkeitsorden ausgezeichnet wurden, sollen den Medienberichten zufolge weiter für den Geheimdienst tätig sein. Nicht bekannt ist, in welcher Position.
Darüber hinaus unterstützen die Dulzews nun aktiv Putins brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine, in dem UN-Angaben zufolge seit 2022 bereits deutlich mehr als 13.000 Zivilisten getötet wurden. Im März dieses Jahres sollen Anna und Artjom der russischen Armee mehrere Krankenwagen gespendet haben, angeblich aus dem eignen Budget.
Auch vor der Kamera standen die Dulzews nach ihrer Rückkehr mehrfach. In einer ihrer ersten Wochen in Russland posierten sie für einen Fernsehsender der autoritären Ex-Sowjetrepublik Aserbaidschan in einem Park. Daniil ist beim Fußballspielen zu sehen, Mutter Anna hält einen riesigen Blumenstrauß in der Hand und berichtet, dass sie nach all den Jahren der Tarnung nun gelegentlich im Russischen nach Worten suchen müsse.
Ein anderes Mal – die Veröffentlichung des Interviews ist erst anderthalb Monate her – ließ die Familie sich vom russischen Sender NTW filmen. Anna lobt in dem Beitrag die russischen Soldaten, die tagtäglich die Ukraine bombardieren, als „echte Helden“, die ebenso für Putin an der Front kämpften, wie sie es einst getan habe.
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Dieses Mal kommen auch die Kinder zu Wort, die in der Zwischenzeit Russisch gelernt haben, wenn auch mit deutlichem Akzent. Er habe nun auf einmal Opa, Oma, Onkel und Tante, zählt Daniil auf. Sie erinnere sich noch gut an den Moment, in dem sie erfahren habe, dass sie eine Dulzewa sei, erklärt Sofia.
Dann will der Reporter wissen, was die Kinder später einmal werden wollen, wenn sie erwachsen sind. „Raswedschiki“, antworten beide wie auf Knopfdruck: „Spione“.