Tänzer in Fantasiekostümen auf der Bühne

AUDIO: Radikal, spirituell und visuell: Sommerfestival auf Kampnagel (3 Min)

Stand: 02.08.2025 11:55 Uhr

Zwei Weltpremieren stehen beim diesjährigen Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel auf dem Programm. Zum einen etwas akustisch Kräftigeres, zum anderen ein Solo-Tanz, der weich, leicht und leise daherkommt. Ein Probenbericht.

von Peter Helling

Das werden Sie kennen: Diesen Rabatz, diese laute Musik von Marschkapellen junger Frauen in knappen bunten Tanzkostümen. Er erinnert ein bisschen an die „Tanzmariechen“ beim Kölner Karneval oder an die Feiern vor Footballspielen. Der Tanz „Majorette“ gehört zu jedem großen Event in den USA dazu. Aber was macht der hier, im Avantgarde-Tempel Kampnagel?

Auf der Probebühne stehen sechs Tänzerinnen und bilden perfekte Kick-Lines. Es hat etwas Militärisches, gleichzeitig etwas total Überdreht-Mitreißendes, Cooles. „Es war ein Tanzstil, den ich kennengelernt habe, als ich zu tanzen anfing, als ich jünger war“, erzählt die US-amerikanische Choreografin Ogemdi Ude. „Dieses Stück „Major“ ist für mich eine Reise zurück, um herauszufinden, wie es sich anfühlte aufzuwachsen und sich so zu bewegen, wie es mir diese wundervollen schwarzen Frauen beigebracht haben.“

Tänzerische Perfektion plus Energie des Ensembles

Der Tanz ist eng verbunden mit den traditionell schwarzen Hochschulen in den Südstaaten. Sie will diesen Tanz auch würdigen als Ausdruck des Selbstbewusstseins. „Wenn du schwarzen Frauen, schwarzen „Femmes“, schwarzen queeren Leuten hilfst, aufzustehen, sich zu erheben, hebst du auch so viele andere Gemeinschaften hoch“, sagt die Choreografin. „Ich wollte zeigen, dass diese Arbeit ein Ort ist, wo man zusammenkommen kann, um sich selbst zu verstehen.“ Es geht um Gemeinschaft, das spürt man bei der Probe.

Immer wieder setzen sich die Tänzerinnen an den Bühnenrand, trinken einen Schluck Wasser, entspannen sich, lachen. Indem sie diesen Tanz aus dem üblichen Kontext löst und nach Kampnagel holt, kann Ogemdi Ude eine Geschichte über die Identität schwarzer Weiblichkeit erzählen. Die Energie des Ensembles, die feine Ironie und die tänzerische Perfektion stecken an. Dieser Tanz hat schon Popstar Beyoncé inspiriert. „Majorette“ ist mehr als Kickline und Formationstanz. Laut, überbordend, positiv: so wirken die Proben.

Kampnagel Sommerfestival Stimmungsbild

Kampnagel ist ein weltweit bekanntes internationales Produktionshaus. Hier werden neben zeitgenössischen Künsten auch Konzerte präsentiert.

Geschichte eines kollektiven Traumas

Ganz anders ein paar Schritte weiter, in einer anderen Halle von Kampnagel. Das ist das Großartige am Internationalen Sommerfestival: Man geht wenige Meter, und schon steht man in einer anderen Kultur, einer anderen Geschichte. Mitten in der Stille. Mackenzy Bergile ist in Paris geboren und hat haitianische Wurzeln. Mit seiner Arbeit „Autothérapie“, erzählt er die Geschichte eines kollektiven Traumas, des Kolonialismus, und scheint es tänzerisch zu überwinden.

Sein Solo ist mehr als ein Solo, sagt er, denn er möchte mit seinem Körper die Geschichte vieler Körper erzählen. Die Erinnerung fließt durch viele Körper. Dazu versetzt er seinen Körper in eine enorme Spannung, man erahnt jede Muskelfaser, manchmal zucken sie, dann werden die Bewegungen weich und leicht. Dann streckt er wieder eine Hand aus oder beugt den Rücken. Es ist eine hochkonzentrierte Arbeit. Erinnerung funktioniert genau so: Man erkennt etwas, man spürt es im eigenen Körper nach, stellt Erinnerungslücken fest – und genau darin liegt für den Tänzer eine Chance.

Sommerfestival wird zum Experimentierfeld

Tanz kann empowern, kann wach machen, wie hier. Mackenzy Bergile will etwas Neues schaffen. „In meiner Arbeit ist es wichtig, einen neuen Raum zu öffnen“, sagt der Tänzer. „und mit diesen Teilen der Erinnerung zu arbeiten und etwas wirklich Neues zu schaffen.“ Laut und ganz leise – die beiden Weltpremieren versprechen bei der Probe schon jetzt: Dieses Sommerfestival wird zum Experimentierfeld für neue Gedanken und neue Gefühle.

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