Wenn das so läuft, dann macht selbst ein Clown mal ein langes Gesicht, steckt die rote Nase ein und bringt sein wildes Wuschelhaar in Sicherheit. Kids, die er bespaßen wollte, sind bei Blitz, Donner und Regengüssen eh keine da. In dieser Manier hat es dem Henkersfest auch den Start in den dritten Tag verhauen, weshalb die Wurstfrau in ihrem Holzhäuschen auch knapp zwei Stunden später noch den Deckel auf der Ware hat. „Ist eben kein Festival-Sommer“, konstatiert Sascha knapp, der auf Höhe Jakobstraße als „Eckposten“ zum Eingang die Stellung hält und am Zapfhahn Däumchen dreht.
Henkersfest kommt trotz des Wetters in Fahrt
„Vielleicht wird’s ja noch!“ ruft er hinterher. Ist der Mann ein Hellseher? Zwei Stunden später jedenfalls hat sich das Bild komplett gedreht. Tische und Bänke sind die Straße lang voll besetzt, emsiger Betrieb an den Gastro-Ständen mit reichlich internationalem Angebot. Das Chord’n Bleu-Trio sorgt mit Pop-Rock vor der Leonhardskirche für gute Laune. Erst recht Sannah & Friends auf der Bühne um die Ecke, wo die Frontfrau mit Leidenschaft und Power die Richtung weist: „I will survive!“ Diese hohe musikalische Betriebstemperatur strahlt wie von selbst ab. Kurzum: das Henkersfest ist spät, dann aber doch noch richtig in Fahrt gekommen.
Kurz bevor den Bands der Stecker gezogen werden muss, wirkt Michael Helmstädter nun doch etwas entspannter. Bereits zum 31. Mal stemmt er mit dem Verein MIR, der Musikinitiative Rock Stuttgart e.V., nun schon das Henkersfest. Helmstädter aber, an sich die Freundlichkeit in Person, lässt sich viel Zeit, atmet ganz tief durch und sagt dann: „Das war der pure Albtraum! Schon der schwierige Umzug vom Wilhelmsplatz hierher, und dann erfahre ich zwei Tage vorher, dass wir früher Schluss machen müssen. Hätte ich das vor vier Wochen gewusst, hätte ich das Fest abgesagt.“
„Das knickt doch jedes Bürgerfest“
Dann braucht er eine lange Pause, bevor er loslegt mit seiner Litanei gegen das, was er einen „Angriff auf die Seele des Henkerfestes“ nennt. Klar, die Verlegung vom „nicht attentatssicheren Wilhelmsplatz“, das sei objektiven Zwängen geschuldet. Ende der Live-Musik um 22 Uhr, auch okay. „Dass ich aber an den ersten beiden Tagen eine halbe Stunde später den Platz räumen muss und an den beiden anderen Tagen auch nur eine Stunde dazu bekomme, das knickt doch jedes Bürgerfest“.
Genau das sei schließlich das Henkersfest, „ein friedliches Fest über all die Jahre, zu dem die Leute aus Stuttgart kommen, nicht zu eingekauften Highlights, sondern zu guten Bands aus dieser Stadt, wo die Menschen sich treffen und unterhalten, und wenn sie dann gut sitzen, schwätzen, redselig sind und längst nicht mehr auf die Uhr schauen, dann muss ich sie wegschicken“. Absurd sei das, gerade in Zeiten, „wo die Gesellschaft auseinanderdriftet, der Gemeinsinn erodiert und das Ego regiert“. Das Henkersfest aber, rein ehrenamtlich organisiert, bringe Leute zusammen, „und keiner ballt die Faust in der Tasche“. Dieses Miteinander, das sei doch „immer die Seele des Henkerfestes“ gewesen, „auf dem Wilhelmsplatz, wo wir bis 1 Uhr sitzen konnten“. Und jetzt schlage die Stadt da „mit dem Hammer drauf“.
Ärger über die Stadt
Was ihm besonders sauer aufstößt: Feste wie die auf dem Marien- oder Schöttle-Platz, in der West-Allee oder am Feuersee, „alle dürfen länger als wir“. Da sei „jetzt eine neue Regel, und wir sind die Ersten, bei denen das durchgezogen wird“. Die Stadt müsse sich überlegen, „ob sie solche Feste überhaupt noch haben will“.
Derweil geben No Sports zum Finale noch mal richtig Gas mit ihrem temposatten, leicht schräg-anarchistisch tönenden Ska und fetzen den immer noch taufrischen Dauerbrenner „Stay Rude, Stay Rebel“ unter das tanzende Publikum. Ziemlich traurig, wie schnell sich dann die Vollversammlung auflöst. Jetzt, wo man so gut sitzt und so lässig beisammensteht