Standdatum: 3. August 2025.
Autorinnen und Autoren:
Heike Zeigler
Viele Betroffene suchen verzweifelt nach Fachärzten – finden sie aber nicht.
Bild: Imago | Science Photo Library
Schon seit 30 Jahren gibt es bundesweit Rufe nach mehr Fachärzten. Getan hat sich seitdem wenig – zum Leidwesen der vielen Betroffenen. Woran liegt das?
Patientinnen und Patienten aus Bremen fahren bis Gifhorn, Göttingen oder Braunschweig, um eine Behandlung von einem rheumatologischen Experten für ihre Beschwerden zu bekommen. Andere bekommen nicht mal dort einen Termin, erzählt Marianne Korinth. Die 65-Jährige engagiert sich seit vielen Jahren ehrenamtlich in der Rheuma-Liga – einer Selbsthilfeorganisation. „Ganz viele Patienten sind verzweifelt und rufen dann bei mir an und weinen am Telefon. Das ist eine große Katastrophe.“
In ganz Bremen gibt es genau eine Praxis für Rheumaerkrankte. Vier Ärztinnen und Ärzte sind dort tätig. Damit erfüllt die Stadt Bremen zwar die derzeit vorgegebene Mindestquote an Rheumatologen. Aber jede Woche rufen bis zu 100 neue Patienten an und hoffen auf einen Termin. In der Regel ohne Erfolg. In Bremerhaven gibt es keine einzige Praxis.
Marianne Korinth von der Rheuma-Liga in Bremen. Die Selbsthilfegruppe hilft Betroffenen, Unterstützung zu finden.
Bild: privat
Laut der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, DGRh, bräuchte es bundesweit mindestens 1.400 Rheumatologen. Das sind etwa doppelt so viele wie derzeit praktizieren, sagt Ulf Wagner, Präsident der Gesellschaft. Die Fachgesellschaft fordert mindestens zwei Rheumatologen pro 100.000 Einwohner, um Rheumabetroffene angemessen behandeln zu können. Bremen müsste demnach etwa zehn Ärzte vorweisen, Bremerhaven zwei.
Rheuma längst eine Volkskrankheit
In Deutschland haben, so die Schätzung, rund 1,8 Millionen Menschen Rheuma mit zum Teil schweren Entzündungen an Gelenken, Muskeln oder auch Organen. Lange hatte die Krankheit den Ruf, dagegen nichts machen zu können. Doch die Behandlungsmethoden wurden in den vergangenen 30 Jahren immer besser. Die DGRh forderte deshalb schon 1994, mehr Ärzte in dieser Fachrichtung auszubilden.
Für Jens Gert Kuipers, Chefarzt am Rheumazentrum des Rotes-Kreuz-Krankenhauses in Bremen, ist dieser Ärztemangel besonders tragisch. Denn „umso länger ich warte, bevor ich mit der Therapie starte, umso größer ist der nicht mehr rückgängig zu machende Schaden, weil diese rheumatischen Entzündungen den ganzen Körper befallen können.“
Jens Gert Kuipers ist Chefarzt am Rheumazentrum des Rotes-Kreuz-Krankenhauses in Bremen.
Bild: Rotes Kreuz Krankenhaus Bremen
Doch trotz der frühen Hinweise wurden in den vergangenen Jahrzehnten an vielen medizinischen Hochschulen die Lehrstühle für Rheumatologie aus Spargründen gestrichen. Nur zehn von 38 haben derzeit einen solchen für diese Autoimmunkrankheit. Auch Krankenhäuser zeigen wenig Interesse an einer solchen Fachabteilung, da die Behandlung von Rheuma nicht zu den erlösträchtigen Bereichen wie etwa die Kardiologie gehört. Dazu kommt, dass viele Ärzte aus der Babyboomer-Generation nach und nach in Rente gehen – ohne einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu haben. Zugleich aber lässt diese Generation die Zahl der Patientinnen und Patienten stark ansteigen.
Das Schwarzer-Peter-Spiel ist in vollem Gange
In Bremen haben die Kassenärztliche Vereinigung und Krankenkassen bisher drei Weiterbildungen von Internisten zu Rheumatologen finanziert. Doch weitere Gespräche, um die nach wie vor angespannte Situation in der einzigen Praxis Bremens zu erleichtern, sind jetzt gescheitert, räumt Jörn Hons von der AOK Bremen ein: „Wir sind zu keinem guten Ergebnis gekommen, sodass wir die Situation wirklich verbessern können.“
Über die Gründe des Scheiterns hört man von den beteiligten Akteuren Unterschiedliches. Es ist von klammen Krankenkassen, die keine Mehrkosten tragen wollen, die Rede. Von einer Kassenärztlichen Vereinigung, die die Vergabe der Arztsitze nicht gut genug steuert. Und von einer Arztpraxis, die sich jeden Mehraufwand bezahlen lassen wolle. Die Verantwortung wird offenbar gerne jeweils weitergereicht.
Erneuter Appell an die Politik
Um endlich einer Lösung näherzukommen, hat die DGRh jetzt eine weitere Initiative gestartet. Dieses Mal geht der Hilferuf an die Gesundheitsministerien aller Bundesländer. Diese sollen die Weiterbildungsmöglichkeiten für Ärzte in ihrem Land verbessern und die Kosten dafür, zumindest teilweise, übernehmen. Beim Bund hatte die DGRh damit bisher keinen Erfolg, so Wagner.
Ob die Länder dies machen werden, ist offen. Auch sie haben klamme Kassen. In Bremen werden derzeit am Rheuma-Zentrum am Rotes-Kreuz-Krankenhaus acht Ärzte weitergebildet. Ob sie am Ende auch in Bremen bleiben werden, ist nicht sicher. Der Konkurrenzkampf um sie wird groß sein. Noch werden bundesweit deutlich zu wenige von ihnen ausgebildet.
In einer ersten Reaktion aus dem Bremer Gesundheitsressort gegenüber buten un binnen heißt es, dass die Ausbildungssituation in Bremen insgesamt zufriedenstellend sei. Allerdings räumt eine Sprecherin ein, dass sie die „Kritik des Auseinanderfallens von rechnerischer Bedarfsplanung und Versorgungsrealität, die auch die DGRh anspreche, nachvollziehen könne.“ Das soll wohl heißen, dass die verzweifelte Arztsuche von Rheumapatientinnen und -patienten dem Ressort bekannt ist.
Information zum Thema
Warum werden Arztsitze für Rheuma begrenzt?
Der Gemeinsame Bundesausschuss (unter anderem mit Vertretern der Kassenärzte und der Krankenkassen) legt den rechnerischen Bedarf für die Anzahl der Facharztsitze bundesweit fest. Ende vergangenen Jahres hat er beschlossen, die Mindestquote von acht Prozent für Rheumatologen nicht wie vorgesehen auf zehn Prozent zu erhöhen. Es wird befürchtet, dass die wenigen Rheumatologen in Ballungszentren wie Bremen gehen. Das verkennt aber, dass auch dort die Praxen völlig überlastet sind. Der Bremer Zulassungsausschuss könnte dennoch eine Erhöhung der Sitze wegen Sonderbedarfen beschließen. Die beiden Krankenkassen AOK und HKK, so AOK Sprecher Jörn Hons, fordern jetzt von der Kassenärztlichen Vereinigung, den Spielraum zu nutzen.
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Quelle:
buten un binnen.
Dieses Thema im Programm:
Bremen Zwei, Der Nachmittag, 31. Juli 2025, 16.35 Uhr