Nach wie vor ist Wohnraum knapp in Stuttgart. Dabei stehen rund 11.000 Wohnungen leer. Tut die Stadt zu wenig, um den Leerstand zu bekämpfen und die Wohnungen wieder zu aktivieren?
Mehr als 11.000 Wohnungen stehen in Stuttgart leer. Das ergibt sich aus aktuellen Zahlen des Statistischen Amts der Stadt. Ein Unding, wo doch Wohnraum in der Landeshauptstadt so knapp ist und vor allem Familien verzweifelt bezahlbare Wohnungen suchen, findet der Stuttgarter Mieterverein. Könnte mehr getan werden, um die leerstehenden Wohnungen wieder auf den Markt zu bringen?
Mieterverein: Leerstand in Stuttgart kann besser verfolgt werden
Die im Juni von der Stadt Stuttgart veröffentlichte Analyse des Wohnungsleerstands zeige das mögliche Potenzial für Neuvermietungen, teilt der Mieterverein mit. „Von den 11.152 Wohnungen stehen 6.100 seit mehr als einem halben Jahr leer“, erklärt Rolf Gaßmann, Vorsitzender des Stuttgarter Mietervereins. „Damit fallen sie unter das Zweckentfremdungsverbot, das einen Leerstand von mehr als sechs Monaten untersagt.“ Gaßmann macht zum Vergleich noch eine Rechnung auf: 6.100 Wohnungen entsprächen in Stuttgart der Neubauleistung von sechs Jahren.
Was ist das Zweckentfremdungsverbot?
Es handelt sich bei dem Zweckentfremdungsverbot um eine gesetzliche Regelung auf Landesebene, die den Kommunen helfen soll, bei Wohnraummangel gegen leerstehende Wohnungen vorgehen zu können. Mit dem Gesetz gegen Zweckentfremdung hat das Land Baden-Württemberg 2013 Städten und Gemeinden die Möglichkeit gegeben, eine Genehmigungspflicht für die Zweckentfremdung von Wohnraum einzuführen.
Eine Zweckentfremdung liegt vor, wenn:
- Wohnraum zu mehr als 50 Prozent der Gesamtfläche für gewerbliche oder berufliche Zwecke verwendet oder überlassen wird,
- baulich derart verändert oder in einer Weise genutzt wird, dass er für Wohnzwecke nicht mehr geeignet ist
- er für mehr als zehn Wochen im Kalenderjahr für Zwecke der Fremdenbeherbergung genutzt wird,
- länger als sechs Monate leer steht oder abgerissen wird.
Seit 2021 neu bei dieser Satzung ist, dass die Kommunen von den Betreibern von Internetportalen für die Vermittlung von Ferienwohnraum Auskünfte verlangen können. Außerdem können sie für die Vermietung von Wohnraum als Ferienwohnung eine Registrierungspflicht sowie eine Anzeigepflicht für jede einzelne Überlassung von Wohnraum einführen.
Verstöße können mit einem Bußgeld bis zu 50.000 oder sogar 100.000 Euro geahndet werden. Ein Zweckentfremdungsverbot für Wohnraum gibt es auch in Freiburg, Konstanz, Hamburg, München und Berlin.
Und selbst mit diesen neu gebauten Wohnungen werde auch die Neubauquote nicht erfüllt. Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) war 2020 zur Wahl angetreten mit dem Versprechen, die Neubauquote seines Vorgängers Fritz Kuhn (Grüne) zu übertrumpfen: Kuhn hatte das Ziel ausgegeben, jährlich 1.800 Wohnungen in Stuttgart neu bauen zu lassen, Nopper wollte mindestens 2.000 neue Wohnungen jährlich. Die Quote wurde weder vor 2020 noch jetzt in Noppers Amtszeit erfüllt, denn Bauen ist inzwischen sehr teuer geworden. Zudem stehen alle Kommunen vor finanziell schwierigen Zeiten.
In Stuttgart gilt das Zweckentfremdungsverbot seit 2016. Beim Baurechtsamt gibt es dafür zwei Personalstellen. Bürgerinnen und Bürger können Leerstand melden. Jede Meldung werde dann individuell geprüft, heißt es bei der Stadt. Das sei aufwendig, und das Personal würde dafür nicht ausreichen, sagt Gaßmann. Er fordert, dass die Stadt die Möglichkeiten, die sie hat, um gegen Leerstand vorzugehen, stärker nutzt: „Es könnten schon öfter Bußgelder erteilt werden.“
Das habe ja auch abschreckende Wirkung. „Zudem wird die Registrierungspflicht sowie die Möglichkeit, Leerstand zu melden, gar nicht beworben“, ärgert sich der Mieterverein-Vorsitzende. Das könne man im Amtsblatt problemlos regelmäßig machen. Berlin und Hamburg, wo es auch ein Zweckentfremdungsverbot gibt, hätten nur halb so viel Leerstand, sagt Gaßmann. Offensichtlich arbeiteten dort die Stadtverwaltungen effektiver.
Zusätzlich problematisch: hohe Mieten, zu wenig Neubau
Wenn noch dazu zu wenig neu gebaut wird und die Mieten hoch bleiben, ist die Wohnungsnot der größte Faktor, an dem das Anwerben dringend gebrauchter Fachkräfte scheitert. Darauf machte auch die baden-württembergische Bauwirtschaft mit einer Demonstration in Stuttgart im März 2024 aufmerksam. Und im vergangenen Jahr hat eine Untersuchung ergeben, dass 71 Prozent der Menschen, die aus Stuttgart wegziehen, dies vor allem tun, weil sie keine bezahlbare Wohnung finden.
Stadt Stuttgart: Bußgelder sind das letzte Mittel
Die Stadt Stuttgart teilt auf SWR-Anfrage mit, dass sie gemäß des Auftrages des Gemeinderats alles dafür tut, leerstehende Wohnungen wieder dem Markt zuzuführen und Besitzerinnen und Besitzer entsprechend zu sanktionieren. Sie weist jedoch darauf hin, dass auch der Gemeinderat Bußgelder als letztes Mittel im Kampf gegen Leerstand definiert habe. „Der Auftrag an die Verwaltung war, auf die Eigentümer beratend und aufklärend einzuwirken“, heißt es. Daher seien seither Bußgelder in Höhe von nur knapp 30.000 Euro festgesetzt worden.
Rund 11.000 Wohnungen stehen in Stuttgart seit Jahren leer. Initiativen vor allem im Osten und in Bad Cannstatt machen immer wieder mit Plakaten und Stickern auf die Lage aufmerksam.
Allerdings, so die Stadt, setze ihre Arbeit vor den Bußgeldern an. So seien 400 Wohnungen auf Druck der Stadtverwaltung hin wieder dem Markt zugeführt worden. Zudem habe es die „Sicherstellung von 400.000 Quadratmetern Ersatzwohnraum und Ausgleichszahlungen von mehr als zwei Millionen Euro“ gegeben.
Stadt Stuttgart: Nicht jede leerstehende Wohnung ist zweckentfremdet
Darüber hinaus weist die Stadt darauf hin, dass nicht jede Wohnung, die leer steht, auch gleich illegaler Leerstand oder illegale Nutzung gemäß einer Zweckentfremdung sei. Von der Zweckentfremdung gebe es zahlreiche Ausnahmen, sei es aus Altersgründen, aufgrund von Sanierung oder baurechtlichen Mängeln, weil ein Abbruch bevorsteht oder weil es sich um Betriebs- oder Hausmeisterwohnungen handelt. Und nicht jede Monteurs- oder Ferienwohnung sei zweckentfremdet und dem Wohnungsmarkt dauerhaft entzogen.
Leerstandsquote in Stuttgart liegt bei 3,5 Prozent
4.200 Wohnungen waren laut Stadt länger als ein Jahr nicht mehr bewohnt, knapp die Hälfte der insgesamt leerstehenden Wohnungen konnte nach Angaben der Eigentümerinnen und Eigentümer innerhalb von drei Monaten nach dem Stichtag wieder bezogen werden. Das ergebe eine Leerstandsquote von 3,5 Prozent in Stuttgart – diese sei seit 2011 leicht gesunken.
Sendung am Sa., 2.8.2025 6:00 Uhr, SWR4 BW am Samstagmorgen, SWR4 Baden-Württemberg
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