Israels prominentester Schriftsteller, David Grossman, hat die Kriegsführung seines Landes im Gazastreifen als Genozid bezeichnet. Viele Jahre lang habe er es vermieden, den Begriff „Genozid“ zu verwenden, sagte der preisgekrönte Autor und Friedensaktivist der italienischen Zeitung La Repubblica in einem Interview. Aber „nach den Bildern, die ich gesehen habe, und nachdem ich mit Menschen gesprochen habe, die dort waren, kann ich nicht anders, als dieses Wort zu benutzen“.

„Was vor meinen Augen geschieht, ist Genozid“

Grossman sagte, er möchte als jemand sprechen, der alles getan habe, um Israel nicht als einen Genozid verübenden Staat bezeichnen zu müssen. „Und nun muss ich mit großem Schmerz und gebrochenem Herzen sagen, dass es vor meinen Augen geschieht. Ein Genozid.“

In dem Interview schilderte der Schriftsteller auch, warum aus seiner Sicht nicht mehr Menschen in Israel gegen die Kriegsführung im Gazastreifen protestieren: „Weil es einfacher ist, das nicht zu sehen. Und es ist leicht, der Angst und dem Hass nachzugeben.“ Viele Israelis hätten sich nach dem Massaker vom 7. Oktober „der Angst ergeben“ und „gemeinsame linke Werte“ aufgegeben. „Ohne zu merken, dass man außerhalb Israels umso isolierter und verhasster ist, je mehr man der Angst nachgibt.“

Wenn man in Israel sei, umgeben von Nachbarn, „die einen nicht in der Region haben wollen, wie Syrien, und wenn man anfängt, die Unterstützung Europas zu verlieren, wächst die Isolation, und man findet sich in einer immer tieferen Falle wieder, aus der man nur schwer wieder herauskommt“, sagte Grossman.

Israels moralische Verantwortung

In dem Interview nannte Grossman es „niederschmetternd“, die Wörter „Israel“ und „Hungersnot“ zu verknüpfen. Dies sei speziell so mit Blick auf „unsere eigene Geschichte, unsere angebliche Sensibilität für das Leiden der Menschheit und der moralischen Verantwortung, von der wir immer vorgegeben haben, dass wir sie jedem Menschen gegenüber wahren, nicht nur gegenüber Juden“. 

© Lea Dohle

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Grossman ist seit Langem ein Kritiker der israelischen Regierung und der israelischen Besetzung von Palästinensergebieten. Seine Werke wurden in Dutzende Sprachen übersetzt und mit zahlreichen internationalen Preisen gekrönt. Der 71-Jährige erhielt im vergangenen Jahr den Marion-Dönhoff-Preis für seine Bemühungen um Völkerverständigung und Aussöhnung. Zuvor hatte er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen sowie den Man Booker Prize, den höchsten Literaturpreis Großbritanniens.

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