Durch die Straßen von Malakka und Singapur werden 40 Prozent des Welthandels abgewickelt. Doch bewaffnete Übergriffe von Seeräubern machen zunehmend Sorgen.
Von Maximilian Seib, ARD Singapur
Wenn es vor der Küste von Singapur Nacht wird, greifen die Seeräuber an. Im Schutz der Dunkelheit überfallen sie Schiffe, die die Straße von Malakka und Singapur durchfahren. Und diese Angriffe mehren sich: Die Zahl der bewaffneten Überfälle in der Meerenge hat sich im ersten Halbjahr 2025 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum vervierfacht.
Die Straße von Malakka und Singapur ist einer der wichtigsten Seewege des globalen Handels. Rund 100.000 Schiffe fahren jedes Jahr über diese Route. Auch 20 Prozent aller deutschen Importe und 10 Prozent aller Exporte passieren sie.
Die Internationale Handelskammer warnt: Der rasante Anstieg an Überfällen sei besorgniserregend, weil die Angriffe die Schiffsbesatzungen und auch die Sicherheit des internationalen Handels in Gefahr brächten.
Große Auswirkungen auf Lieferketten
Milan Dolinski arbeitet als Logistiker in Singapur. Seine Firma handelt mit landwirtschaftlichen Rohstoffen wie Kartoffeln, Weizen oder Mais. „Wenn in der Straße von Malakka und Singapur irgendetwas passiert, hat das einen riesigen Einfluss auf das ganze System“, sagt Dolinski. Es drohen Unterbrechungen der Lieferketten und höhere Kosten für Reedereien. Dazu komme, dass es keine wirkliche Alternative gebe. Der Umweg über die indonesischen Inseln Bali und Lombok würde Zeit und Geld kosten.
Um seine eigenen Lieferungen sorgt sich Dolinski bisher allerdings nicht. Denn die Angreifer haben es vor allem auf Gegenstände und Güter abgesehen, die lose auf den Schiffen liegen: Kupfer, Stahl, Motorenteile, auch Geld und Uhren der Besatzung. Container werden nicht aufgebrochen, weil das zu lange dauert. Vereinzelt werden Crew-Mitglieder angegriffen oder gefesselt.
Überfälle können zu Schiffsunfällen führen
Vijay D Chafekar, Direktor der für die Region zuständigen Überwachungsbehörde ReCAAP (Regional Cooperation Agreement on Combating Piracy and Armed Robbery against Ships in Asia) sagt, man könne diese Überfälle allerdings nicht als Bagatell-Diebstähle abtun. Angriffe gerade in einer solch hohen Zahl könnten zu Unfällen der Schiffe führen. In einer solchen Meerenge hätte das große Auswirkungen. „Deswegen dürfen wir das Problem nicht ignorieren.“
ReCAAP wurde vor knapp 20 Jahren gegründet, als die Situation in der Straße von Malakka und Singapur noch schlimmer war. Damals wurden Schiffscrews entführt, in einigen Fällen getötet. Boote verschwanden spurlos. Um dem Herr zu werden, schlossen sich mehr als ein Dutzend Nationen zusammen.
ReCAAP beobachtet und registriert für sie seither die Überfälle auf See, gibt Handlungsempfehlungen an Mitgliedsländer und Schiffsbetreiber. Mittlerweile ist auch Deutschland Mitglied der Organisation. Die Zusammenarbeit der Nationen hat sich bewährt. Lange hatte sich die Situation in der Straße von Malakka und Singapur beruhigt.
Wirtschaftliche Not als Antrieb
Woher kommt also der jüngste Anstieg an Überfällen? Ermittlungen der lokalen Behörden zeigen: Die Seeräuber stammen aus Indonesien, leben auf den Riau-Inseln südlich von Singapur. Gleich mehrere Gruppen agieren von dort aus.
Die wirtschaftliche Not der Menschen vor Ort sei der Grund für den Anstieg der Überfälle, sagt Syariat. Er war früher selbst als Pirat aktiv. Im Haus eines Kontaktmanns ist er bereit, über die Hintergründe und Strukturen der Seeräuber in der Region zu sprechen.
„Ich wollte nie Pirat werden“, sagt er. Aber es sei damals sehr schwierig gewesen, seine Familie zu ernähren. Sie hätten jedes Schiff überfallen, das vorbeigefahren sei. Nun sei der ökonomische Druck wieder sehr hoch. Die Einkünfte als Fischer oder Bauarbeiter brächten wenig. Deswegen sei die nächste Generation nun aktiv.
Das System der Seeräuber
Dabei unterscheiden sich die Seeräuber von den Riau-Inseln von Piraten im Indischen Ozean oder dem Golf von Guinea. Sie tragen keine Schusswaffen bei sich, nur Luftpistolen, Messer und Macheten. Das Ziel seien schnelle Diebstähle, ohne groß Aufmerksamkeit zu erregen.
„Man hat ungefähr 20 Minuten“, erzählt Syariat. Dann fahre das eigene Boot wieder weg. Alles andere sei zu riskant. Wer bis dahin nicht zurück ist, dem bleibt nur der Sprung ins Meer. „Es ist eine sehr gefährliche Mission.“
Die Riau-Inseln bieten für die Seeräuber ideale Bedingungen. Denn es gibt mehrere tausend kleine Inseln. Auf einer lagern sie ihre Beute, auf einer anderen werden Trainings veranstaltet, berichtet Syariat. Wie man an einem Seil ein überfallenes Schiff hochklettert, wie man notfalls die Besatzung fesselt. Solange es den Menschen an Geld und Perspektiven fehle, werde es auch Piraten in der Region geben.
Abschreckung wirkt
Führt wirtschaftliche Not also automatisch zu mehr Überfällen? Für Vijay D Chafekar von ReCAAP wäre das Kapitulation. Er setzt auf Abschreckung. Mitte Juli haben Ermittler in Indonesien neun Verdächtige festgenommen. Sie sollen seit 2017 Schiffe in der Region überfallen haben.
Seitdem wären die Angriffe auf nahezu null zurückgegangen, sagt Chafekar. Das zeige, dass man mit vereinten Kräften die Situation in den Griff bekommen kann. Dazu brauche es auch eine gewissenhafte Strafverfolgung, „Wir sitzen zwar nicht alle im gleichen Boot, aber im gleichen Sturm.“