Im Minutentakt rauschen die Züge in den S-Bahnhof Hirschgarten ein und aus. Pendler eilen zur Arbeit – mittendrin Lea Schuster (20) und Andreas Widmann (58), Rettungssanitäter beim Münchner Krankentransport (MKT). Sie stehen bereit. Bereit für den Notfall.

Wegen Verspätungen setzt die DB auf fest stationiertes Rettungspersonal

Denn eine Durchsage hören Münchens Bahnnutzer häufig: „Wegen eines Notarzteinsatzes verzögert sich unsere Weiterfahrt.“ Seit Februar setzt die Deutsche Bahn deshalb auf fest stationiertes Rettungspersonal vom MKT und der Aicher Ambulanz an mehreren Stationen der Münchner Stammstrecke. Denn die Daten ergaben, dass 80 bis 90 Prozent der Notfälle dort geschehen – zunächst an vier Punkten: Hirschgarten, Donnersbergerbrücke, Hackerbrücke und Laim.

Inzwischen konzentriert sich der Einsatz auf zwei Stationen zwischen 7 und 9 Uhr morgens: Hirschgarten und Donnersbergerbrücke. Die Idee stammt von DB-Mitarbeiter Anian Pollinger (38). Er war früher selbst als Rettungssanitäter im Einsatz und arbeitet nun als sogenannter Betriebsqualitätsmanager bei der S-Bahn. „Wir haben festgestellt, dass medizinische Notfälle im Zug einer der Hauptgründe für Verspätungen sind“, erklärt er. In der Regel würden sich die dadurch entstehenden Verzögerungen aller Züge auf der Strecke auf 300 bis 500 Minuten summieren – pro Einsatz.

Stress für Zugpersonal vermeiden

Doch es geht nicht nur um die Pünktlichkeit. „Wir sehen, dass das für unser Personal eine extreme Stresssituation ist, wenn beispielsweise jemand umfällt“, sagt Anian Pollinger. „Wir haben uns gesagt: Wenn wir unserem Personal nicht zumuten wollen, dass sie sich solchen Stresssituationen aussetzen, dann schicken wir die Profis. Die, die ohnehin im Rettungsdienst unterwegs sind.“

Anian Pollinger (38) war früher selbst Rettungssanitäter und kam auf die Idee, Sanis fest zu stationieren.

Anian Pollinger (38) war früher selbst Rettungssanitäter und kam auf die Idee, Sanis fest zu stationieren.
© Sophia Willibald

Anian Pollinger (38) war früher selbst Rettungssanitäter und kam auf die Idee, Sanis fest zu stationieren.

von Sophia Willibald

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In einer Pilotphase, die bis Jahresende andauern soll, will die DB testen, inwieweit das Modell entlastet und Verspätungen verhindert. Doch Anian Pollinger meint schon jetzt: „Wir sehen, dass es einen enormen Effekt hat – die Züge können deutlich schneller weiterfahren.“ Statt Hunderter Verspätungsminuten pro Notfall lägen die Verzögerungen im S-Bahnnetz nun meist unter 100 Minuten.

Betroffene häufig junge Frauen

Auch zur Art der Einsätze konnten Deutsche Bahn und Rettungskräfte in den ersten Monaten Erkenntnisse sammeln. „Die meisten Fälle sind keine echten Notarzteinsätze“, erklärt Anian Pollinger. „Oft handelt es sich um Erste-Hilfe-Situationen – Patientinnen oder Patienten, die die Kollegen aus dem Zug begleiten müssen.“

Auffällig dabei: Es treffe häufig junge Frauen. Warum genau, lasse sich nicht eindeutig sagen. Die Rettungsdienstler vermuten aber Ursachen wie Vorerkrankungen, Stress – oder, dass Betroffene morgens nichts gegessen oder zu wenig getrunken haben. Auch das Wetter spielt eine Rolle bei der Häufigkeit der Einsätze: Besonders bei großer Hitze oder extremer Kälte – etwa wenn im Zug die Heizung auf Hochtouren läuft – steigt die Zahl der Notfälle.

Rettungssanitäter Widmann: „Tägliches Brot für uns“

Für den MKT-Sanitäter Andreas Widmann sind die zwei Stunden am Morgen schnell zur Routine geworden: „Das ist ein normaler Sanitätsdienst wie jeder andere auch – also tägliches Brot für uns“, sagt der 58-Jährige. Seit April ist er immer wieder an den Bahnsteigen im Einsatz, bevor er im Anschluss seine reguläre Schicht im Rettungswagen übernimmt.

Wer Andreas Widmann über seine Aufgaben als Sanitäter sprechen hört, könnte meinen, er wäre schon sein ganzes Leben im Rettungsdienst tätig. Dabei ist er erst seit Januar 2025 dabei. „Ich komme ursprünglich aus der IT“, erzählt er. Dann habe er sich umorientiert: „Mir war es wichtig, etwas Sinnvolles zu machen.“ Seine Gelassenheit verdankt Widmann wohl seiner jahrelangen Erfahrung bei der freiwilligen Feuerwehr.

Erstversorgung als Kernaufgabe

Ähnlich wie ihr Kollege kommt auch Lea Schuster von der freiwilligen Feuerwehr. Seit Juni ist die 20-Jährige mit abgeschlossener Rettungssanitäter-Ausbildung beim MKT im Einsatz. „Mir war von Anfang an klar, dass ich in die medizinische Richtung gehen möchte“, sagt sie. Doch für Lea Schuster soll das erst der Anfang sein: Bald möchte sie die Ausbildung zur Notfallsanitäterin ergänzen.

Im Moment sind beide für die reine Erstversorgung ausgebildet. Und genau dafür sind die Retter aktuell auch bei der DB zuständig. Bei schweren Notfällen verständigen sie sofort ein Rettungsteam, das den Patienten mit dem Krankenwagen abholt und für die Weiterversorgung ins Krankenhaus bringt. Doch auch für die Erstversorgung haben die Sanitäter allerhand Ausrüstung dabei – und griffbereit.

Damit sie im Notfall umfassend versorgen können,
haben die beiden jede Menge Ausrüstung bei sich.

Damit sie im Notfall umfassend versorgen können,
haben die beiden jede Menge Ausrüstung bei sich.
© Sophia Willibald

Damit sie im Notfall umfassend versorgen können,
haben die beiden jede Menge Ausrüstung bei sich.

von Sophia Willibald

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Die Ausrüstung der Sanitäter

Lea Schuster nimmt ihren blau-gelben Rucksack von den Schultern und öffnet den Reißverschluss. Darin angeordnet unter anderem Verbandsmaterial, Hilfsmittel zur Stabilisierung der Halswirbelsäule und alles, was man braucht, um den Blutdruck manuell zu messen.

Ergänzend dazu trägt Andreas Widmann ein Gerät mit sich, mit dem man Sauerstoff und Blutdruck messen und sogar ein EKG durchführen kann. In seiner rechten Hand hält er ein Sauerstoffgerät. Dazu kommen verschiedene Masken, mit denen sich nicht nur Sauerstoff, sondern auch Medikamente verdünnt über die Maske verabreichen lassen.

Nicht jede Schicht bringt Einsätze

Glücklicherweise ist viel von dem Equipment selten vonnöten. Es gebe Zeiten, da passiere über Wochen kein Notfall. Diese Erfahrung mussten die Initiatoren des Pilotprojekts gleich zu Anfang machen. „In der allerersten Phase, die sechs Wochen dauerte, hatten wir keinen einzigen Einsatz“, erzählt Anian Pollinger und lacht.

Doch dann kam der Wendepunkt: „Am ersten Tag, an dem wir offiziell kein festes Rettungsteam mehr vor Ort hatten, gab es gleich zwei Einsätze. Zum Glück hatten wir vorher entschieden, das Projekt erst einmal zu verlängern.“ Einer der Notfälle betraf eine kollabierte Patientin. „Es hat nur drei Minuten gedauert, bis der Zug wieder weiterfahren konnte. Für uns war das ein klares Indiz, dass es sich lohnt, weiterzumachen – drei Minuten statt zwanzig.“

DB-Mitarbeiter über schnelle Einsätze: „Stabilisieren die Stammstrecke am Morgen enorm“

Für ihn und sein Team steht fest: Selbst wenn nicht täglich Einsätze passieren, rechnet sich der Aufwand. „Die wenigen, die wir haben, stabilisieren die Stammstrecke am Morgen enorm“, sagt er. Auch über das Jahr 2025 hinaus würde die Deutsche Bahn das Projekt gerne fortführen – in welcher Form, ist derzeit noch offen.

„Wir versuchen gerade, eine Anschlusslösung zu finden“, so Pollinger. „Da sind wir aber noch in der Findungsphase.“ Es gehe dabei nicht nur um die Finanzierung, sondern auch um organisatorische und infrastrukturelle Fragen: Wie könnte eine künftige Zusammenarbeit mit den Rettungsdiensten aussehen? Sind bauliche Veränderungen an den Stationen nötig, etwa ein ausgebauter Raum zur Erstversorgung? Bis November sollen diese Fragen geklärt sein.

Erste-Hilfe-Kenntnisse allein reichen nicht aus

Doch ließe sich der Aufwand für die DB und die Rettungssanitäter vielleicht ganz vermeiden? Etwa durch bessere Erste-Hilfe-Kenntnisse unter den Fahrgästen? Für Pollinger liegt das Problem nicht bei mangelnden Erste-Hilfe-Kenntnissen, sondern oft im Moment davor – wenn sich ein medizinischer Zwischenfall noch abwenden lasse.

Der ehemalige Rettungssanitäter ist überzeugt: Viele Einsätze ließen sich verhindern, wenn Betroffene frühzeitig reagieren würden. „Wenn Leute merken, dass sie sich unwohl fühlen und kurz aussteigen, um frische Luft zu schnappen, könnten wir rund 90 Prozent der Einsätze verhindern“, sagt er. Denn nach kurzer Zeit gehe es den meisten Fahrgästen wieder gut.

Schichtende am Hirschgarten

Aber: Sobald ein Fahrgast in der S-Bahn bewusstlos wird, muss der Zugführer anhalten und auf den Rettungsdienst warten. „Und im morgendlichen Berufsverkehr kann das auch mal 15 Minuten dauern.“

Um neun flaut der Pendlerstrom am Hirschgarten ab, die S-Bahnen werden leerer. Für Lea Schuster und Andreas Widmann folgt eine Schicht im MKT-Rettungswagen. Sie packen ihre Ausrüstung zusammen – heute wieder einmal ungenutzt. Und doch: Am nächsten Morgen werden erneut zwei Sanitäter bereitstehen, um im Notfall schnell Hilfe zu leisten und den Verkehr am Laufen zu halten.