Gelnhausen/Linsengericht-Altenhaßlau. Roswitha und Horst Bender stehen vor der „Hall of Fame“ am Bahnhof Gelnhausen und blicken gerührt auf acht neue, großformatige Schriftzüge. In leuchtenden Farben und aufwändig schattierten Buchstaben ist hier der Name ihres Sohns verewigt: Marcel Bender, der wie kaum ein anderer dafür gesorgt hat, dass Graffiti im Raum Gelnhausen zur anerkannten Kunstform wurde. Im März 2024 ist er im Alter von 44 Jahren aus dem Leben geschieden. Die frischen Schriftzüge am Bahnhof zeigen, dass er nicht vergessen ist.

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Entstanden sind sie Mitte Juli bei einer Jam, einem Treffen der Szene, zu dem zehn Sprayer aus dem Main-Kinzig-Kreis, Frankfurt, Darmstadt und Wiesbaden gekommen sind. Jakob Reinhard hat die Aktion gemeinsam mit Lars Bubenheim initiiert. Beide kannten Marcel Bender seit langem. „Marcel hat den Startschuss für die Szene im Raum Gelnhausen gegeben und dafür gesorgt, die einzelnen Sprayer untereinander in Kontakt zu bringen, die vorher eher als Einzelakteure unterwegs waren“, sagt Reinhard im Gespräch mit der GNZ.

„Danke Marcel“: Ein beeindruckendes Graffiti am Bahnhof Gelnhausen erinnert an den Mann, der nicht nur in der Sprayer-Szene im Main-Kinzig-Kreis tiefe Spuren hinterlassen hat.

„Danke Marcel“: Ein beeindruckendes Graffiti am Bahnhof Gelnhausen erinnert an den Mann, der nicht nur in der Sprayer-Szene im Main-Kinzig-Kreis tiefe Spuren hinterlassen hat.

„Er hat Treffpunkte geschaffen und gemeinsame Projekte auf den Weg gebracht.“ Bei vielen hat Jakob Reinhard mitgewirkt, etwa bei der Gestaltung der Bahnhofsunterführung. Für die Jam ist der Künstler aus dem Jossgrund extra von seinem aktuellen Wohnort in Stockholm nach Gelnhausen gekommen. Er sagt: „Alle zehn Künstler, die bei dieser Jam dabei waren, kannten Marcel. Er hat ihnen viel bedeutet.“

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Davon zeugen auch die Botschaften, die sie zwischen den großen Namensschriftzügen auf der „Hall of Fame“ hinterlassen haben. „Rest in Colour“ steht da, „Phönix aus der Asche“ oder einfach „Yo! Marcel“. Zwischen zwei Bildern ist eine Libelle zu sehen, der nach oben steigt. Daneben ist ein Mann mit Kapuze in Rückansicht zu sehen. Es ist Marcel Bender selbst.

Würdigung für den Mann mit den Farbdosen.

Würdigung für den Mann mit den Farbdosen.

Seine Eltern sind dankbar für die Arbeiten: „Sie zeigen, wie bedeutend er war, wie sehr seine Kollegen ihn und seine Arbeit geschätzt haben“, meint der Vater des Künstlers. „Es hätte ihn sehr gefreut.“

Der Ort des Jams hätte passender nicht sein können. 2013 wurde die Außenwand der Gummifabrik Gebr. Horst auf der Linsengerichter Seite des Bahnhofs zur ersten legalen Graffiti-Wall im Main-Kinzig-Kreis erklärt. Von Anfang an hatte sich Marcel Bender mit Initiator Christoph Brandl für die sogenannte Hall of Fame starkgemacht.

„Phönix aus der Asche“: ein neues Werk an der „Hall of Fame“.

„Phönix aus der Asche“: ein neues Werk an der „Hall of Fame“.

Unter Benders Anleitung entstanden die ersten Bilder, ähnlich wie später an der Ruine des ehemaligen Joh-Kaufhauses. Bender hat sich über Jahre hinweg für die Einrichtung legaler Flächen starkgemacht – als Orte, an denen nicht nur Kunst entstand, sondern auch Begegnung, Austausch und Nachwuchsförderung stattfanden.

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Marcel Bender wurde im Dezember 1979 geboren. Schon in der Jugend entdeckte er seine Leidenschaft für das „Writing“, das kunstvolle Sprühen von Buchstaben. Die Sprayer-Szene bot ihm einen Raum für seine Kreativität jenseits gesellschaftlicher Zwänge – und ein künstlerisches Spielfeld. Nach einer Ausbildung zum Metallbauer in Biebergemünd und ersten beruflichen Umwegen – unter anderem als Tontechniker – entschied er sich, Sozialpädagogik zu studieren.

„4 Marcel“: Ein besonders kunstvoll schattierter Schriftzug.

„4 Marcel“: Ein besonders kunstvoll schattierter Schriftzug.

Seine künstlerische Arbeit begleitete ihn dabei stets. Ab 2020 machte er sich mit dem Projekt „Farbkopf“ selbstständig. Er organisierte Workshops für Kinder, arbeitete mit Schulen, Kindergärten und anderen Einrichtungen zusammen und setzte zahlreiche Auftragsarbeiten um – von Bad Orb bis Frankfurt.

Verspielt und liebevoll: Eine weitere Hommage an Marcel Bender.

Verspielt und liebevoll: Eine weitere Hommage an Marcel Bender.

Als seine gelungensten Werke gelten die Bahnhofsunterführung in Gelnhausen und das Trafohäuschen in Haitz, das mit einem Mikrokosmos aus Insekten und Naturmotiven begeistert. Auch die weiteren Trafohäuschen, die er für die Kreiswerke bemalte, sind beeindruckend.

Ein besonderes Projekt war die Gestaltung eines VW-Golfs, den er auf dem Obermarkt in Gelnhausen im Stile Hundertwassers bemalte. Es ist eine Aktion, an die sich sein Vater besonders gern erinnert.

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Hingucker: Eine Hummel hebt ab.

Hingucker: Eine Hummel hebt ab.

Marcel Bender war der Vorreiter der legalen Graffitikunst in der Region. Er organisierte Veranstaltungen wie den „Lack & Lines“-Jam, unterstützte junge Künstler, verhandelte mit Kommunen und Unternehmen. Für die Lufthansa realisierte er ein Projekt in Frankfurt, für das Bieberer Schwimmbad gestaltete er eine Wandfläche.

Eines seiner letzten Projekte – die geplante Gestaltung eines Bereichs der Südtribüne im Dortmunder BVB-Stadion – konnte er nicht mehr verwirklichen. Es war ein Auftrag, der ihm besonders viel bedeutete – auch, weil sein Vater selbst einst in der BVB-Jugend spielte. Dass mehr als 300 Menschen 2024 zu seiner Beisetzung gekommen waren, zeigt ebenso wie die neuen Werke an der „Hall of Fame“ die Spuren, die Marcel Bender hinterlassen hat – nicht nur auf Beton, sondern im Leben vieler Menschen in der Region.

GNZ