Kiel. Wenn die Ausbildung zum Stresstest wird: Fahrradfan Ben Dressler (22) wollte unbedingt ein Handwerk lernen, fing bei Küstenrad/my Boo in Kiel an. Für seine Ausbildung zum Zweiradmechatroniker musste er jedoch unzählige Stunden in Zug, S-Bahn und auf der Autobahn in Kauf nehmen – der Weg zur Berufsschule in Hamburg. Für seinen Arbeitgeber ist das einer der Hauptgründe für Nachwuchsprobleme in Fahrradwerkstätten in Schleswig-Holstein. Wäre ein Standort in Neumünster die Lösung?

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Ben Dressler hat sein Hobby zum Beruf gemacht. Der 22-Jährige, der gebürtig aus Plön kommt, fuhr früher Rennrad, musste den Leistungssport jedoch krankheitsbedingt aufgeben. Seine Leidenschaft fürs Fahrrad aber blieb – und wurde zum Auslöser für seine inzwischen abgeschlossene Ausbildung zum Zweiradmechatroniker mit Fachrichtung Fahrradtechnik in Kiel.

Nun kann Ben Dressler Fahrräder und E-Bikes (Pedelecs) warten, reparieren oder auch umbauen und Kunden beraten. Doch es gibt zu wenige Fachkräfte wie Dressler in Schleswig-Holstein – und das in Zeiten des Fahrradbooms im Norden.

„Tatsächlich besteht in der Fahrradbranche – und speziell bei Zweiradmechatronikern – ein deutlicher Fachkräftemangel“, teilt Karsten von Borstel, Sprecher der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Kiel, mit. „Wir gehen davon aus, dass sich der Fachkräftebedarf in diesem Bereich weiter erhöhen wird.“

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Fachkräftemangel: Engpässe in Fahrradwerkstätten in Kiel und Region

Besonders in der warmen Jahreszeit bekommen Kunden in Kiel und der Region den Engpass in der Branche zu spüren: Oft müssen sie, wie berichtet, Wochen oder Monate auf Termine in einer Fahrradwerkstatt warten.

Und es sieht nicht danach aus, als würden sich die Probleme kurzfristig lösen lassen. Denn die überschaubare Zahl der Auszubildenden zum Zweiradmechatroniker in Schleswig-Holstein – ein 3,5-jähriger, anerkannter Ausbildungsberuf in Industrie und Handel sowie im Handwerk – sorgt viele Betriebe in der Region.

Ausbildung zum Zweiradmechatroniker im Norden

Die Ausbildungszahlen zum Zweiradmechatroniker/in in Schleswig-Holstein zeigen, woher der Fachkräftemangel kommt. Die Handwerkskammer in Lübeck teilt auf Anfrage Zahlen zur Entwicklung mit. Die Zahlen seien jedoch nicht nach den Zweigen Fahrradtechnik und Motorradtechnik aufgeschlüsselt. Demnach gab es seit Juli 2023 insgesamt 61 Azubis zum Zweiradmechatroniker in Schleswig-Holstein, von denen zwölf ihren Vertrag vorzeitig gelöst haben. Kiel verzeichnete seitdem acht, Neumünster zwei, der Kreis Plön zwei, Rendsburg-Eckernförde elf, Segeberg einen und Ostholstein drei Auszubildende. Zum 1. August 2025 nennt die Kammer derzeit neun Azubis in Schleswig-Holstein.
Die Zahlen der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Kiel fallen sogar noch niedriger aus. Demnach wurden als Auszubildende zum Zweiradmechatroniker für 2023 zehn, 2024 genau 15 und fünf für 2025 registriert, wobei noch weitere Abschlüsse erwartet würden.
Im Fahrradfachhandel ist die Lage der Ausbildung als etwas komplizierter als in Betrieben anderer Branchen: Reine Fahrradwerkstätten sind Handwerksbetriebe, für die die Handwerkskammer (HWK) zuständig ist. Ein Fahrradladen mit Werkstatt im Nebenbetrieb kann indes bei der IHK angesiedelt sein. Der Beruf „Zweiradmechatroniker/in – Fachrichtung Fahrradtechnik“ kann somit von IHK und HWK begleitet werden.
Schleswig-Holsteinische Auszubildende zum Fahrradmonteur/in sowie zum Zweiradmechatroniker/in besuchen die Berufliche Schule Fahrzeugtechnik in Hamburg. An der Berufsschule Husum werden zudem junge Menschen des Theodor-Schäfer-Berufsbildungswerks Husum im Ausbildungsberuf Zweiradmechatroniker unterrichtet.

„Es gibt viel zu wenige Fachkräfte”, bestätigt Maximilian Schay von Küstenrad/my Boo in Kiel die Einschätzung der IHK. Um Nachwuchskräften wie Ben Dressler die Ausbildung mit Berufsschule in Hamburg zu ermöglichen, sei eigens ein Auto geleast worden.

Ben Dressler hatte sich das Pendeln nach Hamburg, zehn Wochen pro Jahr, entspannter vorgestellt. Doch für den damals 16-Jährigen wurde dies zur Belastungsprobe: Im ersten Lehrjahr fuhr er mit dem Zug aus Plön nach Hamburg. Zwei Stunden habe er für den Weg zwischen Plön und der Berufsschule gebraucht.

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Azubi Ben Dressler: „Teilweise stand ich vier Stunden in der Bahn“

Wenn denn alles lief: „Teilweise stand ich vier Stunden mit der Bahn irgendwo. Es war wirklich böse.“ Dressler hielt durch. Später fuhr er bei einem anderen Azubi im Firmenwagen mit: „Wir haben das Beste daraus gemacht.“ Doch er sagt auch: „Ich glaube schon, dass die Berufsschule in Hamburg abschreckt.“

Fahrradhändler wie Maximilian Schay setzen sich inzwischen stark für einen Standort in der Nähe ein. In der Walther-Lehmkuhl-Schule, Regionales Berufsbildungszentrum der Stadt Neumünster, haben sie einen möglichen Kandidaten gefunden.

„Wir stehen grundsätzlich bereit, den Bildungsgang bei uns starten zu lassen”, sagt Schulleiter Andreas Bitzer. Dies treibe man seit 2023 voran. „Bislang blieben die Bemühungen ohne Erfolg.“ Politik, Verwaltung und Bürokratie blockierten die Initiative, heißt es. Doch sie wollen weiter kämpfen.

Das Bildungsministerium in Kiel bedauert grundsätzlich, dass die Zahl der Ausbildungsverhältnisse in vielen Berufen so klein sei, dass die Ausbildung aus Gründen der Wirtschaftlichkeit regional gebündelt werden müsse.

Ministerium: Derzeit keine Chance auf eigenen Standort in SH

Bei entsprechenden Ausbildungszahlen mit Ausbildungsstätte in Schleswig-Holstein sei das Land aber gern bereit, die Ausschreibung eines neuen Schulstandortes zu prüfen, teilt eine Sprecherin mit. Derzeit „lassen die Ausbildungszahlen die Einrichtung eines eigenen Standortes in Schleswig-Holstein nicht zu“. Aktuelle Zahlen könnten erst nach einigen Wochen des neuen Ausbildungsjahres erhoben werden.

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Niclas Dürbrook, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, hatte sich bereits vor einem Jahr dieses Themas angenommen. Schließlich heißt es im schwarz-grünen Koalitionsvertrag: „Wir werden prüfen, ob der schulische Teil des Ausbildungsgangs ‚Zweiradmechatronik‘ in Schleswig-Holstein aufgebaut werden kann.“

Wir haben nach wie vor ein Henne-Ei-Problem: Kein neuer Ausbildungsort ohne ausreichend Auszubildende, keine zusätzlichen Auszubildenden ohne neuen Ausbildungsort.

Niclas Dürbrook

SPD-Fraktion im Landtag

Er sagt: „Wir haben nach wie vor ein Henne-Ei-Problem: Kein neuer Ausbildungsort ohne ausreichend Auszubildende, keine zusätzlichen Auszubildenden ohne neuen Ausbildungsort.“ Engagierte Unternehmen hätten sich bemüht, zu einer Lösung beizutragen. „Ich fände es nach wie vor richtig, wenn das Land den ersten Schritt macht und einen neuen Schulstandort auf den Weg bringt.“ Neumünster könne gut geeignet sein.

Die IHK zu Kiel geht indes davon aus, dass die Ausbildungszahlen für 2025 noch steigen werden. Weitere Betriebe wollten Verträge schließen.

KN