Erstmals seit Kriegsbeginn war eine größere Wirtschaftsdelegation aus Baden-Württemberg in der Ukraine, um Projekte zum Wiederaufbau auf den Weg zu bringen. Andere gehen zügiger voran.
Praktisch jeden Tag, jede Nacht wird die Ukraine mit russischen Luftangriffen überzogen – kann da ein wirtschaftlicher Wiederaufbau gelingen? Und wie das geht. Aus einigen Nationen kommt große Unterstützung bei der Gründung neuer Firmen – aus der Türkei und den USA vor allem, selbst aus China, vom Haupthandelspartner, der zugleich mit dem Aggressor Russland kooperiert. Aus Deutschland kommt noch nicht genug Rückhalt, meinen die Unternehmer Baden-Württemberg (UBW).
Deshalb haben sie mit dem Deutsch-Ukrainischen Forum und der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer (AHK) eine viertägige Reise für eine rund 20-köpfige Gruppe organisiert. Es war eine der größten Wirtschaftsdelegationen aus Deutschland seit Kriegsbeginn und die erste aus Baden-Württemberg überhaupt, die bis vorigen Donnerstag engere Bande geknüpft hat.
Die deutsche Wirtschaft zeigt sich – das schätzen die Ukrainer
„Es war absolut wichtig und genau der richtige Zeitpunkt, jetzt hinzufahren“, bilanziert der stellvertretende UBW-Hauptgeschäftsführer Tim Wenniges „sehr erfolgreiche Tage, die mir die Augen geöffnet haben“. Dass die Wirtschaft ihre ernsthaften Absichten zeigt und konkrete Plattformangebote macht, wurde fast euphorisch aufgenommen, nachdem viele uneingelöste Ankündigungen zuvor von anderer Seite tiefe Spuren der Enttäuschung hinterlassen haben.
Tim Wenniges und Natalia Zabrudska, Generalsekretärin der ukrainischen Industrie- und Handelskammer (AHK), unterzeichnen ein Partnerschaftsabkommen. Foto: AHK Ukraine
Zweiter Delegationsleiter war Rainer Lindner, ehrenamtlicher Vorsitzender des Deutsch-Ukrainischen Forums seit 2013, selbst langjähriger Manager und Aufsichtsrat. „Wenn wir beim Wiederaufbau dabei sein wollen, müssen wir das jetzt tun“, sagt er. „Es ist jedoch ihr Wiederaufbau – wir können mit unserer Technologie viel dazu beitragen.“ Wirtschaftlich wachse das Land zum dritten Mal in Folge nach 2023 und 2024. „Das zeigt, dass sie trotz des russischen Angriffskriegs an ihre Zukunft glauben und den Wiederaufbau längst praktizieren.“ Zu 80 Prozent komme dieser von den Menschen vor Ort. „Wir können uns daran beteiligen, aber die Ukraine wartet nicht auf uns.“ Insofern vermitteln die Ukrainer auch die „klare Botschaft“, dass die deutsche Wirtschaft keine alten Technologien senden möge. Sie wollen ihr Land von Grund auf modernisieren. „Es wird immer nach digitalen Lösungen gefragt.“
Mit dabei waren etwa die Automobilindustrie, der Maschinen- und Anlagenbau, die Bauindustrie und Energiewirtschaft – welche Unternehmen im Einzelnen, bleibt unerwähnt. Neben der Verteidigungswirtschaft vertreten sie die Branchen, die besonders nach engen Kooperationen streben.
Nicht mit leeren Händen in die Ukraine zu reisen und es nicht bei der Symbolik zu belassen, war den Delegationsleitern ein elementares Anliegen. Umso wichtiger die Ankündigung gegenüber dem Gouverneur von Lwiw (Lemberg), nahe der Grenze zu Polen, dass das Land Baden-Württemberg mit dem Gebiet Lwiw in der Westukraine eine Regionalpartnerschaft eingehen will. Diese Botschaft hatte das Wirtschaftsministerium aus Stuttgart der Delegation mitgegeben. „Das ist auch sehr gut angekommen“, sagt Wenniges. Aber „sehr ukrainisch“ sei sofort nach den nächsten Schritten gefragt worden.
„Wer nicht kommt, investiert auch nicht“
Insofern soll die Partnerschaft durch ein Wirtschaftsforum Baden-Württemberg-Lwiw flankiert werden – letztlich ein regelmäßiges Treffen von Wirtschaftsvertretern. In der Debatte darüber, wo dieses Forum erstmals stattfinden solle, sei von den Gastgebern der Hinweis gekommen: „Das machen wir hier – wer schon nicht für eine Konferenz kommt, der investiert auch nicht.“ Das sei für ihn der „Satz des Tages“ gewesen, fügt Wenniges an. Auch auf baden-württembergischem Boden soll möglichst noch 2025 ein erneuter Austausch stattfinden.
Das dritte vereinbarte Projekt ist eine vom Deutsch-Ukrainischen Forum initiierte Partnerschaft zwischen Krankenhäusern beider Länder; sie soll mit Förderung der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) umgesetzt werden – Lindner zufolge ein „sehr großzügig ausgestattetes Projekt“. Dem Manager, der früher den Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft geleitet hat, schwebt auch eine Technologiepartnerschaft Deutschlands mit der Ukraine vor. „Im Gegensatz zum Rohstoffdeal der Amerikaner muss man es konkret und auf Augenhöhe machen, sodass beide Seiten wirklich etwas davon haben“, sagt er.
Rainer Lindner, Vorsitzender des Deutsch-Ukrainischen Forums Foto: AHK Ukraine
Dass die Gastgeber dabei nicht stehen bleiben wollen, ist verständlich. Das Wirtschaftsministerium in Kiew hat gegenüber der Delegation die Bundesregierung einmal mehr aufgefordert, einen Ukraine-Beauftragten zu bestellen. Den fordert auch Lindner seit Kriegsbeginn: „Viele Länder haben einen solchen Ansprechpartner geschaffen: für die Abstimmung der Ministerien in Berlin, der Wirtschaft und Zivilgesellschaft, aber auch als Ansprechpartner für die Ukraine.“ Über Korruption, deren fragwürdige Bekämpfung dem Präsidenten vor Tagen erst eine politische Schlappe beschert hat und die gerade an diesem Wochenende schlechte Nachrichten infolge von Festnahmen im Land produziert, machen sich beide weniger Gedanken. „Es gibt immerhin noch Mechanismen, die funktionieren, wenn so etwas in die falsche Richtung geht“, sagen sie. Gemeint sind etwa die Regierung oder der Präsident, „der korrigiert, wenn er etwas falsch gemacht hat“.
Keine Arbeitspause mehr bei Luftalarm
Geführt wird das Land vorrangig von Frauen. Auch die Unternehmen im Lemberger Gebiet haben im Wesentlichen Chefinnen, weil die Männer an der Front Dienst tun. Angesichts der Kriegsgefahren werde sehr fokussiert und effizient gearbeitet, lobt Lindner. „Sie sind da sehr eng getaktet und sehr professionell – von der Effizienz und dem Pragmatismus der Ukraine können wir Deutsche manches lernen.“ Auch die Lohnkosten, die gegenüber den deutschem Niveau im Verhältnis von eins zu vier stehen, könnten ein „starkes Argument“ für Südwest-Firmen sein, sich dort zu engagieren.
Einmal hat die Gruppe einen Luftalarm miterlebt – für die Ukrainer sind solche Warnungen Teil des Alltags. Die Gruppe hat sich schildern lassen, dass der Chef eines Unternehmens seine Belegschaft hat abstimmen lassen. 90 Prozent hätten dafür votiert, bei Luftalarm weiter zu arbeiten, statt in den Schutzkeller gehen. Seither werde keine Pause gemacht, wenn wieder ein Anflug russischer Drohnen oder Raketen droht.