Kein Ferienland ist weltweit beliebter als Frankreich – aus gutem Grund.
Der Eiffelturm ist die bekannteste Sehenswürdigkeit von Paris. Frankreich hat aber noch viel mehr zu bieten.
Aurelien Morissard / AP
Es fängt schon bei der Begrüssung an. Aus dem «Bonjour madame, bonjour monsieur» spricht eine Leichtigkeit, eine Kultiviertheit, die man anderswo vergeblich sucht. Frankreich ist ebenso luftig wie schwer, ein Land der Kontraste, das von der luxuriösen Côte d’Azur bis zur rauen Bretagne reicht, das für seine Weine ebenso bekannt ist wie für seine Intellektuellen, eine Kulturnation im umfassenden Sinne des Savoir-vivre.
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100 Millionen Besucher zählte Frankreich im vergangenen Jahr. Das zeigen die neusten Zahlen der Welttourismusorganisation der Uno. Noch vor Spanien und den USA ist Frankreich das beliebteste Ferienland der Welt. Aber warum eigentlich?
L’élégance
Französische Eleganz ist mehr als Kleidung – es ist eine Lebenseinstellung.
Jeremy Moeller / Getty
yas. Um den Hals ein zart gebundenes Seidencarré, am Handgelenk den Griff einer feinen Ledertasche. Auf der Nase eine Cat-Eye-Sonnenbrille, an den Ohren minimalistische Creolen. Dazu einen «trench» in dezenten Nuancen, einen schmalen Gürtel um die Hüfte, klassische Pumps. Modemagazine preisen die Französinnen und ihren Understatement-Chic. Viel brauche es dazu nicht, versprechen die Heftchen.
Doch so manch eine Frau hat sich schon an diesem Ideal probiert und stand dann enttäuscht vor dem Spiegel. Denn französische Eleganz ist mehr als Kleidung – sie ist eine Lebenseinstellung.
Da ist diese lässige Nonchalance, die sich in einem kaum merklich geneigten Kopf zeigt. Da ist der Blick, der das Gegenüber gelassen und aufmerksam zugleich einfängt. Und da ist der rote, leicht verruchte Lippenstift, der scheinbar nur beiläufig aufgetragen wurde. Der französische Chic ist nie aufdringlich – aber er ist immer vielversprechend.
La grande vitesse
Und schon ist man da: Der TGV schwebt mit 200 bis 300 Kilometern pro Stunde durchs Land.
Gaëtan Bally / Keystone
obe. Die Zugreise von Zürich nach Paris dauert vier Stunden und vier Minuten. Es ist die perfekte Fahrzeit. Der Zug ist zwar spärlich eingerichtet, das Bordrestaurant nicht der Rede wert. Doch die Fahrt ist lang genug, um zum Ferienstart ein erstes Mal zu entspannen. Und kurz genug, um entspannt zu bleiben.
Der TGV, der «train à grande vitesse», schwebt mit 200 bis 300 Kilometern pro Stunde durch die französische Pampa, und voilà, schon kommt man, meist ohne Verspätung, an der Gare de Lyon mitten in Paris an. Oder man fährt weiter. Im Jahr 1981 wurde die erste TGV-Strecke zwischen Lyon und Paris eröffnet. Seither wurde das Netz laufend ausgebaut, heute erreicht man in kurzer Zeit viele der schönsten Orte des Landes. Von Zürich ist man in zwei Stunden in Dijon und in sechs am Mittelmeer, in Marseille. La grande vitesse!
Oder man fährt über Paris und Bordeaux bis an die so wunderbar raue Atlantikküste. Dafür muss man in Paris den Bahnhof wechseln. Die Züge in den Westen des Landes fahren von Paris-Montparnasse. Tönt umständlich, ist aber schön. Man nimmt sich ein paar Stunden Zeit für den Zwischenstopp, setzt sich in ein Bistro am Strassenrand, geniesst kurz das Chaos von Paris. Dann steigt man in den nächsten Zug.
La culture
Die «Mona Lisa» thront im Louvre. Im meistbesuchten Museum der Welt ist sie das wohl bekannteste Exponat.
Benoit Tessier / Reuters
yas. Eine Pyramide aus Licht empfängt die Besucherinnen und Besucher vor dem Louvre, dem meistbesuchten Museum der Welt. Von aussen flüstert die Architektur des Schlosses über die Geschichten von Königen und Revolutionen. Im Inneren wandelt man entlang einer sorgsam kuratierten Folge von Schönheit und Sinn. Antike Skulpturen, Renaissance-Gemälde oder orientalische Kostbarkeiten erzählen von der Reise der Menschheit. Von geistigen Erleuchtungen, künstlerischen Ekstasen und tiefen Erkenntnissen.
Auf dem Weg durch teils leere Hallen, teils bis zum Bersten gefüllte Gänge kann man mehr als 380 000 Objekte bestaunen. Der Louvre steht damit sinnbildlich für das vielfältige Kulturangebot Frankreichs, das man so in kaum einem anderen Land findet. Und mit etwas Glück erhascht man sogar einen Blick auf die berühmteste Frau von ganz Paris. Denn sie thront in diesem Palast wie eine Königin der Geheimnisse. Ein Spiegel unserer eigenen Neugier.
Le pastis
Pastis ist süffig, herb, erfrischend, süss – alles zusammen.
Stephane Mahe / Reuters
lip. Endlich Apéro nach einem Ferientag an der Sonne. Nun denn, bien sûr, ein Pastis soll es sein. Ein Klassiker der französischen Apéro-Kultur, hierzulande nur allzu selten auf einer Karte zu finden. Wieso eigentlich? Pastis ist süffig, herb, erfrischend, süss, alles zusammen, und das ist mit ein Grund, wieso die Franzosen, zeitunglesend oder Pétanque spielend, schon vormittags ein Glas vor sich haben.
Einst als legale Alternative zum Absinth entstanden, später dank Pernod und Ricard Kult geworden, ist Pastis heute viel mehr als ein Apéritif. Pastis ist Ausdruck des Lebensgefühls von Südfrankreich. Und: Pastis ist ein Ritual. Der klare Anisschnaps wird stets pur serviert, begleitet von einer Karaffe eiskalten Wassers. Verdünnt man den Pastis mit Wasser, nimmt er – man nennt es Louche-Effekt – eine milchig-trübe Farbe an.
Ein Getränk wie ein Faustschlag gegen den knallig orangen Aperol Spritz der Massentouristen.
La langue
Die französische Sprache ist den Franzosen heilig.
Lewis Joly / AP
lia. Die Franzosen gelten nicht als besonders gastfreundlich. Das hat wohl auch mit ihrem Verhältnis zu ihrer Sprache zu tun. Le français ist ihnen heilig. Die Sprache ist Ausdruck der Liebe, der Diplomatie, des Intellekts. Davon zeugen Chansons wie jene von Édith Piaf, die Werke von Philosophen wie Jean-Jacques Rousseau oder Schriftstellern wie Victor Hugo.
Die französische Sprache schafft es, Eleganz, Sinnlichkeit und Eloquenz zu vereinen – anders als das Englische. Es ist Staatsaufgabe, das Französisch vor der «anglification» zu beschützen. Seit 400 Jahren wacht die Académie française, ein Komitee vergreister Schriftsteller, Philosophen und anderer Akademiker, über die Reinheit des Französischen. Heutzutage ist das Gremium vor allem damit beschäftigt, neumodische Wörter einzufranzösischen – und das gibt allerhand zu tun. 2024 erschien die 9. Ausgabe des Wörterbuchs der Akademie. Wörter wie Computer oder E-Mail, die Franzosen im Alltag längst aus dem Englischen übernommen haben, sucht man darin vergeblich. Computer? Non, c’est un ordinateur. Und «le mail» heisst im Französischen noch immer der Hammer. Und das soll so bleiben.
Im eigenen Land beharren die Franzosen gerne darauf, in ihrer Sprache zu konferieren – bis sich das Gegenüber in Artikel oder Aussprache vertut. Dann wechselt man geflissentlich ins Englisch. Sprechen tun sie diese plumpe Sprache wohl, aber wollen tun sie es nicht. Und sie singen: «Non, je ne regrette rien» – und man summt leise mit.
La vie mondaine
Die französische Riviera rund um Saint-Tropez ist ein Schauplatz der Reichen und Schönen. Für einen Moment bekommt man hier das Gefühl, Teil einer anderen Welt zu sein.
Charles Ommanney / Getty
max. Reisen wirkten fatal gegen Vorurteile, sagte einst Mark Twain. Der Schriftsteller wurde weltberühmt mit seinen Abenteuergeschichten, und sollte er je in Saint-Tropez gewesen sein, Twain hätte sein Bonmot wohl überdenken müssen. An der Plage de Pampelonne zumindest bestätigen sich die Vorurteile.
Dieser Strand mit seinen teuren Beach-Clubs ist genau das, was man Saint-Tropez vorwirft: ein Spielplatz der Reichen und Schönen, ein Schauplatz des Schickimicki, ein Ort, der statt für «liberté, égalité, fraternité» viel eher für «fête, fête, fête» steht.
Ob im «Loulou», im «Club 55» oder im «Bagatelle»: Man muss die legendären Beach-Clubs besucht haben, auch wenn man noch so abstossende Geschichten über ihren Luxus, ihren Snobismus oder ihre Exzentrik gehört hat. Das kostet, keine Frage.
Aber ehe man es sich versieht, steht man dann auf einem Tisch, tanzt, feiert und vergisst jeden Euro, wenn man plötzlich am Nebentisch Robbie Williams tanzen sieht. Für einen Moment bekommt man hier das Gefühl, Teil einer anderen, sonst verborgenen Welt zu sein. Und versteht schnell, dass jeder Tag und jede Nacht in Saint-Tropez ihre eigene Abenteuergeschichte bereithält. Und das ist ein Vorurteil, dem man gar nicht entgegenwirken muss.
Le croissant
Gewissermassen verspeist man am Morgen den Mond – geht es schöner?
Geoffrey Swaine / Avalon / Imago
lwa.
In Frankreich möchte man schon beim Einschlafen an das Frühstück denken. Ein kleiner Halbmond aus Teig, ein Café au Lait, mehr braucht es nicht, um glücklich zu sein. Sehr glücklich.
Allein der Klang: Croissant. Man hört es förmlich, das dezente Krachen beim ersten Bissen, wenn die Kruste bricht und der blättrige Teig in Krümelform auf Tisch und Kleider regnet. Nichts zu machen.
Überhaupt kommt das «petit déjeuner» kaum ohne Kleckereien aus. Viele Franzosen können gar nicht anders, als ihr Croissant mit mehreren raschen Tupfbewegungen in den Kaffee zu tunken. Dann schnell in den Mund, denn es tropft ein wenig. Aber das macht nichts.
Croissant ist französisch für Mondsichel. Gewissermassen verspeist man am Morgen also den Mond und damit die Nacht. Geht es schöner?
Le mistral
Der Mistral lässt den Himmel in Frankreich, hier bei Marseille, oft tiefblau erstrahlen.
Manon Cruz / Reuters
lyb.
Rau im Winter, etwas milder im Sommer: Der Mistral bläst mit aller Kraft, die kalten Luftmassen zischen vom Rhonetal in Richtung Mittelmeer. Der Nordwind ist erbarmungslos, zeitweise zieht er mit bis zu 120 Kilometern pro Stunde durch das Land. Und doch: Der Mistral ist mehr als ein meteorologisches Phänomen.
Die Kombination aus klarer Luft und trockener Atmosphäre schafft ein unvergleichliches Licht. Der Wind vertreibt die Wolken, schärft die Konturen und lässt den Himmel tiefblau erstrahlen. Die ungetrübte Sicht bis zum Horizont hat schon Maler wie van Gogh und Philosophen wie Friedrich Nietzsche inspiriert: «Mistral-Wind, du Wolken-Jäger, Trübsal-Mörder, Himmels-Feger, Brausender, wie lieb’ ich dich!», sinniert Nietzsche in einem Tanzlied.
Auch für Reisende ist der Mistral mehr als ein Wind: Er bringt eine Pause vom Gewohnten, einen Moment der Klarheit. Beim Abendspaziergang erstrahlt die Luft in Goldorange, und die Augen erblicken etwas später ein klares Sternenzelt. Im Sog des Windes liegt jene Leere, in der neue Gedanken, neue Perspektiven Raum finden. Oder in den Worten der Sängerin der amerikanischen Rockband Heart: «You made a crazy dreamer out of me. Mistral, mistral, mistral.»