Soll Deutschland kranke Kinder aus dem Kriegsgebiet retten? Das fordern die Städte Hannover und Düsseldorf. Viele Fragen sind jedoch noch ungeklärt.

Eine Hilfsorganisation verteilt Ende Juli Mahlzeiten in Gaza-Stadt. Eine Hilfsorganisation verteilt Ende Juli Mahlzeiten in Gaza-Stadt.

Omar Ashtawy / Imago

Die deutsche Regierung hat zögerlich auf einen Vorstoss deutscher Städte reagiert, hilfsbedürftige Kinder aus dem Gazastreifen und Israel aufzunehmen. Der Chef des Bundeskanzleramts Thorsten Frei betonte am Montag, dass die Hilfe vor Ort Priorität haben müsse. «Am Ende des Tages kommt es darauf an, so vielen Menschen wie möglich zu helfen. Und deshalb wäre ich immer zurückhaltend vor der Frage, inwieweit man ausfliegen kann», sagte er dem Sender RTL.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Ähnlich hatte sich zuvor auch das deutsche Innenministerium geäussert. «Die Umsetzbarkeit derartiger Initiativen hängt entscheidend von der Sicherheitslage, der Möglichkeit der Ausreise und weiteren Faktoren ab», sagte ein Sprecher der Deutschen Presse-Agentur. Zurzeit würden konkrete Vorhaben mit Partnern geprüft. Allerdings stünde dabei die Ausweitung der medizinischen Hilfe «vor Ort und in regionaler Nähe» im Fokus. Gleichlautend äusserte sich auch das Auswärtige Amt.

Bürgermeister will Signal an Bundesregierung senden

Die norddeutsche Stadt Hannover hatte am Wochenende angeboten, 20 Kinder aus dem Kriegsgebiet sowie ihre Familien aufzunehmen. Für sie könne man ad hoc eine medizinische und psychologische Betreuung organisieren. Der Oberbürgermeister Belit Onay von den Grünen sagte, die Stadt wolle damit «ein Signal der humanitären Hilfe aussenden» in Richtung der deutschen Regierung. Wenig später teilte die nordrhein-westfälische Stadt Düsseldorf mit, sich an einer solchen Hilfsaktion beteiligen zu wollen.

Deutschland wäre nicht das erste Land, das Kinder aus dem Kriegsgebiet evakuiert. Ende vergangener Woche landeten etwa 13 kranke Kinder aus dem Gazastreifen mit ihren Familien in Spanien. Sie wurden über den Flughafen in der jordanischen Hauptstadt Amman ausgeflogen und auf Spitäler im Land verteilt. Grossbritannien und Italien kündigten in den vergangenen Tagen ähnliche Vorhaben an.

Auf deutscher Seite sind allerdings noch viele Details ungeklärt. Welche Stelle würde darüber entscheiden, welche Kinder ausreisen dürfen? Nach welchen Kriterien sollen sie ausgewählt werden? Wer vergibt die Visa? Seitens der deutschen Städte verweist man in diesen Fragen auf andere. Onay rief die Regierung am Montag etwa abermals dazu auf, diese Fragen zu klären.

SPD unterstützt Idee der Städte

Am Beispiel Frankreichs zeigt sich allerdings auch, dass solche Aufnahmeprogramme mit einem Risiko verbunden sind. Das Land hat seit Beginn des Krieges Hunderte Menschen aus dem Gazastreifen aufgenommen. Vor wenigen Tagen stoppte die französische Regierung allerdings alle Evakuierungen. Zuvor war bekanntgeworden, dass eine junge Palästinenserin, die auf diesem Wege nach Frankreich gelangt war, im Internet antisemitische Beiträge geteilt hatte.

Zumindest bei einem Koalitionspartner gibt es trotz den ungeklärten Fragen Unterstützung für die Idee der deutschen Städte. Der aussenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adis Ahmetovic, sprach sich bereits in der vergangenen Woche dafür aus, Kinder aus dem Gazastreifen aufzunehmen. «Deutschlands Beitrag dazu geht aktuell gegen null», sagte er dem «Stern». Die Regierung solle sich Spanien zum Vorbild nehmen.

Ob die Unionsparteien CDU und CSU Evakuierungen aus dem Gazastreifen zustimmen werden, ist jedoch fraglich. Bei den Konservativen wächst derzeit der Unmut über die Nahost-Politik der eigenen Regierung.

Kiesewetter warnt vor «Täter-Opfer-Umkehr»

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Armin Laschet von der CDU, kritisierte am Sonntag etwa die Reaktion der deutschen Regierung auf die Videos ausgehungerter israelischer Geiseln der Hamas. Laschet fragte auf X, weshalb es die deutsche Staatsspitze nicht schaffe, täglich die Namen der deutschen Geiseln zu nennen und ihre sofortige Freilassung zu fordern.

Auch die Hilfslieferungen per Luftabwurf über Gaza stossen bei den Konservativen auf Kritik. Der CDU-Aussenpolitiker Roderich Kiesewetter kritisierte am Montag, dass diese grossteils in die Hände der Hamas fielen. Deutschland solle sich stattdessen dafür einsetzen, die Terrororganisation zu entwaffnen. «Unser gegenwärtiges Handeln führt zur Täter-Opfer-Umkehr, verbunden mit unberechtigter Kritik am notwendigen Vorgehen Israels», sagte er dem «Tagesspiegel».

Die Bundeswehr ist seit vergangener Woche mit zwei Flugzeugen in der Region im Einsatz, um Nahrungsmittel und Medizin über dem Gazastreifen abzuwerfen. Die deutsche Regierung äusserte am Wochenende jedoch Zweifel daran, dass diese auch bei den Bedürftigen ankommen. Man sei besorgt über Informationen, wonach grosse Mengen an Hilfsgütern von der Hamas und anderen kriminellen Organisationen zurückgehalten würden, teilte der Regierungssprecher Stefan Kornelius mit. Zuvor hatten mehrere deutsche Medien unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtet, dass 50 bis 100 Prozent der Hilfsgüter in die Hände der Terrororganisation und anderer Gruppen fielen.