DruckenTeilen
Der Kasseler Fotograf Thomas Huther hat den Bildband „Sehreise“ herausgegeben. Er enthält eine Serie von Fotogrammen – Experimente mit Polaroid-Aufnahmen. Es ist eine Ästhetik, die bewusst Fehler, Zufälle und Überraschungen zulässt.
Von der Fotografie, wie sie heute allgegenwärtig ist, hat sich Thomas Huther fast vollständig verabschiedet – und das, obwohl sie über viele Jahre das Metier des Kasseler Theaterfotografen war. Seine berufliche Grundlage, sein Lebensinhalt, wenn man so will. Inzwischen jedoch seien wir alle einem „Bilder-Tsunami“ ausgeliefert, findet der 69-Jährige, unsere Bildwelten seien verstopft durch das allgegenwärtige Knipsen mit dem Handy: „Ich fotografiere eher wenig.“
Huther ist etwas Anderes wichtig: das Experimentieren, das Prozesshafte, bei dem Unerwartetes geschieht, eine Ästhetik, die offen ist für Zufälle, für Fehler, für Überraschungen.
Bei seiner „Sehreise“, wie er auch sein gleichnamiges Buch betitelt hat, ist er genau so vorgegangen: immer bereit, sich verblüffen zu lassen. Es handelt sich um Fotogramme, die er 2022 und 2023 mit dem „Polaroid Color 600 Film – Round Frame Edition“ geschaffen hat, wie er im Nachwort erläutert: Dieser Polaroid-Film mit einem Bildformat von 88 mal 107 Millimetern und einer Lichtempfindlichkeit von 640 Asa/Iso kam 2014 auf den Markt.
Fotogramme sind fotografische Abbildungen, die ohne Nutzung einer Kamera durch die direkte Einwirkung von Licht auf das Trägermaterial, meist Fotopapier, entstehen. Jedes Objekt zwischen Lichtquelle und Bildträger hinterlässt eine Spur auf dem Papier, das nach der Belichtung oft weiterbearbeitet wird. Über Jahre hat Huther in seinem Labor alles Mögliche ausprobiert, Filter, Farbverläufe, er hat verfeinert, perfektioniert, dann auch wieder extra Fehler eingebaut – immer im Bewusstsein, dass beim manuell-analogen Arbeiten die Dinge nicht zu hundert Prozent zu steuern sind. Etwa 140 solcher Experimente hat er zum Buch zusammengestellt. Auch das Cover hat etwas sympathisch Unperfektes – das Titelbild sieht aus wie eine oft benutzte Kladde, mit Kaffee- und Tintenflecken, Knicken, Rissen, ein Arbeitsjournal.
Auf die Anfänge besonnen
Polaroids haben Thomas Huther schon immer begeistert – anfangs in ihrer konventionellen Nutzung, später mit einer künstlerischen Herangehensweise. Er war in Mannheim an der Fachhochschule für Gestaltung ausgebildet worden, hatte in einem Fotostudio gearbeitet, als er zum Studium nach Kassel kam. Professor Floris Neusüss (1937-2020), der als Altmeister der Fotogramme gilt, war von der Experimentierfreude seines Studenten nicht begeistert – der steckte die Polaroids schon mal in den Toaster, sodass sie aufplatzten. Examen machte Huther schließlich beim Grafikdesigner und Plakatgestalter Gunter Rambow.
Das lichtempfindliche Material war teuer, „ich war froh, dass Polaroid mich unterstützt hat“. In Abständen bekam Huther im Tausch für seine künstlerischen Arbeiten Pakete „mit 300 bis 400 Schuss“ zugeschickt. Dann verschwanden die Polaroids zeitweilig vom Markt, die Firma war pleite. „Heute stecke ich meine Rente da rein.“ Um die „verrücktesten Gebilde“ zu kreieren.
Auch in einer international tourenden Ausstellung zur Geschichte der Sofortbildkameras, „Das Polaroid-Projekt – An der Schnittstelle von Kunst und Technologie“ war Thomas Huther mit zwei Arbeiten beteiligt – neben Künstlern wie Richard Hamilton, Ansel Adams, Andy Warhol, Chuck Close, Dennis Hopper und Robert Mapplethorpe. Der bei Hirmer erschienene Bildband erhielt einen Deutschen Fotobuchpreis. Auch hier steuerte Huther Fischmotive bei, die sein eigenes Buch ebenfalls prägen.
Es lag Huther am Herzen, „etwas Bleibendes“ zu schaffen – weshalb ihm wichtig ist, dass das Buch in die Deutsche Nationalbibliothek aufgenommen wurde. Ausstellungen hingegen, überhaupt der Kunstbetrieb mit seiner Schnelllebigkeit und seinen Eitelkeiten, reizen ihn nicht mehr. Alles vergänglich, findet Huther: „Mich kennt ja keiner mehr.“ Stattdessen hat er sich zurückbesonnen auf seine Anfänge. Nicht nur mit den Polaroids, die ihn früh faszinierten. Den Umschlag gestaltete er mit der Schreibmaschine seines Vaters, einer Olympia SM 3, auf der er als Kind erste typografische Versuche unternahm. „Es entstanden kleine geheftete Broschüren (Auflage 3 Stück, mit Kohlepapier) mit abgezeichneten Bildern und kurzen Texten“, erzählt er im Nachwort. „Leider sind alle Ausgaben verschollen…“ Seine „Sehreise“ ist in einer limitierten Auflage von 30 Stück erschienen, jedes Exemplar hat er handschriftlich nummeriert.
Mit Polaroids entstanden: Fotogramme von Thomas Huther. © privat
Experimentierfreudig: Der langjährige Theaterfotograf schätzt die Arbeit mit Zufällen im Fotolabor. © privat