In der Ruhrdiözese wurde das Gremium neu gewählt. Was die Vertreter zu ihrer Arbeit motiviert und auf welche Weise sie Geschädigten beistehen wollen.
Mit einem eindringlichen Appell hat der Betroffenenbeirat im Bistum Essen von Missbrauch im Raum der Kirche betroffene Menschen aufgefordert, sich zu melden. „Ihr seid keine Bittsteller, ihr seid Geschädigte“, sagte Joachim Schöttler im Gespräch mit „Radio Essen“ (Samstag). „Meldet euch, stellt eure Anträge – es ist euer Recht.“
Gemeinsam mit Wilfried Fesselmann ist Schöttler Sprecher des neuen Betroffenenbeirats im Bistum Essen. Er ermunterte Betroffene, dem Beirat die „Türen einzurennen“: „Wir helfen euch, Anträge zu stellen. Wir wissen nicht, wer betroffen ist – ihr müsst euch bei uns melden. Kommt zu uns, dafür sind wir da.“
Egal wie häufig ein junger Mensch missbraucht worden sei – jedes Opfer sei gedemütigt und vergewaltigt worden, sagte Schöttler. Die Scham sei dieselbe. Man führe ein kaputtes Leben und sei meistens traumatisiert. Fesselmann ergänzte, schon eine Tat könne dafür sorgen, „dass man komplett aus seinem Leben rausfliegt“.
Betroffenenvertreter: Vertuschung als schlimmste Sünde
Das haben die beiden am eigenen Leib erfahren. Trotz des Missbrauchs durch einen Geistlichen blieb Schöttler der Kirche verbunden. Er habe als Jugendlicher in der katholischen Kirche selbst eine Heimat gehabt, sagt er. „Dass ein Täter, der durch Zufall Priester ist, mich missbraucht hat – und nachher sogar noch mehrere Täter – dafür konnte die Kirche nichts.“ Was er der Kirche aber vorwerfe, sei das Verschleiern, das Nicht-Zugeben, das Weiterversetzen von Tätern und In-Kauf-Nehmen von weiteren Opfern. „Dann in der Öffentlichkeit zu sagen: ,Wir wussten von nichts‘ – das ist die schlimmste Sünde!“, sagt Schöttler.
Fesselmann schildert seine eigene Geschichte: Nachdem er von Jugendgruppen angegriffen worden sei, weil er daran schuld gewesen sei, dass der tolle Kaplan weg müsse, sei er direkt aus der Kirche ausgetreten. Der Kaplan sei eine Lichtgestalt gewesen und wie ein Popstar in der Region gefeiert worden. „Aber die dunkle Seite von ihm, die kannte ja kaum einer.“ Zwar sieht Fesselmann auch in seinem konkreten Fall die Schuld beim Bistum, weil der Täter auch damals ohne irgendwelche weiteren Schutzmaßnahmen versetzt worden sei. Doch das hindert ihn nicht daran, mit dem Bistum zusammenzuarbeiten: „Ich möchte, dass das Bistum endlich die Betroffenen in den Blick nimmt.“
Die Zusammenarbeit mit dem Bistum empfindet Joachim Schöttler zunächst einmal als positiv. Doch er betont, Bischof oder Generalvikar würden von ihnen „auch mal eine unangenehme Frage“ bekommen. Wilfried Fesselmann hatte das Bistum selbst auf Schmerzensgeld verklagt, will aber trotzdem im Betroffenenbeirat auch für andere Betroffene eintreten.
Betroffenen sollen selbst über Hilfen entscheiden
Das Thema Missbrauch werde für ihn nie alltäglich werden, erklärt Schöttler. Aber dadurch, dass er im Betroffenenbeirat mit Betroffenen rede, müsse er nicht mehr ständig auf einen Verdrängungsmechanismus zurückgreifen. Seine emotionalen Tiefs und Angstzustände seien weniger geworden. Manchmal bekomme er auch heute noch einen emotionalen Schub, sodass er sich kurz abwenden müsse. „Aber es hilft mir, mit Betroffenen zu arbeiten – für mich ist es der richtige Therapieweg.“
Der Betroffenenbeirat verspricht öffentlichkeitswirksam den Finger in die Wunden legen und zeigen, was falsch läuft – im Austausch mit Betroffenen in anderen Bistümern und auch international. Das Wichtigste aber sei die Betreuung der Betroffenen vor Ort: Er unterstützt beim Stellen von Anträgen, entwickelt neue Formen des Gedenkens an das geschehene Unrecht und ist offen für neue Formate des Austauschs. Ob Betroffenenfrühstück, Fahrradgruppe, Wanderung, gemeinsames Grillen oder eine Schifffahrt: Die Betroffenen sollen entscheiden, was ihnen weiterhilft, so die Sprecher.