Stand: 04.08.2025 15:55 Uhr

Für die DDR galt er als Symbol der Überlegenheit, der Westen versuchte lange, ihn trotz seiner 368 Meter quasi zu übersehen. Es gibt viel zu erzählen über den Berliner Fernsehturm – etwa, was DDR-Staatschef Ulbricht daran angeblich ärgerte.

Von Von Nikolaus Bernau, rbb

Der Berliner Fernsehturm ist mit 368 Metern seit mehr als einem halben Jahrhundert das höchste Gebäude Deutschlands. Und mit 1,2 Millionen Besucherinnen und Besuchern im Jahr – etwa so viel wie Schloss Neuschwanstein – eine der erfolgreichsten Touristenattraktionen der Republik. Heute vor 60 Jahren wurde der Grundstein gelegt. Geplant wurde der Bau von der Staatspartei der DDR, der SED. Er sollte zeigen, welcher deutsche Staat die Zukunft beherrschen werde.

Innerhalb von vier Jahren wuchs der schlanke, konische Turmschaft, auf den die blitzende Kugel gesetzt wurde. Mit der Übergabe dieses Sendemasts mit Besucherterrasse und Drehrestaurant 1969 begann in der DDR das Zeitalter des Farbfernsehens.

Systemkonkurrenz beflügelte das Bauen

Es gab einige Vorgängerprojekte, die jedoch scheiterten. Einmal kam die Einflugschneise zum Flughafen Schönefeld in die Quere, beim zweiten Versuch explodierten die Baukosten. Als dieser Vorschlag 1963 gestoppt wurde, ging es aber schon nicht mehr darum, nur einen „Großsender“ zu bauen. Man befand sich schließlich im Kalten Krieg. Die Systemkonkurrenz beflügelte das Bauen in Ost wie West.

Ein „Wahrzeichen“ musste her. Man griff auf einen Wettbewerbsentwurf von Hermann Henselmann für einen sozialistischen „Turm der Signale“ von 1958 zurück. Aber kann man Wahrzeichen überhaupt planen? Zur schieren Größe muss sich auch die Sympathie gesellen. Verordnen lässt sich die nicht.

Am 4. August 1965 wurde der Grundstein gelegt, im Oktober 1969 wurde der Berliner Fernsehturm eröffnet. Ein Foto aus der Bauphase.

Die DDR brauchte ein „Wahrzeichen“

Der Maßstab waren der sensationelle Florian-Turm in Dortmund, der 1959 mit 220 Metern Höhe als damals höchster Turm Deutschlands entstand und erstmals Besuchergeschosse und ein sich drehendes Café im raumkapselartigen Turmkopf anbot. Auch die DDR sollte nun einen solchen Turm erhalten – natürlich erheblich höher, als Zeichen der Überlegenheit des sozialistischen Systems.

Ein solches Zeichen war auch dringend nötig: 1953 hatte die SED als „Arbeiter- und Bauernpartei“ beim Arbeiteraufstand am 17. Juni schmachvoll erleben müssen, dass nur die Rote Armee ihr Regime stützte. 1961 ließ Staatsführer Walter Ulbricht die Mauer errichten, um die anhaltende Massenflucht aus seinem Staat zu stoppen. Die Wirtschaftskrise von 1963 delegitimierte die SED zusätzlich.

Der Fernsehturm gehört also – darin vergleichbar mit mittelalterlichen Kathedralen oder Rathaustürmen des 19. Jahrhunderts – zu jener eher kleinen Gruppe der Wahrzeichen, die von vorneherein als solche geplant wurden. Am 23. Mai 1964 forderte die Staatliche Plankommission der DDR, dass der Turm mit 360 Metern Höhe „zu einem eindrucksvollen architektonischen Anziehungspunkt“ werden solle. Die „Höhendominante“, wie der Architekturhistoriker Bruno Flierl schrieb.

Bautechnik wurde aus dem Westen importiert

In Ost-Berlin, soweit man das angesichts der Zensur rekonstruieren kann, waren große Teile der Bevölkerung stolz auf diesen Turm und seine modernistisch gestaltete Umgebung mit den monumental langen Wohnbauten, den Hochhäusern, Garten- und Parkanlagen zwischen Alexanderplatz und Spree.

Hier war, wie in der DDR sonst allenfalls noch an der Dresdner Prager Straße und der Magdeburger Breiten Straße, zu erleben, „dass wir es können“: eine moderne Großstadt auf internationaler Höhe. Kaum jemand wusste schließlich, dass der Fernsehturm bis in die Betriebs- und Bautechnik der Kugel hinein teilweise aus „dem Westen“ importiert werden musste.

West-Berliner Medien: Peinliche Machtgeste

Den West-Berliner Medien dagegen gelang über Jahrzehnte das Kunststück, den Turm, der auch ihre Stadthälfte überstrahlte, quasi auszublenden. Und wenn sie nicht umhinkamen, seine Existenz zu registrieren, wurde er als Bruch mit den städtischen Proportionen, als „Schornstein“ oder peinliche Machtgeste des Systems diskreditiert. Die Vorstellung schreckte zutiefst, „der Osten“ könne ein mit dem Europa-Center, der Kongresshalle im Tiergarten, der Philharmonie oder der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche vergleichbares Wahrzeichen schaffen.

Ein Wahrzeichen Gesamtberlins wurde der Fernsehturm tatsächlich erst nach 1990. Er wurde auf Bechern, Untersetzern und als Kerze, auf unzähligen Postkartenmotiven, Drucken und Büchern vermarktet. Die kürzliche Übernahme des Restaurantbetriebs durch den Starkoch Tim Raue beschäftigte die regionale Presse über Wochen.

Der Turm wurde unpolitischer

Ein zentraler Grund für diesen Erfolg ist sicher seine schiere Größe. „Size matters“ – das gilt auch für Wahrzeichen: Prominente Beispiele sind das Empire State Building, das seit der Zerstörung des World Trade Centers 2001 wieder die Skyline von New York beherrscht, oder der Eiffelturm, der über Paris ragt.

Vor allem aber ist die Symbolik des Fernsehturms schon zu DDR-Zeiten systematisch entpolitisiert worden. Aus dem Pathos des „Turms der Signale“ wurde der „Fernsehturm“ im Hintergrund des Sandmännchens. Erst diese Entpolitisierung machte seine allgemeine Annahme nach 1990 als Wahrzeichen möglich.

Die Spiegelung in der Kugel sieht mitunter aus wie ein Kreuz – was Walter Ulbricht sehr geärgert haben soll.

Ulbricht zürnte über „Rache des Papstes“

Aber es braucht auch immer Legenden, um Wahrzeichen zu schaffen: Die Arbeiter, die auf dem Stahlbalken des Empire State Building sitzen; die Proteste der Maler und Künstler gegen den Bau des Eiffelturms. Zum Fernsehturm gehört die Sache mit dem Kreuz auf der Kugel.

Es ist ein optisch-physikalischer Reflex des Sonnenlichts auf den Prismen, mit denen sie verkleidet ist. Staatschef Ulbricht soll sich wahnsinnig geärgert haben über diese „Rache des Papstes“. Angeblich sollen darauf die Prismen an der Kugel neu poliert worden sein. Ein sichtbares Ergebnis gab es nicht. Auch eine Legende – ohne sie gibt es eben keine Wahrzeichen.