Wie geht es weiter für den syrischen Ex-Diktator Baschar al-Assad? Seit dem Umsturz in Damaskus gewährt Moskau seinem früheren Verbündeten Asyl, doch jetzt versuchen Syrien und Russland den Neuanfang. Beide haben daran Interesse: Syrien will internationale Anerkennung und Hilfe, Moskau will zwei Militärstützpunkte in Syrien wieder in Betrieb nehmen, um seinen Einfluss im östlichen Mittelmeer erneut aufzubauen.

Der Preis dafür könnte Assads Auslieferung sein. Syriens Außenminister Asaad al-Schaibani forderte jetzt bei einem Besuch in Moskau russische Unterstützung bei der Aufarbeitung der Verbrechen unter der Assad-Herrschaft.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow (r.) empfing in der vergangenen Woche seinen syrischen Amtskollegen Asaad al-Schaibani.

© AFP/SHAMIL ZHUMATOV

Kremlchef Wladimir Putin hatte vor zehn Jahren seine Soldaten nach Syrien geschickt, um Assad im Bürgerkrieg gegen die Rebellen vor der Niederlage zu bewahren. Zu Assads Feinden gehörte damals der Milizenchef Ahmed al-Scharaa, der heute Übergangspräsident von Syrien ist.

Assad konnte mit russischer Hilfe ab September 2015 Gebiete zurückerobern, doch mit Beginn des Ukraine-Krieges 2022 zog Moskau viele Truppen aus Syrien ab. Als Scharaas islamistische Miliz HTS im vergangenen Dezember ihren Siegeszug gegen Assads Armee begann, griff Russland nicht ein, ermöglichte Assad aber die Flucht nach Moskau.

Der Ex-Diktator und seine Familie seien „aus humanitären Gründen“ in Russland aufgenommen worden, erklärte der Kreml damals. Assad, dessen Vermögen von der US-Regierung auf bis zu zwei Milliarden Dollar geschätzt wird, soll mehrere Luxuswohnungen in Moskau besitzen. Scharaas Übergangsregierung beantragte im Frühjahr die Auslieferung des früheren Staatschefs, doch Putin lehnte ab.

Für Russland geht es in Syrien derzeit darum, zu retten, was zu retten ist.

Michael Bauer, Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung im Libanon

Das war möglicherweise nicht das letzte Wort. Inzwischen bemüht sich Russland um bessere Beziehungen zu Scharaas Regierung. Putin traf Syriens Außenminister Schaibani vorige Woche in Moskau und lud Scharaa zu einem Gipfeltreffen von Russland und den Staaten der Arabischen Liga im Oktober nach Russland ein.

Schaibanis Besuch in Moskau sei bemerkenswert, „da Russland militärisch, diplomatisch und wirtschaftlich einer der wichtigsten Unterstützer des Assad-Regimes und damit ein Feind von HTS und anderen Anti-Assad-Milizen im Bürgerkrieg war“, sagt Michael Bauer, Nahost-Experte und Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung im Libanon.

Die Reise des Ministers passt zu Schaaras Strategie, international Anerkennung und Legitimation zu suchen, wie Bauer unserer Zeitung sagte. Bisher standen für Damaskus die Zusammenarbeit mit den USA, Europa, den arabischen Staaten und der Türkei sowie der Versuch der Normalisierung mit Israel im Vordergrund.

Michael Bauer leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Beirut.

Nun kommt Russland hinzu. „Russland ist aus Sicht von Damaskus ein einflussreicher Staat mit Sitz im UN-Sicherheitsrat und erheblichen militärischen Machtmitteln“, sagt Bauer.

Auch der Kreml ist zur Wiederannäherung bereit. „Für Russland geht es in Syrien derzeit darum, zu retten, was zu retten ist“, sagt Bauer. „Russland hat mit dem Assad-Regime einen seiner wichtigsten und ältesten Verbündeten in der Region verloren.“

Stürzte Assad: Syriens Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa.

© REUTERS/KHALIL ASHAWI

Zu dem Verlust gehören zwei Militärstützpunkte an der syrischen Küste, die bis Dezember als Sprungbretter für die russische Machtprojektion im östlichen Mittelmeer dienten: eine Marinebasis in Tartus und ein Luftwaffenstützpunkt in Hmeimim weiter nördlich bei Latakia.

Russland sehe dadurch seine strategischen Interessen bedroht, sagt Bauer. „Beide Einrichtungen sind aktuell zwar kaum nutzbar, aber bestehen noch. Russland würde sie sicherlich gerne weiter halten und wieder aktiver nutzen.“

Moskau räumt Militärbasen in Syrien Russlands Rückzug ist nur bedingt eine gute Nachricht

In Moskau vereinbarte Schaibani mit seinem Kollegen Sergej Lawrow, alle syrisch-russischen Abkommen aus der Assad-Zeit auf den Prüfstand zu stellen. Dabei müssten „Lehren aus der Vergangenheit“ gezogen werden, sagte der syrische Minister.

Schaibani bat Russland zudem, Gerechtigkeit im Transformationsprozess in Syrien zu unterstützen – auch ohne Assad beim Namen zu nennen, konnte der syrische Minister sicher sein, dass seine Gastgeber seine Botschaft verstanden.

Eine Auslieferung Assads an Syrien wäre für Scharaa ein innenpolitischer Triumph, den der Übergangspräsident gut gebrauchen könnte. Seine Regierung hat wegen der anhaltenden Wirtschafts- und Energiekrise sowie Massakern an den Alawiten und Gefechten im Gebiet der drusischen Minderheit mit tausenden Toten das Vertrauen vieler Syrer verloren.

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Außenpolitisch könnte sich Scharaa durch eine enge Zusammenarbeit mit Russland die Sympathien bisheriger Partner verscherzen. Arabische Länder, die Türkei, die EU und die USA werden die syrisch-russische Annäherung aufmerksam verfolgen. „Keiner dieser Staaten hat ein Interesse an einem Wiedererstarken der russischen Präsenz in Syrien“, betont Bauer.