Vizekanzler Lars Klingbeil hält wenig vom Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), allen Geflüchteten aus der Ukraine statt Bürgergeld die geringeren Asylbewerberleistungen zu gewähren. „Mancher Vorschlag, der jetzt in den letzten Tagen gemacht wurde, trägt, glaube ich, nicht dazu bei, dass wir in der Koalition gemeinsam vorankommen“, sagte der SPD-Chef am Rande seines Antrittsbesuchs bei US-Finanzminister Scott Bessent.

Im Koalitionsvertrag sei klar vereinbart, dass neu ankommende Flüchtlinge aus der Ukraine kein Bürgergeld mehr erhalten sollten. „Das wird jetzt auch so schnell wie möglich umgesetzt“, sagte Klingbeil zu. „Das ist eine Entscheidung, die ich auch richtig finde.“

Geringere Leistungen für Asylbewerben

Söder dagegen hatte im ZDF gefordert, ukrainischen Geflüchteten in Deutschland grundsätzlich kein Bürgergeld mehr zu gewähren, sondern Leistungen wie Asylbewerbern. Diese fallen geringer aus und werden oft als Sachleistungen oder per Bezahlkarte gewährt.

Klingbeil plädierte dafür, in der schwarz-roten Koalition nicht in Streitigkeiten zu verfallen. Die Regierung habe eine große Verantwortung, Probleme anzupacken. „Das ist der Modus, in dem ich arbeiten will und wo ich mir auch Mühe gebe als Vizekanzler, Finanzminister und Parteivorsitzender, dass wir Sachen abräumen und dafür sorgen, dass wir vorankommen, dass die Probleme der Menschen gelöst werden“, betonte er.

Wirtschaftsministerin Katherina Reiche.

© Swen Pförtner/dpa

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) dringt angesichts gestiegener Kosten auf eine schnelle Reform des Bürgergelds. Das sei in der Koalition mit der SPD verabredet, sagte die CDU-Politikerin am Rande eines Besuchs des Halbleiterkonzerns Infineon in Dresden.

„Es muss gelten, dass sich Arbeiten mehr lohnt als zu Hause bleiben“, sagte Reiche. „Diejenigen, die zur Arbeit gehen, müssen das Gefühl haben, sie haben am Ende mehr in der Tasche als die, die das nicht tun.“ Alle, die dies könnten, müssten am Arbeitsmarkt teilnehmen „und sich einen Teil dessen, was sie zum Leben brauchen, eben auch verdienen“.Auf eine Frage zu Söders Vorschlag ging die Wirtschaftsministerin nicht direkt ein.

Kretschmer für Diskussion „ohne Schaum vor dem Mund“ 

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagte bei dem Termin mit Reiche zur selben Frage, ob er Söders Vorschlag unterstütze: „Zu den Ukrainerinnen und Ukrainern will ich Ihnen Folgendes sagen: Ich bin der Meinung, gleiche Bedingungen für alle, für Einheimische, für Asyl, Schutzsuchende oder für Menschen, die aus der Ukraine kommen. Diejenigen, die arbeiten können, müssen arbeiten.“ Wer in Not sei, dem wolle man auch in Zukunft helfen. 

Die Quote der Schutzsuchenden aus der Ukraine, die in Arbeit seien, sei in Frankreich, in die Niederlande, Tschechien oder Polen viel höher ist als in Deutschland, sagte Kretschmer. „Deswegen muss man sich dieser Diskussion in Ruhe ohne Schaum vor dem Mund stellen.“

Hintergrund der Debatte sind die Bürgergeldzahlen für 2024. Nach Angaben des Sozialministeriums auf eine Anfrage der AfD zahlte der Staat rund 46,9 Milliarden Euro an Hilfen – rund vier Milliarden Euro mehr als ein Jahr zuvor. Unter den Beziehern sind mehrere Hunderttausend Ukrainerinnen und Ukrainer und deren Kinder, die seit 2022 vor dem russischen Angriffskrieg geflüchtet sind. An sie flossen 2024 laut Ministerium rund 6,3 Milliarden Euro.

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Wie Klingbeil widersprach auch SPD-Politiker Dirk Wiese Söder. Die Einsparungen würden überschätzt und der Verwaltungsaufwand der Kommunen wäre enorm, erklärte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Der Zuwachs an Bürokratie hebe Einsparungen faktisch wieder auf. „Das wäre einzig und allein das Prinzip ‚rechte Tasche, linke Tasche‘.“ Vielmehr sollten die Jobcenter sich darauf konzentrieren können, Menschen schnell in gute Arbeit zu bringen, meinte Wiese.

Für Alleinstehende liegt das Bürgergeld seit der letzten Erhöhung 2024 bei 563 Euro im Monat. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen Alleinstehende 441 Euro. Unterbringungskosten kommen gegebenenfalls in beiden Fällen hinzu. Der enge Wohnungsmarkt und gestiegene Heizkosten treiben da die Ausgaben.

Der Ökonom Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB sieht einen entscheidenden Nachteil beim Wechsel vom Bürgergeld ins Leistungsrecht für Asylbewerber: „In der Grundsicherung gibt es Beratung, Vermittlung, Qualifizierung: Genau das, was die Menschen brauchen. Wenn sie nicht im System der Grundsicherung sind, haben sie davon viel weniger.“

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Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) zeigte sich in einem Interview von RTL/ntv zwar offen für Söders Vorschlag. Er monierte, dass in Deutschland nur jeder dritte erwerbsfähige Ukrainer arbeitete. Allerdings sieht auch Frei, dass man den Koalitionsvertrag nur einvernehmlich ändern könnte. Darüber werde man mit der SPD sprechen müssen, sagte der Kanzleramtschef.

Das Sozialministerium zeigt sich sicher, dass die geplanten Neuerungen insgesamt ab 2026 Einsparungen bringen werden. Wie viel es sein wird, ist offen. Die Ministeriumssprecherin betonte auch, beim Bürgergeld sei bereits ein Rückgang der Leistungsberechtigten zu beobachten. Es würden etwas mehr Menschen in den Arbeitsmarkt integriert. Die Umgestaltung der Grundsicherung werde die Vermittlung in Arbeit weiter stärken, betonte die Sprecherin. (dpa)