Solche Lithosphären-Tropfen habe Geologen inzwischen bereits in der Türkei und auch an der zentralen Kontinentwurzel Nordamerikas nachgewiesen. In beiden Fällen haben die Mantelwirbel die Lithosphäre von unten erodiert und ausgedünnt. Dadurch kommt es zu Hebungen und Wärmeanomalien.
Geodynamisches Modell einer Rayleigh-Taylor-Instabilität – eines wandernden Strömungswirbels im oberen Mantel, der durch Störungen (EDC) an einer aufbrechenden Plattengrenze (COB) entsteht. © Gernon et al./ Geology, CC-by 4.0
Wandernde Mantelwirbel
Auf den ersten Blick erscheint es allerdings unwahrscheinlich, dass auch die Appalachen-Anomalie auf diesen Prozess zurückgeht. Denn diese Hitze-Anomalie liegt nicht an einer Plattengrenze oder anderen tektonischen Störung. Doch das muss sie auch nicht, wie nun Gernon und seine Kollegen belegen. „Unsere Forschung zeigt, dass sich diese Lithosphären-Tropfen in Serie bilden können und mit der Zeit weiterwandern“, sagt Koautor Sascha Brune vom GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam.
Geophysikalischen Modellen zufolge bewegen sich die Rayleigh-Taylor-Instabilitäten pro einer Million Jahre um rund 20 Kilometer von ihrer Ausgangs-Plattengrenze weg. Im Laufe der Zeit können sie daher auch weit ins Innere von Kontinenten wandern. Deshalb haben Gernon und sein Team mithilfe seismischer Daten, geodynamischer Simulationen und tektonischer Modelle untersucht, ob es in der Vergangenheit ein tektonisches Rift-Ereignis gab, das solche Mantelwirbel verursachen und an die Position der heutigen Hitzeanomalie bringen konnte.
Rift zwischen Nordamerika und Grönland als Auslöser
Tatsächlich wurden die Geologen fündig – rund 1.850 Kilometer von der Appalachen-Anomalie entfernt. Dort liegt die Plattengrenze zwischen Nordamerika und Grönland, eine Spreizungszone, die vor rund 80 bis 90 Millionen Jahren aufriss. Durch diesen Bruch entstand die Labradorsee, die heute beide Landmassen voneinander trennt. Gleichzeitig könnten durch diesen Rift auch Rayleigh-Taylor-Instabilitäten entstanden sein. Und diese könnten im Laufe der letzten Jahrmillionen Richtung Südwesten bis unter die Appalachen gewandert ein, wie die Simulationen ergaben.
Ursprung der nördlichen Appalachen-Anomalie und Wanderung des auslösenden Mantelwirbels.© University of Southampton
„Wenn wir von einer Verlagerungsrate von rund 20 Kilometern pro Million Jahre ausgehen, dann müsste der Mantelwirbel unter der Appalachen-Anomalie vor rund 91 bis 94 Millionen Jahren ausgelöst worden sein – ziemlich genau zu der Zeit, als sich der Rift beschleunigte“, berichten Gernon und sein Team. „Die Anomalie, die wir heute unter Neuengland sehen, ist demnach höchstwahrscheinlich einer dieser Lithosphären-Tropfen, der sich weit von seinem Ursprungsort entfernt hat.“
Und der Mantelwirbel wandert weiter: In rund zehn bis 15 Millionen Jahren könnte er das Gebiet von New York erreicht haben, wie das Team ermittelte.
Anomalie-Zwilling unter Grönland
Sollte sich das Szenario bestätigen, könnte es eine weitere Anomalie erklären, die auf der anderen Seite der Labradorsee und ihrer alten Spreizungszone liegt. Denn auch unter Grönland gibt es eine bisher schwer erklärbare Wärmezone im Untergrund. Den Modellen zufolge passt die Position dieser Grönland-Anomalie zu einem Mantelwirbel, der sich vom anderen Ufer der Plattengrenze gelöst hat.
„Sie ist wie ein Spiegelbild der nördlichen Appalachen-Anomalie und entstand wahrscheinlich ebenfalls bei der Trennung der beiden Erdplatten“, erklärt Gernon. Die an Plattengrenzen erzeugten Mantelwirbel könnten demnach nicht nur die Geologie, sondern sogar oberirdische Prozesse beeinflussen. Denn die Grönland-Wärmezone trägt zur Schmelze des Eisschilds bei.
“Auch wenn an der Oberfläche nichts erkennbar ist, wirken die Folgen uralter Riftprozesse bis heute nach“, sagt Gernon. „Das Erbe zerbrechender Kontinente könnte auch in anderen Teilen der Erde verbreiteter und langanhaltender sein als wir bisher angenommen haben.“ (Geology, 2025; doi: 10.1130/G53588.1)
Quelle: Geology, University of Southampton
4. August 2025
– Nadja Podbregar