Stand: 05.08.2025 16:02 Uhr
Das Nein hat gesellschaftlich einen „schlechten Ruf“, sagt die evangelische Pfarrerin und Queerfeministin Maike Schöfer. Ihr neues Buch „Nö. Eine Anstiftung zum Neinsagen“ ist eine Imagekampagne für das Nein.
„Voch'“ heißt nein auf Armenisch, „Tidak“ auf Indonesisch, „Žádný“ auf Tschechisch und „Hayır“ auf Türkisch. Nicht in allen Sprachen gibt es ein Wort dafür. Doch auch bei uns, wo das Nein existiert, fällt es vielen schwer, es auszusprechen. Es hat einen ziemlich schlechten Ruf, erklärt die Berliner Pfarrerin Maike Schöfer. „Wir leben generell in unserer Gesellschaft in einer Kultur des Ja-Sagens, das Ja ist viel mehr akzeptiert als das Nein“, sagt sie. Das Ja baue Beziehungen auf. „Es knüpft an, bejaht, baut Brücken: Es ist freundlich. Das Nein setzt immer einen Stopp, eine Grenze, das ist schwieriger aufzufassen, das klingt wie eine Kritik oder wie eine Ablehnung.“
Image-Kampagne für das „Nein“
„Nö – eine Anstiftung zum Neinsagen“ ist bei Piper erschienen und kostet 16 Euro.
Mit ihrem Buch „Nö“ startet Maike Schöfer eine Art Image-Kampagne für das Nein. Nach der Lektüre des Buches sollen wir „Nein“ schreien, oder trotzig „Nö“ sagen – wie der Engel auf dem Cover! Auch ihr selbst geht das Nein nicht immer leicht von den Lippen. Die Gratwanderung zwischen Selbstfürsorge und Egoismus ist schwierig, zumal als Pfarrerin mit der Mission Seelsorge. Ihr letztes lautes und inbrünstiges Nein? „Ich sage mehrere Male am Tag Nein“, betont Schöfer. „Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir auch in unserem Alltag Nein sagen, aber ich glaube, so ein richtig lautes, beherztes Nein, das habe ich zuletzt zu meiner vorhergegangenen Ehe gesagt. Nicht nur hat Maike Schöfer ihr eigenes Ja-Wort revidiert und sich scheiden lassen. Sie geht im Buch noch weiter:
Deswegen kommt hier meine unpopular churchy opinion: Lasst uns die christliche Ehe abschaffen, damit wir ganz ehrlich über die Ehe nachdenken können. Denn wenn wir um all den Mist, all die Ungerechtigkeiten, die Machthierarchie, die hegemoniale Männlichkeit, die Unterdrückung Bescheid wissen, die die Ehe mit sich brachte und bringt, warum ändern wir nichts? Lasst uns doch eine Segnung für alle Beziehungen einführen. Für alle, die Ja zueinander sagen. Ob für polygame Beziehungen, für Patchworkfamilien, für Eltern ohne romantische Beziehung zueinander, für Care-Netzwerke, für queere Paare, für Freund*innen. Unter Gott*es Schutz steht jede Liebe. Und jede Liebe ist gesegnet und soll ein Segen sein. Can I hear an Amen? Amen!
Leseprobe aus: „Nö. Eine Anstiftung zum Neinsagen“
Gott ist größer als männlich
Maike Schöfer schreibt Gott konsequent mit Genderstern – im Buch, aber auch im Gemeindeblatt und in Sozialen Medien. Im „Gott*esdienst“ betet sie das „Gott*Unser“ und spricht von „Ihr“. Das sei ihr Nein zu einem patriarchalen und toxischen Gottesbild, so beschreibt sie es. „Von Gott wird als Vater gesprochen, als Herr, als Herrscher, vielleicht auch als Richter. Und ich biete einfach andere Namen und Beschreibungen für Gott an, die es schon in der Bibel gibt. Von Gott wird in der Bibel auch als Windhauch gesprochen, als Hebamme, als Adlermutter. Gott ist größer als männlich.“
Gott* sprengt alle Kategorien, von Heteronormativität, Binarität, Gender und jeglicher Norm. Gott* ist immer größer und weiter, als Menschen gedanklich und sprachlich fassen können. Gott* lässt sich nicht festlegen und ist immer unverfügbar.
Leseprobe aus: „Nö. Eine Anstiftung zum Neinsagen“
Schluss mit der Ehe, ein queerer Gott? Die sehr unkonventionellen Positionen als Pfarrerin, das konsequente Gendern – für viele ist all das wahrscheinlich Provokation pur. Maike Schöfer will aber eigentlich vermitteln und sensibilisieren. „Mein Gedanke ist gar nicht, dass ich Menschen etwas wegnehmen möchte – mit dem Nein-Sagen oder mit dem Nachdenken über die Ehe“, sagt sie. „Ich verheirate ja auch weiterhin Paare. Ich würde nie sagen, das ist der falsche Weg. Sondern ich begleite die Menschen und versuche, sie mit Fragen und Impulsen dahin zu bringen, nochmal darüber nachzudenken.“
Bildungsarbeit über Instagram
Maike Schöfer will die Bildungsarbeit machen, die ihr als junge Christin gefehlt hat. Das macht sie auch über Instagram. Ironischerweise heißt sie hier „Ja und Amen“, obwohl es nur so wimmelt vor Neins zu Glaubenssätzen und Konventionen ihrer Kirche.
Sätze, die ich mir nicht mehr sagen lasse:
Feminismus und Glaube schließen sich aus.
Jesus war weiß.
Queer sein ist Sünde.
Kirche sollte nicht politisch sein.
In der evangelischen Kirche gibt es keine Machthierarchien.Zitat aus dem Instagram-Kanal „Ja und Amen“
Nein zu Normvorstellungen von weiblicher Schönheit
Im Buch wie auf Instagram schreibt Maike Schöfer immer sehr persönlich, über ihr queeres Coming-Out, über Menstruation und Masturbation oder darüber, wie sie sich die Haare abrasiert hat. Ihre Absage an die Normvorstellungen von weiblicher Schönheit. „Es gibt verschiedenste Formen, wie der Körper Nein sagt, oder wie mit dem Körper Nein gesagt werden kann. Der Körper kann das Nein ausdrücken, wenn es dem Mund die Sprache verschlägt oder uns die Worte fehlen. Der Körper kann das Nein greifbar und sichtbar machen. Und ist manchmal die einzige Waffe oder das letzte Mittel, das marginalisierten Menschen bleibt“, betont Schöfer.
Vom Nein zum kollektiven Protest
Über das „Nein“ einzelner im Alltag hinaus geht es hier um kollektiven körperlichen Protest. Vom Hungerstreik der Suffragetten, nackten Brüsten als Protest bei Femen bis hin zu abgeschnittenen Haaren aus Solidarität mit Protesten im Iran. Maike Schöfers Buch würdigt die Neinsagenden der Vergangenheit und feministische, machtkritische, philosophische und soziologische Denker*innen von Audre Lorde über Erich Fromm bis zu Emilia Roig. So ist bei weitem nicht jeder Gedanke von Maike Schöfer neu und unerhört. Aber in seiner Collagierung und ergänzt durch ihre ganz spezifische Perspektive als queere und queeraktivistische Pfarrerin bekommt der Text eine eigene Handschrift und Kraft.
Welche Rolle spielt heute noch eine Theologie, der die Schöpfungsordnung sowie der Bund zwischen Mann und Frau so wichtig sind?