Berlin – In den verfahrenen Streit um die von der Unionsfraktion abgelehnte SPD-Verfassungsrichter-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf könnte durch die neuen Vorwürfe gegen die Juristin Bewegung kommen.

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Die Uni Hamburg, an der Brosius-Gersdorf im Jahr 1997 ihre Doktorarbeit eingereicht hat, prüft jetzt die Behauptungen des selbst ernannten „Plagiatsjägers“ Stefan Weber (55), wonach das Werk „nahezu oder komplett“ von ihrem Mann, dem Rechtswissenschaftler Hubertus Gersdorf, als „Ghostwriter“ verfasst worden sein soll.

Eine Kanzlei, die das Juristen-Ehepaar beauftragt hat, weist die Vorwürfe des „Plagiatsjägers“ zurück. Dass Brosius-Gersdorf in ihrer Dissertation auf wissenschaftliche Arbeiten ihres Ehemanns verwiesen habe, „die vor Veröffentlichung ihrer Dissertation publiziert wurden, lässt nicht den Vorwurf eines Ghostwriting durch Gersdorf zu“. Es gehöre zum wissenschaftlichen Arbeiten dazu, veröffentlichte Literatur zu zitieren, egal ob sie vom Ehemann verfasst wurde oder von Fremden.

Weber wurden immer wieder zweifelhafte Methoden und eine politische Agenda vorgeworfen. Brosius-Gersdorfs Anwälte bereiten nun rechtliche Schritte gegen ihn vor.

Mehr zum ThemaUni Hamburg geht Hinweisen nach

Ein Sprecher von Hauke Heekeren, dem Präsidenten der Uni Hamburg, sagt zu BILD: „Die Universität Hamburg kann bestätigen, dass die Ombudsstelle im Zusammenhang mit der aktuellen medialen Berichterstattung über die genannten Personen neue Hinweise erhalten hat. Gemäß der geltenden ‚Satzung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und zur Vermeidung wissenschaftlichen Fehlverhaltens‘ werden alle vorliegenden Hinweise derzeit sorgfältig geprüft.“

Hier liegt jetzt der Fall: Hauptgebäude der Universität Hamburg

Das Hauptgebäude der Universität Hamburg. Hier wurde der Juristin ihre Doktorwürde verliehen

Foto: Bodo Marks/dpa

Am Ende hat also die Hochschule das letzte Wort, ob die Vorwürfe Bestand haben. Die Untersuchung muss absolut wasserdicht sein und benötigt deshalb ihre Zeit. In der Regel dauern derartige Prüfungen mehrere Wochen oder auch Monate. Die Ombudsstelle arbeitet hinter verschlossenen Türen und gibt keine Zwischenberichte ab.

Plagiatsjäger Stefan Weber

Der österreichische „Plagiatsjäger“ Stefan Weber

Foto: Heinz Tesarek/picture alliance

SPD hält zu Frauke Brosius-Gersdorf

Die SPD hält trotz der Vorwürfe weiter an Brosius-Gersdorf fest. Carmen Wegge (35), rechtspolitische Sprecherin der Genossen im Bundestag, sagte WELT (gehört wie BILD zu Axel Springer): „Die SPD-Bundestagsfraktion hat Frau Prof. Dr. Brosius-Gersdorf als Expertin benannt, weil sie eine anerkannte und hochgeschätzte Juristin mit besonderer Expertise ist. An dieser fachlichen Qualifikation hat sich nichts geändert, die Vorwürfe sind absurd.“

Wie bewerten Fachleute die Plagiatsvorwürfe?

Die Fachleute, denen BILD Webers Bericht vorgelegt hat, zeigen sich angesichts seiner Ghostwriting-These vorsichtig. Sie machen aber klar, dass die Gemeinsamkeiten in den Arbeiten von Brosius-Gersdorf und deren Mann kein Zufall sein können.

▶︎ Plagiatsforscher Gerhard Dannemann (66, Humboldt-Uni Berlin) sagt BILD, die Ähnlichkeiten zwischen den Arbeiten seien „durchaus problematisch“. Einen Zufall schließt er aus. Aber: Einen stichhaltigen Beleg für den konkreten Ghostwriting-Vorwurf erkennt er in dem Weber-Bericht nicht.

▶︎ Auch Rechtswissenschaftler Roland Schimmel (58, Frankfurt University of Applied Sciences) sagt zu BILD, die Textparallelen seien „augenfällig“ und „ganz sicher kein Zufall“. Bisher habe niemand erklärt, wie sie entstanden seien. Schimmel verweist auf zahlreiche „distinkte Formulierungen“, also sehr eigene Textbausteine, die in beiden Arbeiten vorkommen. Sein Fazit: „Für das, was Weber sagt, spricht nach gesundem Menschenverstand ganz viel. Aber ob man das aus dem Text verlässlich belegen kann – da habe ich erhebliche Zweifel.“

Prof. Hubertus Gersdorf (63) lehrt an der Universität Leipzig Jura.

Prof. Hubertus Gersdorf (63) lehrt an der Universität Leipzig Jura

Foto: picture alliance / dts-Agentur

So positioniert sich die CDU

In der SPD war bislang erwartet worden, dass die Kollegen der Union Brosius-Gersdorf aus Koalitionstreue mit an die Spitze des Verfassungsgerichts wählen. Aber in Kreisen der Unionsfraktion heißt es bereits, dass „von den Abgeordneten nicht erwartet“ werden könne, „eine Kandidatin zu unterstützen, deren Doktorarbeit auf dem Prüfstand“ steht.

Bevor am Mittwoch das Kabinett tagt, dürfte die Causa Brosius-Gersdorf erneut zur Sprache kommen. Das Spitzenpersonal von CDU/CSU sowie SPD trifft sich jeweils in den frühen Morgenstunden zur Vorbereitung.

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In der SPD hoffen manche, dass die Prüfung der Uni Hamburg schnell abgeschlossen wird und die Vorwürfe gegen Brosius-Gersdorf entkräftet werden.

Eigentlich sollte der Umgang mit der Personalie, die zur ersten Koalitionskrise der schwarz-roten Regierung geführt hat, im Laufe des Sommers geklärt werden. Immer wieder war die zuvor verschobene Wahl für September angekündigt worden. Dieser Zeitplan wäre in der aktuellen Lage nicht mehr zu halten.

Es sei denn, Brosius-Gersdorf erklärt aus eigenem Antrieb den Rückzug von ihrer Kandidatur. Dafür gibt es bislang keine Anzeichen.