Sieht aus wie ein cooles Café, doch hier büffeln Studierende auf dem Campus in Vaihingen: Stuttgarter Innenarchitekten haben einen öden Lernraum wiederbelebt.
Vielleicht ist das Aquarium im begrünten Hof zu finden, denkt man sich beim langen Marsch entlang des lang gestreckten Gebäudes am Pfaffenwaldring auf dem Unicampus in Stuttgart-Vaihingen. Dort angekommen, steht man im Foyer, von dem lange dunkle Gänge abzweigen, an den Seiten Vitrinen mit technischen Gerätschaften.
Wieder an der Sonne und etwas orientierungslos dreinblickend erbarmt sich ein junger Mensch und fragt, wohin es gehen soll. Aquarium? Lernort? Das sei am anderen Eingang zu finden, geradeaus um die Ecke. Auf dem Weg gleich die erste Feldforschungsfrage: wie es ihm gefällt? „Ich bin gern dort, es sieht ziemlich gut aus“, sagt der Elektrotechnikstudent.
Farbenfroher Lernort auf dem Campus
Vom Eingangsbereich des Pfaffenwaldrings 47 – Adresse der universitären Welt des Fachbereichs Elektrotechnik & Informationstechnik –, von dem aus es in die großen Hörsäle der angehenden Ingenieure diverser Ausprägungen führt, geht es eine Treppe hinunter.
Und da stehen schon die Experten des gehobenen Wohnens und der exquisit gestalteten Arbeitswelten: Peter Ippolito, einer der beiden Leiter der international agierenden Ippolito Fleitz Group, seine Mitarbeiterin, die Innenarchitektin Kerry Anika Plieninger – und Ingmar Kallfass. Der Professor und Institutsleiter am Institut für Robuste Leistungshalbleitersysteme der Universität Stuttgart hat das Projekt angestoßen.
Mit einem Wow geht es in den Raum: Von einem Windfang aus schweift der Blick über einen großen offenen Raum mit vielen Fenstern, daher der Spitzname Aquarium. Ein Glaskasten mit mehreren Etagen, offen – und ganz schön bunt! Grün, Rosa, Grau und kräftige Rottöne, sogar auf den Betonwänden. Und wiewohl gut besucht an diesem Vormittag ist es kein bisschen lärmig.
Im Lernraum führt eine wie frei schwebende Treppe hinauf zur Galerie, es wird zweistöckig gelernt hier. Also: schon die Architektur selbst ist sagenhaft, sie steht auch unter Denkmalschutz. Es ist ein toller Ort für alle, die Brutalismus mögen und die 70er-Jahre-Architektur. Also vermutlich nicht allzu viele abseits der Architekturblase.
Für die Innenarchitekten waren der Grundriss und der farbig gestrichene Beton eine Inspiration. Oder wie es Peter Ippolito formuliert: „Was wir gemacht haben, das war mehr als ein Wachküssen. Jetzt nimmt man die Architektur, die Offenheit des Raumes besser wahr.“ Mit viel Gespür für Material und Farbe und geeignet für Studierende mit unterschiedlichen Bedürfnissen – still lernen und in Gruppen zusammenarbeiten.
Blick ins farbenfroh umgestaltete Aquarium in Stuttgart-Vaihingen Foto: Ippolito Fleitz Group; Philip Kottlorz
Also: Salbeigrünfarbene Vorhänge schlucken jetzt Lärm und sorgen für Wohnlichkeit, auch Stühle sind mit Filz bezogen, das hilft in Sachen Schallschutz. Bis zu 100 Studierende können sich hier aufhalten.
Überall im Raum gruppieren sich lässig farbenfrohe Sitzmöbel, hellblaue Kippstühle, neonfarbene Hocker und Sessel, auf denen Studierende es sich mit Laptop bequem machen. Andere sitzen auf Bänken nebeneinander und bearbeiten auf den Computerbildschirmen Zahlenkolonnen und kompliziert aussehende Differentialgleichungen.
Möglichkeitsraum in Stuttgart-Vaihingen
„Das Thema lebenslanges Lernen hat uns gereizt“, sagt Peter Ippolito, „und ich mag die Architektur. Hier geschieht vieles gleichzeitig mit den verschiedenen Plattformen vom Atrium bis zur ruhigeren Galerie. Was wir wollten ist, Möglichkeitsräume zu eröffnen.“
Viele Möbel lassen sich leicht umgruppieren. Raumteiler, hinter denen sich zusammengeschobene Tische verbergen, ermöglichen außerdem das gemeinsame Arbeiten. Im Atrium befindet sich eine ochsenblutrote Tee- und Küchenzeile – an einem Kaffeeautomaten wird noch gearbeitet, da sind offenbar komplizierte Abstimmungsprozesse nötig.
„Früher waren solche Räume meist statische Orte“, sagt der Architekt. „Heute fördern wir mit unserer Gestaltung Zusammenarbeit. Und wir schaffen agile Räume, die sich verändern, die sich anpassen können. Dafür stellen wir Module zur Verfügung, aus denen man sich bedienen kann.“
Fördergelder für den Umbau eingesetzt
Möglich wurde der Umbau, weil Universitätsleitung und Institutsleiter sich großherzig gezeigt haben. Wie Ingmar Kallfass lapidar sagt: „Am Anfang stand das Geld.“ Ohne die komplizierten Förderrichtlinien an Universitäten auszubreiten – wer Geld für ein Projekt einwirbt, darf eine Pauschale von zwanzig Prozent für seine eigene Institution verwenden, wie etwa die zentrale Verwaltung oder Ausstattung an den Institutionen.
Ingmar Kallfass und Manfred Berroth, Professor und Institutsleiter am Institut für Elektrische und Optische Nachrichtentechnik (heute im Ruhestand) hatten Geld für ein Projekt eingeworben und fanden es eine gute Idee, auf Institutsanteile zu verzichten.
200 000 Euro gab es für die Renovierung
Die zuständigen Abteilungen bis zum Universitätsbauamt haben mitgemacht – und so wurden rund 200 000 Euro für die Renovierung des bis dato trist aussehenden Lernorts ausgegeben, die etwas über ein Jahr gedauert hat. Ingmar Kallfass: „Wir haben sogar eine kleine Ausschreibung gemacht, und das Konzept von Ippolito Fleitz hat uns überzeugt.“
Die Innenarchitekten haben den Boden aufgearbeitet, die denkmalgeschützten pastellfarbenen Wandfarben erneuert, Beleuchtung durch LED ausgetauscht, mit Paneelen die Akustik verbessert, mit passenden Möbeln dafür gesorgt, dass sie sich an den Bedarf der Studierenden anpassen. „Wir haben die Farben der Wände aufgenommen und auch mal Kontrasttöne verwendet, robuste Möbel ausgesucht mit Stoffen, die abnehmbar sind, beim Sofa etwa, Stühle aus recycelten Materialien verwendet“, sagt die Innenarchitektin Plieninger.
„Der schwedische Künstler und Farbgestalter Fritz Fuchs hatte für die drei Hörsäle am Standort ein Farbkonzept entwickelt, das in die Flurbereiche hinausreichte. Fuchs‘ 1978 fertiggestellter „Farbraum-Klang“ für den Campus steht unter Denkmalschutz und wurde im Zuge der Umgestaltung entsprechend restauriert. Allein die denkmalgerechte Sanierung der Farben verändert den Ort maßgeblich.“
Grund für die Renovierung ist neben Menschenfreundlichkeit auch Kalkül im guten Sinn. Ingmar Kallfass formuliert es so: „In Zeiten der konsequenten Digitalisierung müssen sich Hochschulen Konzepte überlegen, Lernende und Lehrende zum persönlichen Austausch zu animieren – einladende Orte zum Lernen am Campus geraten so zum Standortvorteil.“
Die Studentinnen und Studenten können den neuen Lernraum mit ihrem Studierendenausweis rund um die Uhr auch außerhalb der Vorlesungszeiten und am Wochenende nutzen, und er soll noch eine Ertüchtigung der Stromversorgungs- und Medienzeilen erfahren, damit neben dem Ambiente eine topmoderne Technik für entspanntes Lernen sorgt.
Der Raum wird auch so schon gut gebucht für Veranstaltungen, Vorträge, sogar Sommerworkshops zur Vorbereitung auf Klausuren. Kallfass: „Das Aquarium ist ein Treffpunkt, und wir haben schon internationale Studierende dorthin eingeladen.“ Ein kleiner abschließbarer Raum wird von der Fachschaft genutzt, kann aber auch von anderen gebucht werden.
Nachahmer? Werden sich vielleicht finden, es sind schon Delegationen anderer Fakultäten im Aquarium gesichtet worden. Nicht jede Studentenbude, nicht jede WG ist so wohnlich wie dieser Lernort. Und besser lernen in angenehmerer Atmosphäre, das wäre auch den Studierenden im Kessel zu wünschen.