Damaskus. In dem Café im Zentrum von Damaskus plaudern junge Frauen bei eisgekühlten Softdrinks, ältere Männer rauchen Wasserpfeife oder spielen Karten. Arabische Popmusik dudelt aus den Boxen, Menschen lachen, die Atmosphäre ist locker. Auch Ali sitzt hier, er ist 2016 als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Jetzt ist der 34-Jährige zurück in seiner alten Heimatstadt – auf Probe.

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Ali heißt eigentlich anders, aus Furcht vor Repressalien der deutschen Ausländerbehörden will er anonym bleiben. Wer als Flüchtling nach Syrien reist, riskiert in Deutschland den Verlust seines Schutzstatus. „Wenn ich zurückkomme, weiß ich nicht, ob ich Probleme bekomme“, sagt er. „Vielleicht nehmen sie mir meine Aufenthaltserlaubnis.“ Ali ist trotzdem nach Damaskus gereist, um zu entscheiden, ob er dauerhaft nach Syrien zurückkehren wird.

Wie er die Wahrscheinlichkeit einschätzt? „50:50“, antwortet Ali. „Ich will noch ein, zwei Monate schauen und dann eine Entscheidung treffen.“ Das hänge auch davon ab, ob er in Damaskus Arbeit finde. An seinem Wohnort in Bayern habe er ein Kleingewerbe angemeldet. „Seit 2017 habe ich keinen Cent vom Staat genommen“, sagt er. Bereits vor drei Jahren habe er die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, bislang aber ohne Erfolg. „Ich habe oft bei den Behörden nachgefragt, warum es so lange dauert. Sie sagen immer nur, ich soll warten.“

Von Sicherheit ist Syrien weit entfernt

Ali ist Deutschland zutiefst dankbar für die Aufnahme der vielen Flüchtlinge aus Syrien. „Aber am Ende ist das hier mein Land, meine Heimat.“ Viele seiner syrischen Bekannten und Freunde in Deutschland empfänden das genauso – und überlegten ebenfalls, zurückzukehren.

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In Syrien herrscht seit dem abrupten Ende der Herrschaft von Diktator Baschar al-Assad vor rund acht Monaten zwar kein Bürgerkrieg mehr. Doch von Sicherheit ist das Land weit entfernt: Es kommt zu Zusammenstößen zwischen Volksgruppen, Anschlägen von Extremisten und israelischen Luftangriffen. Das Auswärtige Amt warnt ausdrücklich vor Syrien-Reisen.

720.000 Syrer sind zurückgekehrt

Mit dem Ende des Assad-Regimes und der Verfolgung von dessen Gegnern ist für viele Flüchtlinge der Grund entfallen, warum sie einst ihre Heimat verlassen haben. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind seitdem rund 720.000 Syrer aus dem Ausland zurückgekehrt, die meisten davon aus den Nachbarländern. Bis zum Jahresende rechnet UNHCR mit einer Verdoppelung dieser Zahl.

Konkrete Angaben dazu, wie viele Syrer aus Deutschland gekommen sind, gibt es nicht – sie reisen in der Regel ebenfalls über benachbarte Länder nach Syrien ein. Ende vergangenen Jahres waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 713.000 Syrerinnen und Syrer in der Bundesrepublik als Schutzsuchende registriert. Ihnen wird eine Entscheidung über eine freiwillige Rückkehr in ihre Heimat paradoxerweise durch die Bundesregierung erschwert – obwohl Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben, „beginnend mit Straftätern und Gefährdern“ Menschen nach Syrien abzuschieben.

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Nach dem Ende des Assad-Regimes wollte die damalige Ampelkoalition Flüchtlingen eine einmalige Erkundungsreise nach Syrien erlauben. Unter CSU-Innenminister Alexander Dobrindt wurden die Pläne zu den Akten gelegt. „Das Bundesministerium des Innern hat sich nach eingehender Prüfung dagegen entschieden, kurzzeitige Heimreisen für Syrerinnen und Syrer ohne Auswirkungen auf den Schutzstatus zu ermöglichen“, teilt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit. Wenn es sich nicht um Ausnahmefälle wie Beerdigungen naher Angehöriger handele, werde grundsätzlich vermutet, „dass die Voraussetzungen für den jeweiligen Schutzstatus nicht mehr vorliegen“. Die Organisation Pro Asyl warnt: „Eine Reise nach Syrien führt im Regelfall zum Widerruf des Schutzstatus durch das BAMF.“

Frankreich und die Türkei ermöglichen Erkundungsbesuche

Anders verfährt etwa Frankreich, das mit Sondergenehmigung Erkundungsbesuche erlaubt, ohne dass der Flüchtlingsstatus erlischt. Die Türkei, die mehr Syrer aufgenommen hat als jedes andere Land, gestattet sogar drei Erkundungsreisen, bis Flüchtlinge sich entscheiden müssen, ob sie bleiben oder zurückkehren.

Man muss wissen, wohin man zurückkehrt: Wie ist die Sicherheitslage? Steht das Haus noch? Kann ich Arbeit finden?

Katharina Thote, UNHCR-Chefin in Deutschland

Die UNHCR-Chefin in Deutschland, Katharina Thote, appelliert an die Bundesregierung, rückkehrwilligen Syrern ebenfalls eine solche Möglichkeit zu eröffnen. „Damit würde die Bundesregierung ein pragmatisches Signal senden.“

Katharina Thote, Vertreterin von UNHCR in Deutschland.

Katharina Thote, Vertreterin von UNHCR in Deutschland.

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Thote sagt, „Go and See Visits“ – kurze, selbst organisierte Besuche in der Heimat – seien bei den Überlegungen über eine mögliche Rückkehr nach Syrien entscheidend. „Man muss wissen, wohin man zurückkehrt: Wie ist die Sicherheitslage? Steht das Haus noch? Kann ich Arbeit finden? Gibt es eine Schule für die Kinder? Das sind existenzielle Fragen, und ohne Antworten trifft niemand – erst recht keine Familie – eine so weitreichende Entscheidung.“ Ein solcher Besuch sei kein Beweis dafür, „dass kein Schutzbedarf mehr besteht. Aber er kann langfristig dazu beitragen, dass eine Rückkehr nachhaltig und dauerhaft ist.“

Syrien liegt nach 13 Jahren Bürgerkrieg am BodenNach 13 Jahren Bürgerkrieg: Jedes dritte Haus ist unbewohnbar, die Infrastruktur ist weitgehend zerstört.

Nach 13 Jahren Bürgerkrieg: Jedes dritte Haus ist unbewohnbar, die Infrastruktur ist weitgehend zerstört.

Die UNHCR-Sprecherin in Syrien, Celine Schmitt, sagt: „Wir unterstützen Menschen, die zurückkehren wollen, werben aber nicht dafür, weil die Herausforderungen so gigantisch sind.“ Nach mehr als 13 Jahren Bürgerkrieg mit Hunderttausenden Toten liegt Syrien am Boden. Das Land gehört zu den ärmsten der Welt, Jobs gibt es kaum. Jedes dritte Haus ist unbewohnbar, die Infrastruktur ist weitgehend zerstört. Es mangelt an fast allem: an Zugang zu Strom und Wasser, zu Bildung und Gesundheitsversorgung. Schmitt sagt: „Wer zurückkehrt, beweist eine Menge Mut.“

Die Chancen hier im Land sind groß, es wird viel investiert werden.

Usama Saleh, Diplom-Ingenieur lebt jetzt in Damaskus

Usama Saleh (58) aus der Gegend von Bremen hat diesen Mut aufgebracht. Der Diplom-Ingenieur lebt in Damaskus, wo er mit dem Telekommunikationsministerium zusammenarbeitet. Sein Ziel ist, sich selbstständig zu machen. „Die Chancen hier im Land sind groß, es wird viel investiert werden“, sagt er. „Hier herrscht Aufbruchstimmung.“

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Saleh hat zwar seinen Job als Elektrotechniker in Deutschland gekündigt, sein Risiko ist dennoch überschaubar: Er hat sowohl den deutschen als auch den syrischen Pass. „Wenn es hier klappt, klappt es. Wenn nicht, gehe ich zurück nach Deutschland.“ In den vergangenen 15 Jahren wurden gut 250.000 Syrer in Deutschland eingebürgert, sie besitzen in aller Regel beide Staatsangehörigkeiten und können nach Syrien reisen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.

Saleh ist schon viel länger in Deutschland, er floh im Sommer 1980 mit seinen Geschwistern und seiner deutschen Mutter zu deren Familie nach Erlangen. Zu der Zeit herrschte Hafiz al-Assad, Baschar al-Assads Vater. Salehs syrischer Vater wurde damals festgenommen und war sechs Jahre als politischer Häftling hinter Gittern, bevor auch er nach Deutschland kam.

45 Jahre in Deutschland – nun zurück in Syrien

45 Jahre lang hat Saleh in der Bundesrepublik gelebt, er hat dort eine Familie gegründet und Karriere gemacht. Syrien vergessen konnte er nie. „Der Wunsch, zurückzukehren, war immer da“, sagt er. „Jetzt hat sich die Gelegenheit ergeben und ich habe gesagt, ich probiere es aus.“

Saleh hält es für einen Fehler, dass die Bundesregierung rückkehrwilligen Syrern keine Erkundungsreisen erlaubt. „Viele haben Interesse, erst einmal zu schauen, wie die Lage ist“, sagt er. „Aus der Ferne kann man das schlecht beurteilen, man muss erleben, wie das Land tickt.“ Erleichtert würde eine Rückkehr für Familien nach seiner Überzeugung auch, wenn deutsche Schulen im Land gegründet würden. „Viele syrische Kinder in Deutschland sprechen nur schlecht Arabisch oder können die Schrift nicht lesen oder schreiben.“

Rechtsruck in Deutschland hatte Einfluss auf Entscheidung

Ausschlaggebend für Salehs Rückkehr-Entscheidung war zwar das Ende von Assads Herrschaft. Einfluss darauf hatte aber auch der Rechtsruck in Deutschland. „Das feindliche Klima gegenüber Menschen wie uns hat absolut eine Rolle gespielt“, sagt er. „Die AfD wird immer stärker, und wie es jetzt aussieht, ist es eine Frage der Zeit, bis sie an die Macht kommt. Man spürt, dass das Klima in Deutschland schlechter wird. Man hat das Gefühl, dass es keine Sicherheit mehr gibt, dass man vielleicht angepöbelt wird, wenn man hinausgeht.“ Viele Syrer in Deutschland seien besorgt.

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Im Stadtbezirk Dschubar in Damaskus gleichen viele Straßen einem Trümmerfeld.

Im Stadtbezirk Dschubar in Damaskus gleichen viele Straßen einem Trümmerfeld.

Das gilt auch für Majd, der gerade die prächtige Umayyaden-Moschee in Damaskus besucht, eines der ältesten islamischen Gotteshäuser der Welt. Der 30-Jährige, der nur mit seinen Vornamen zitiert werden möchte, ist 2015 nach Deutschland geflohen und lebt seitdem in Köln. Dort studiert er und arbeitet in einem Flüchtlingsheim, dort hat er bis vor Kurzem seine Zukunft gesehen. „Keiner hat damit gerechnet, dass das Regime stürzt“, sagt Majd. „Das hat meine Zukunftspläne in Deutschland völlig über den Haufen geworfen.“

Majd hat sich sieben Wochen Urlaub genommen, in dieser Zeit möchte er eine Entscheidung über eine Rückkehr treffen. Wie im Fall von Saleh hat auch bei Majd das Erstarken der Rechten in Deutschland zu seinen Überlegungen beigetragen. „Ich bin innerhalb von einem Monat vor der letzten Bundestagswahl in Köln zweimal rassistisch angegriffen worden, einmal in der Bahn, einmal mit Freunden“, sagt Majd. Die Angreifer hätten ihn dabei als „Scheiß-Ausländer“ beschimpft. In Syrien werde er nicht wegen seines Aussehens diskriminiert.

Die neuen Freiheiten in Syrien begeistern Majd. Früher habe er Proteste gegen das Assad-Regime organisiert, sagt er. Seit seiner Flucht habe er nicht mehr nach Syrien reisen können, weil er dort verfolgt worden wäre. „Jetzt kann ich jeden kritisieren, und keiner kann mir etwas antun.“ Majd – der beide Pässe hat – sagt, am liebsten würde er künftig zwischen Deutschland und Syrien pendeln. „Mal schauen, wo ich arbeiten kann. Vielleicht irgendwo im Import-Export.“

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Majd kann nicht sagen, wo er sich mehr zu Hause fühlt. „In Köln sind meine Menschen, meine Liebsten. In Damaskus ist meine Familie, also auch meine Liebsten“, erklärt er. „Ich habe viel von Deutschland übernommen, aber meine Wurzeln sind hier.“ In der Bundesrepublik habe er zuletzt eine schwere Identitätskrise gehabt. Ob er sie mit seiner Reise nach Syrien überwunden habe? „Nein“, antwortet der Kölner aus Damaskus. „Die Identitätskrise ist immer noch da.“

Mitarbeit: Mohammad Rabie