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Ein Radfahrer nimmt Notiz von einer in Kiew ausgestellten Drohne russischen Ursprungs.Ansichtssache: In der Ukraine liegen offenbar Shahed-Drohnen massenhaft herum, und die Regierung versucht die Bevölkerung zu informieren – ein Radfahrer nimmt Notiz von einer in Kiew ausgestellten Drohne russischen Ursprungs. © Sergei Supinsky / AFP

Günstig und gefährlich: Russlands neue Niedertracht lässt die Verteidiger verzweifeln – Shahed-Drohnen mit Düsenantrieb scheinen unaufhaltsam zu sein.

Kiew – „Nicht alle heute eingesetzten Mittel können solche Ziele abfangen“, sagt Juri Ignat. Gegenüber dem Magazin The War Zone (TWZ) erklärt der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, dass sich der russische Diktator Wladimir Putin die nächste Niedertracht im Ukraine-Krieg hat einfallen lassen: Shahed-Drohnen mit einem Düsenantrieb. Damit können die todbringenden Deltaflügler nicht nur schneller und höher fliegen – sie stellen die Verteidiger damit vor Aufgaben, die fast übermenschlich sind.

Obwohl diese Drohnen nur einen kleinen Teil der Angriffsflotte ausmachten, könnten sie viele der aktuellen ukrainischen Luftabwehrsysteme umgehen, schreibt TWZ-Autor Howard Altman. Eine Katastrophe für die Verteidiger, die ohnehin unter den Shaheds der Russen bisher am stärksten zu leiden hatten. Die Drohnen iranischen Ursprungs sind offenbar die Nachfolger des Gleitbomben-Terrors, den die Ukraine inzwischen besser unter Kontrolle bekommen hat.

Putins perfide Strategie: „Nacht für Nacht entwickelt sich der Blitzkrieg.“

„Nacht für Nacht entwickelt sich der Blitzkrieg. Russische Drohnen, Täuschkörper, Marschflugkörper und ballistische Raketen – zunehmend auf eine einzelne Stadt oder einen einzelnen Ort gerichtet – werden in Rekordzahlen auf die Ukraine abgefeuert. Dies stellt die Verteidigungsfähigkeit des Landes auf die Probe und wirft die Frage auf, wie gut es einen weiteren Kriegswinter überstehen kann“, schreibt der britische Guardian. Tatsächlich lässt Wladimir Putin offenbar so lange auf die Ukraine feuern, bis die letzte Luftabwehrstellung der Ukraine in Rauch aufgeht.

„Es gibt keine klare Kommandostruktur. Bei Raketen weiß die Luftabwehr, was zu tun ist. Bei Drohnen – insbesondere Jets – tut jeder, was er kann.“

Nach der Erniedrigung, die die russische Panzerwaffe durch die ukrainische Armee erfahren hat und nach der Sinnlosigkeit der unermüdlichen Fleischwolf-Angriffe russischer Infanterie, scheint Putins Armeeführung jetzt verzweifelt nach einem neuen Hebel gegen die ukrainische Verteidigung zu suchen – Shahed-Drohnen; möglicherweise das neue Schweizer Messer russischer Kriegsführung. „Bis Alternativen gefunden sind, wird die Ukraine für diese Drohnen teure und wertvolle Boden-Luft-Raketen (SAMs) einsetzen müssen, die pro Stück Millionen kosten können“, schreibt TWZ-Autor Altman. Der unaufhörliche Lärm der Shahed-Drohne treibe die Ukraine zur Verzweiflung, urteilt Cristian Segura. Für den Autoren der spanischen Tageszeitung El Pais habe die Shahed-Drohne das Zeug zum Matchwinner im Ukraine-Krieg.

Die Dramatik liege weniger in der Waffe selbst, sondern in ihrem Auftreten, der einem Heuschrecken-Schwarm ähnelt: „Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betonte letzte Woche, dass es im Jahr 2024 undenkbar gewesen sei, dass der Feind mehr als 100 an einem einzigen Tag einsetze, heute sei dies jedoch alltäglich“, schreibt Segura. Ihm zufolge habe der Geheimdienst des ukrainischen Verteidigungsministeriums (GUR) zuletzt geschätzt, die russische Industrie könne maximal 170 Stück dieser Langstrecken-Bomber produzieren. Pro Tag. Inzwischen ginge die Ukraine davon aus, dass die Stückzahl auf 190 gestiegen sei. Theoretisch könne Russland prognostisch demnächst fast 200 Shahed-Drohnen täglich auf die Ukraine regnen lassen. Tag für Tag. Woche für Woche. Monat für Monat.

Putins neuer Shahed-Terror: Neben der Masse punkten diese Waffen jetzt offenbar auch mit Klasse

Neben der Masse punkten diese Waffen jetzt offenbar auch mit Klasse: „Sie können mit Geschwindigkeiten von 400 bis 600 Kilometern pro Stunde und in Höhen von bis zu neun Kilometern fliegen“, sagte Kostiantyn Kryvolap gegenüber dem ukrainischen Magazin Focus. Der Luftfahrtanalyst hält sie daher für einen ernsthaften Gegner für die ukrainische Luftverteidigung. Laut Kryvolap seien aber die Düsenantriebe nur eine Seite der Medaille. Russland setze offensichtlich auf einen Mix in den Schwärmen. Bereits vorher waren in den Angriffs-Formationen Drohnen mit Holz- statt Gefechtsköpfen mitgeflogen – nur um die Abwehr zu teuren Schüssen zu verleiten. Mittlerweile sollen die deutlich schnelleren düsengetriebenen Drohnen zusammen mit den Propeller-Drohnen fliegen und die Luftabwehr durch Kampfjets damit vor komplexe Aufgaben stellen.

Der Grund läge in den unterschiedlichen Geschwindigkeiten, die sich aus den differenzierten Antrieben ergäben – das führe zu „Chaos im Zielverteilungssystem“, so Kryvolap gegenüber Focus. Die Propeller-Shaheds mit Kolben-Motor flögen mit für Kampfjets schwierig zu bekämpfenden Geschwindigkeiten von unter 200 Kilometern pro Stunde: „Bei niedrigen Geschwindigkeiten, die für konventionelle Kolben-Shaheds typisch sind, kann es zu einem Strömungsabriss des Kampfflugzeugs kommen, wodurch das Risiko eines Unfalls oder sogar des Verlusts von Flugzeug und Pilot steigt“, sagt Kryvolap. Jet-Shaheds seien schneller unterwegs und daher von Kampfjets besser zu verteidigen. Wenn das Feld der Angreifer nun gemischt operiere, würde die Abwehr in der Zielerfassung verwirrt und im schlimmsten Fall auf die eigenen Maschinen feuern.

Eskalation im Ukraine-Krieg: Putin hat jetzt auch offiziell die Neuausrichtung seiner Drohnenflotte propagiert

Sollten darüberhinaus auch noch Fake-Drohnen mit einem Holzkopf in den Schwärmen fliegen, würde die ukrainische Luftabwehr womöglich mit Kanonen auf Spatzen schießen und kostbare Munition verpulvern. Die Luftabwehr steht damit vor einer komplexen Lage – ein taktisch immenser Vorteil für Russland. Wladimir Putin hatte kürzlich auch offiziell die Neuausrichtung seiner Drohnenflotte propagiert, wie die Tass veröffentlicht hat.

Die russische Regierung müsse die beschleunigte Entwicklung der unbemannten Luftfahrtindustrie sicherstellen, um darin bis 2030 die technologische Führung zu erreichen, schreibt die russische Nachrichtenagentur. Aufgrund westlicher Sanktionen scheint Russland dabei auf eigene Produkte zurückgeworfen zu sein, wie Isabelle Facon für das Center for a New American Security nahe legt. Das bezieht sie beispielsweise auf Navigations- und Steuerungssysteme, Kameras, optoelektronische Beobachtungssysteme oder die Triebwerke, wie sie aufzählt.

Im vergangenen September hatte Wladimir Putin verlauten lassen, dass er die Drohnenproduktion forcieren wolle – für unbemannte Luftfahrzeuge jeglicher Art, wie ihn die Tass zitiert hat: „Wir müssen den Bedarf der Streitkräfte vollständig decken. Zu diesem Zweck müssen wir die Produktion unbemannter Fahrzeuge kontinuierlich steigern, ihre taktischen und technischen Eigenschaften auf verschiedene Weise verbessern, einschließlich der Einführung künstlicher Intelligenz, und sie unter Berücksichtigung der Kampferfahrung ständig modernisieren.“

Russlands Weg: Die jetbetriebenen Shahed-Modelle lassen die ukrainischen Verteidiger mitunter verzweifeln

Wie der Guardian aktuell berichtet, habe Russland mit der Umstellung seiner Taktik auch Erfolg. Analysen von Daten der ukrainischen Luftwaffe zeigten, dass die Luftverteidigung weniger Drohnen erreiche: von knapp fünf Prozent im März und April sei Putins Erfolgsquote im Mai und Juni auf 15 bis 20 Prozent gestiegen – sein Ziel sei dabei, dass die Shaheds lediglich Löcher rissen für die Gleitbomben, weil die 50 Kilogramm schweren Sprengköpfe ohnehin wenig Schaden anrichteten. Laut Jack Watling habe Russland in den Shahed-Drohnen ihren neuen T-34-Panzer gefunden. Laut dem Analysten des britischen Thinktanks Royal United Services Institute (RUSI) sei die wichtigste Frage für die russischen Planer gewesen: „In welche Technologie können wir investieren, die gut und günstig genug ist und entscheidende Ergebnisse liefert?“, zitiert ihn der Guardian.

Putins Zirkel der Macht im Kreml – die Vertrauten des russischen PräsidentenWladimir Putin, Jewgeni Prigoschin, Ramsan Kadyrow, Sergej Lawrow, Dimitri Medwedew, Alina Kabajewa, Wladimir Solowjow, Alexander Bortnikow, Sergej Schoigu, Kyrill I., Aleksander Dugin, Nikolai Patruschew, Sergej NaryschkinFotostrecke ansehen

Die neuen, jetbetriebenen Shahed-Modelle lassen die ukrainischen Verteidiger deshalb verzweifeln. Das ukrainische Verteidigungsnachrichtenportal Militarnyi stellt fest, dass die optimierten Waffen „sowohl für mobile Feuergruppen mit Kleinwaffen und Kanonen als auch für Abfangdrohnen mit Elektromotoren praktisch unerreichbar“ seien, wie das Magazin schreibt. El Pais zitiert Oleksandr Syrskyi vom 22. Juni dahingehend, dass die „mobilen Gruppen“, also Transporter mit großkalibrigen Maschinengewehren, die im Flugweg der Drohnen positioniert sind, eine Erfolgsquote von 40 Prozent erreichten – bei Drohnen mit Propeller-Antrieb, so der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte.

Demnach steht die Ukraine jetzt (erneut) mit dem Rücken an der Wand. Den fehlenden Mitteln folge der fehlende Durchblick der Führungskräfte. Dahingehend zitiert die Kiyv Post den Luftfahrtexperten Kostiantyn Kryvolap: „Es gibt keine klare Kommandostruktur. Bei Raketen weiß die Luftabwehr, was zu tun ist. Bei Drohnen – insbesondere Jets – tut jeder, was er kann.“